Geflüchtete sind am österreichischen Arbeitsmarkt mit zahlreichen Hürden und Herausforderungen konfrontiert – dazu gehören etwa Sprachbarrieren, fehlende Netzwerke oder Qualifikationen, die hierzulande nicht anerkannt werden. Dass sie im Rahmen von Bewerbungsverfahren außerdem seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden und gegenüber gleich qualifizierten Bewerber:innen aus Österreich häufig diskriminiert werden, zeigt eine aktuelle Studie im Auftrag der Arbeiterkammer Wien.
Gesetzliches Diskriminierungsverbot
In Österreich verbietet das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters und der sexuellen Orientierung. Dieses Verbot erstreckt sich von der Begründung bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Jedoch legen auch hierzulande wissenschaftliche Untersuchungen nahe, dass Personen mit Migrationsgeschichte in Bewerbungsprozessen häufig diskriminierendem Verhalten ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund wurde kürzlich eine Studie mit dem Ziel durchgeführt, eine strukturelle Benachteiligung von Personen mit Fluchtgeschichte am österreichischen Arbeitsmarkt zu untersuchen. Im Rahmen eines Experiments wurde dabei getestet, ob bzw. wie stark Personen aus Afghanistan im Rahmen von Bewerbungsprozessen gegenüber gleich qualifizierten Personen aus Österreich benachteiligt werden.
Diskriminierung messbar machen: Methode der Korrespondenzstudien
Um eine mögliche Diskriminierung von afghanischen Geflüchteten im Rahmen von Einstellungsprozessen zu untersuchen, wurde eine Korrespondenzstudie im „Matched Pairs“-Design durchgeführt. Bei Studien dieser Art werden Bewerbungsunterlagen für zwei fiktive Personen mit nahezu identischen Qualifikationen erstellt und versandt, die sich lediglich in einem diskriminierungsrelevanten Merkmal unterscheiden. Anschließend wird systematisch erfasst, ob die Bewerber:innen zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Bekommt ein:e Bewerber:in deutlich seltener eine Einladung als der bzw. die andere, deutet das auf eine Benachteiligung hin. Ein Vergleich der Fälle, in denen zumindest eine:r der Bewerber:innen eine Einladung erhalten hat, ermöglicht es, eine konkrete Diskriminierung zu messen.
Mit dieser kontrollierten und standardisierten Methode kann präzise und verlässlich gemessen werden, ob bestimmte Personengruppen im Rahmen von Einstellungsprozessen diskriminiert werden. Ausdrücken lässt sich eine mögliche Diskriminierung in der sogenannten Netto-Diskriminierungsrate. Sie kann als Vorsprung einer bewerbenden Person gegenüber der anderen interpretiert werden und gibt – bei einer ausreichend großen Differenz – präzise an, in welchem Ausmaß gleich qualifizierte Bewerber:innen ungleich behandelt werden.
Experiment in zwei Berufsfeldern: Handel und Büroarbeit
Für das Experiment wurden zwei unterschiedliche Berufsbereiche ausgewählt. Mit einem Bewerber-Paar erfolgten Bewerbungen auf Tätigkeiten im Handel, die eine vergleichsweise niedrige formale Qualifikation (maximal Pflichtschulabschluss) voraussetzten – beispielsweise als Hilfskraft im Handel, Regalbetreuer oder Verkäufer –, wobei beide Bewerber laut ihrem Lebenslauf über einen Pflichtschulabschluss verfügten. Um auch einen Bereich zu untersuchen, der eine mittlere formale Qualifikation voraussetzt, erfolgten die Bewerbungen mit dem zweiten Bewerberinnen-Paar auf Positionen im Bereich Büro – etwa als Bürokauffrau oder Sekretärin. Die beiden Bewerber:innen gaben im Lebenslauf jeweils an, eine Lehre als Bürokauffrau absolviert zu haben.
Um möglichst auszuschließen, dass sich andere Faktoren als die Herkunft auf die Wahrscheinlichkeit auswirken, ob die Bewerber:innen zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden, hatten die Bewerber:innen innerhalb der beiden Berufsbereiche das gleiche Geschlecht. Außerdem wiesen sie möglichst geringe Unterschiede hinsichtlich Alter, Dauer der Arbeitslosigkeit, Ausmaß der Berufserfahrung und Wohnadresse auf. Um möglichst sicherzustellen, dass den Bewerber:innen ein vergleichbares Qualifikationsniveau zugeschrieben wird, wurden die Bewerbungsunterlagen im Vorfeld durch Mitarbeiter:innen von Job-TransFair sowie weitere Personen mit ausgewiesener Expertise im Bereich Personalgewinnung und/oder -vermittlung überprüft und anschließend entsprechend adaptiert.
Alle Bewerber:innen erhielten eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer (die zu einer Mobilbox mit standardisierter Ansage führte). Die afghanischen Bewerber:innen gaben in ihren Lebensläufen an, freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu haben sowie über dem jeweiligen Berufsbereich und dem formalen Qualifikationsniveau entsprechende Deutschkenntnisse zu verfügen.
