Das Recht auf Arbeit für alle: Zeit für einen nachhaltigen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik

11. Juli 2023

Die Idee einer Arbeitsplatzgarantie ist bestechend einfach: Der Staat schafft Arbeitsplätze für alle Arbeitsuchenden, die auf dem Arbeitsmarkt sonst keine Arbeit bekommen. So lässt sich Vollbeschäftigung erreichen und soziale Inklusion über Erwerbsarbeit, selbst für vulnerable Gruppen, ermöglichen. Versionen einer Arbeitsplatzgarantie haben in Österreich eine lange Tradition. Anknüpfungspunkte, das Recht auf Arbeit umzusetzen, gibt es daher viele. Was es braucht, ist eine gesetzliche Verankerung, um die Arbeitsplatzgarantie langfristig umzusetzen und ausreichende Finanzierung zu garantieren.

Die Idee der Arbeitsplatzgarantie

Eine Arbeitsplatzgarantie unterscheidet sich von der üblichen Arbeitsmarktpolitik in vier Punkten: 1) in der Problemwahrnehmung von Erwerbsarbeitslosigkeit, 2) im Umfang des Arbeitsplatzangebots, 3) in der Dauer der Maßnahme und 4) darin, dass die Teilnahme an der Arbeitsplatzgarantie auf freiwilliger Basis beruht.

Die Idee der Jobgarantie erkennt an, dass die Ursachen für Erwerbsarbeitslosigkeit nicht bei den Individuen selbst liegen. Stattdessen wird die Verantwortung beim Staat gesehen, allen Menschen faktisch ein Recht auf Arbeit zu gewährleisten. Entsprechend liegt es an der Politik, die Grundlagen für Vollbeschäftigung zu schaffen. Gleichzeitig ist eine Arbeitsplatzgarantie zeitlich nicht beschränkt. Immer dann, wenn es Bedarf gibt, werden Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt, die zugleich auch den gesellschaftlichen Bedarf an wichtigen, aber unerfüllten Tätigkeiten decken. Die Idee der Arbeitsplatzgarantie berücksichtigt die gesellschaftliche und individuelle Bedeutung von Erwerbsarbeit. Durch den Zugang zu allgemein nützlicher Erwerbsarbeit, werden Menschen nicht zu Bittsteller:innen degradiert, sondern ihnen wird das Recht auf gute Arbeit zugestanden und soziale Integration über Erwerbsarbeit ermöglicht.

Eine staatliche Arbeitsplatzgarantie ist somit eine elegante und direkte Lösung für das gesellschaftliche und individuelle Problem Erwerbsarbeitslosigkeit. Sie kann dabei Vollbeschäftigung schaffen und gleichzeitig sowohl genutzt werden, um die öffentliche Daseinsversorgung auszubauen, als auch zur sozialen und ökologischen Transformation beitragen.

Nach wie vor hoher Bedarf an Arbeitsplätzen

Trotz der relativ guten Arbeitsmarktlage in den letzten Monaten und trotz des hohen Bedarfs an Arbeitskräften gibt es weniger offene Stellen als Arbeitsuchende. Besonders die Langzeitbeschäftigungslosigkeit (LZBL) verharrt auf einem hartnäckig hohen Niveau. Der Anteil der LZBL an allen Erwerbsarbeitslosen beträgt 2023 30 Prozent. Dabei zeigt sich, dass mit Dauer der Erwerbsarbeitslosigkeit und steigendem Alter die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sinken.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Der dauerhafte Verlust von Erwerbsarbeit führt oft aber auch zu finanziellen und sozialen Verschlechterungen für Betroffene: Menschen verlieren ihren sozialen Status, Chancen auf soziale Wertschätzung ihrer Arbeit, soziale Kontakte, ihr eigenes Einkommen und die Möglichkeiten, in kollektive Ziele eingebunden zu sein. Hinzu kommen Stigmatisierungserfahrungen durch den öffentlichen Diskurs sowie im konkreten sozialen Umfeld. Für Erwerbsarbeitslosigkeit werden Menschen von anderen meist abgewertet. Das erschwert soziale Teilhabe und drängt Menschen an den Rand der Gesellschaft.

Öffentliche Arbeitsplatzpolitik: eine lange Tradition?

Die Idee, dass der Staat dafür verantwortlich ist, Vollbeschäftigung zu schaffen, prägte lange Zeit die österreichische Wirtschaftspolitik. Der Wirtschaftspolitik des „Austrokeynesianismus“ gelang es mittels koordinierter Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in Kombination mit der Beschäftigungspolitik der staatlichen und staatsnahen Unternehmen bis 1981 (nahezu) Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten.

Die Auswirkungen der internationalen wirtschaftlichen Rezession zu Beginn der 1980er Jahre führten zu einem Anstieg der Erwerbsarbeitslosigkeit. Gleichzeitig gingen im Zuge der neoliberalen Wende wesentliche wirtschaftspolitische Steuerungsmöglichkeiten verloren: die Privatisierung von Staatsunternehmen, Fiskalkonsolidierung, die Intensivierung internationaler Wettbewerbsbeziehungen und der Abbau von Sozialleistungen.