Insgesamt über 900 versendete Bewerbungen
Insgesamt wurden zwischen Anfang März und Ende Juni 2025 909 schriftliche Bewerbungen auf Stellenausschreibungen versendet, die mithilfe der Job-Suchmaschine des AMS identifiziert wurden. Berücksichtigt wurden Vollzeit- und Teilzeit-Stellen in Wien und – sofern diese in Pendeldistanz lagen – in Niederösterreich. Neben den Lebensläufen umfassten die verschickten Bewerbungsunterlagen vorgefertigte Motivationsschreiben, die an die jeweiligen Inserate angepasst wurden. Im Zuge der Identifikation der Stellenausschreibungen wurden u. a. die Stellenbezeichnung, das Datum der Erstveröffentlichung der Stellenausschreibung, die Qualifikationsanforderungen und die Art des Anstellungsverhältnisses dokumentiert. Anschließend wurde für jede:n Bewerber:in dokumentiert, zu welchem Zeitpunkt die Bewerbung erfolgte und ob bzw. welche Rückmeldung diese:r erhalten hat.
Afghanische Bewerber:innen erhalten deutlich weniger Einladungen
Sechs Wochen nach dem Versenden der letzten Bewerbungen wurde ausgewertet, wie häufig die einzelnen Bewerber:innen eine Einladung zu einem anderen Bewerbungsgespräch, eine Absage, keine oder eine andere Rückmeldung (z. B. eine Nachfrage) erhielten. Außerdem wurde geprüft, ob sich neben der Herkunft noch andere Faktoren auf die Wahrscheinlichkeit auswirken, dass beide bzw. eine:r der beiden Bewerber:innen zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden. Abzüglich jener Fälle, in denen auf eine Stellenausschreibung nur eine Bewerbung versendet wurde – beispielsweise weil das Inserat offline genommen wurde, bevor eine Bewerbung mit der zweiten Person erfolgen konnte –, konnten im Rahmen der Auswertung 878 Fälle berücksichtigt werden.
Im Handel zeigt die Auswertung von insgesamt jeweils 213 berücksichtigten Fällen, dass der österreichische Bewerber in 31 Fällen (14,6%) zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, während der afghanische Bewerber lediglich 13 Einladungen (6,1%) erhielt. Umgekehrt erhielt der afghanische Bewerber öfter eine Absage oder keine Rückmeldung. Bei 226 Bewerbungen pro Bewerberin im Büro erhielt die österreichische Bewerberin in 59 Fällen (26,1%) eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch, die afghanische Bewerberin hingegen nur in 32 Fällen (14,2%). In beiden Bereichen zeigten sich neben der Herkunft keine anderen Effekte, die sich darauf auswirken, dass die afghanische Testperson seltener eine Einladung erhält.
Ergebnisse zeigen strukturelle Diskriminierung
Um das Einstellungsverhalten der angeschriebenen Unternehmen auf eine strukturelle Diskriminierung zu prüfen, wurden anschließend jene Fälle betrachtet, in denen zumindest eine der beiden Bewerber:innen eine Einladung erhalten hatte. Basierend darauf wurde einerseits berechnet, wie das Verhältnis jener Fälle ist, in denen lediglich eine:r der Bewerber:innen eine Einladung erhielt. Werden zusätzlich jene Fälle berücksichtigt, in denen beide Bewerber:innen eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch erhielten, kann daraus die Netto-Diskriminierungsrate berechnet werden.
Im Handel zeigt sich, dass das Verhältnis der Einladungen, die nur an die Kontrollperson gingen, zu jenen, die nur die Testperson erhielt, bei 10 zu 1 liegt. Es ist also zehnmal so wahrscheinlich, dass nur der österreichische Bewerber zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde, wie dass nur der afghanische Bewerber eingeladen wurde. Auch im Büro fällt das Verhältnis mit rund 5 zu 1 deutlich zugunsten der österreichischen Bewerberin aus, wenngleich die Diskrepanz weniger stark ausgeprägt ist als im Handel.
Die Netto-Diskriminierungsrate liegt im Handel bei 54,4%. Das bedeutet, dass in mehr als der Hälfte der Fälle der österreichische Bewerber zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde, während der gleichermaßen qualifizierte afghanische Bewerber nicht eingeladen wurde. Während die Netto-Diskriminierungsrate im Büro mit 40,1% geringer ausfällt als im Handel, bedeutet diese dennoch, dass eine afghanische Bewerberin in vielen Fällen – konkret rund 4 von 10 – nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde, während eine vergleichbar qualifizierte österreichische Bewerberin eine Einladung erhielt.
Bedarf an Qualifikationsangeboten und Sensibilisierung
Dass die Netto-Diskriminierungsrate im Büro geringer ausfällt als im Handel, deckt sich mit den Befunden der Literatur, dass im Rahmen von Bewerbungsverfahren für formal höher qualifizierte Tätigkeiten bzw. Stellen tendenziell weniger diskriminiert wird als im Rahmen von Bewerbungsverfahren für formal niedriger qualifizierte Stellen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen einerseits die Bedeutung niederschwellig zugänglicher Qualifizierungsangebote für Personen ohne (beruflichen) Ausbildungsabschluss auf, andererseits aber auch Sensibilisierungsbedarf heimischer Unternehmen hinsichtlich der Diskriminierung von Personen mit Fluchterfahrung. Dabei sind die Ergebnisse nicht nur vor dem Hintergrund einer gebotenen Gleichbehandlung relevant. Mit Blick auf den demografisch bedingten, zukünftig zu erwartenden Arbeitskräfte- und insbesondere Fachkräftebedarfs, kommt dem Arbeitskräftepotenzial von Menschen mit Fluchtgeschichte auch eine besondere volkswirtschaftliche Bedeutung zu.