Mit der im Nachhinein so bezeichneten „Experimentellen Arbeitsmarktpolitik (AMP)“ sowie mit dem Entwurf des ersten Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG) wurde in Österreich versucht, auf die neuen Rahmenbedingungen und auf die steigende Erwerbsarbeitslosigkeit zu reagieren.

Die Aktion 8.000

Der Fokus der „Experimentellen Arbeitsmarktpolitik“ lag auf der Schaffung von Arbeitsplätzen für Langzeitbeschäftigungslose und am Arbeitsmarkt benachteiligte Risikogruppen. Die Aktion 8.000 war dabei das zentrale Programm zur Förderung von Arbeitsplätzen in gesellschaftlich nützlichen Tätigkeitsfeldern.

Förderschwerpunkte der Aktion 8.000 lagen im Bereich der Stadterneuerung und Verbesserung des Kinderbetreuungsangebotes und umfassten unter anderem Sozialökonomische und gemeinnützige Betriebe (SÖB/GBP), selbstverwaltete Betriebe und kooperative Unternehmensgründungen sowie das Programm „Arbeitslose gründen Firmen“.

Vor dem Hintergrund des arbeitsmarktpolitischen Paradigmenwechsels hin zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik mit dem Motto „Fordern und Fördern“ lässt sich die Aktion 8.000 als Versuch deuten, eine öffentliche Vollbeschäftigungspolitik in Österreich zumindest ansatzweise weiterzuführen.

Nach dem Regierungswechsel 1986 kam es zu einer drastischen Kürzung des arbeitsmarktpolitischen Budgets, was das Ende der Aktion 8.000 bedeutete. Übrig blieben SÖB/GBP, die seither eine wichtige Rolle in der österreichischen AMP spielen, sich aber insbesondere in der Dauer, der verpflichtenden Teilnahme und der Zielgruppe unterscheiden.

Die Aktion 20.000

Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/08, der dadurch ausgelösten Eurokrise ab 2010 und der EU-Arbeitsmarktöffnung für die neuen Mitgliedsländer stieg die LZBL in Österreich drastisch an und befindet sich seither auf einem hohen Niveau.

Mit der Aktion 20.000 wurde erneut ein Projekt gestartet, das mittels öffentlicher Beschäftigungspolitik die Langzeitbeschäftigungslosigkeit unter älteren Arbeitsuchenden reduzierte. Dieses Projekt ereilte ein ähnliches Schicksal wie die Aktion 8.000. Bereits nach kurzer Zeit wurde die Aktion 20.000, trotz positiver Zwischenevaluation, von der neuen ÖVP/FPÖ-Regierung sistiert und keine neuen Förderfälle zugelassen. 2019 lief auch dieses Projekt aus, wobei sowohl eine Evaluation der fiskalischen Kosten als auch eine Gesamtevaluation erneut als Erfolg des Ansatzes gewertet werden können.

Das Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal

Aktuell wird mit dem Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal (MAGMA) des Arbeitsmarktservice Niederösterreich in Österreich erneut eine Arbeitsplatzgarantie in die Praxis umgesetzt. Anders als in bisherigen Projekten wird bei MAGMA allen Personen im Ort Gramatneusiedl (NÖ), die länger als ein Jahr auf Arbeitsuche sind, für dreieinhalb Jahre ein gemeinnütziger Arbeitsplatz garantiert. Das Arbeitsplatzangebot ist freiwillig und wird breit angenommen.

Die Arbeitenden erfüllen für Gemeinde und Ort wichtige Aufgaben, beispielsweise Grünraumpflege, Ressourcenausstattung öffentlicher Orte wie des örtlichen Spielplatzes oder die Wiederbelebung der Dorfgemeinschaft durch lokale Märkte. Die Menschen haben wieder Zugang zu Erwerbsarbeit, die Arbeitsbedingungen sind an ihre Möglichkeiten angepasst. Die bisherigen Evaluierungsergebnisse zeigen vielfältige individuelle und soziale Verbesserungen für die Arbeitenden. Gleichzeitig können keine Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt festgestellt werden und die Langzeitarbeitslosigkeit in Gramatneusiedl ist stark zurückgegangen.

Durch das Modellprojekt haben die Menschen in Gramatneusiedl zwischen Oktober 2020 und März 2024 Arbeit. Das Interesse der Nachbargemeinden, lokaler Unternehmen und internationaler Organisationen ist groß. Kürzlich wurde das Projekt mit dem europäischen „Innovation in Politics Award“ in der Kategorie „Local Development“ ausgezeichnet. Aktuell ist jedoch keine Ausweitung des Projekts geplant.

Es braucht eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf Arbeit

Was zeigt uns also die praktische Erfahrung mit der Idee der Arbeitsplatzgarantie in Österreich? Menschen Zugang zu sinnvoller Beschäftigung zu ermöglichen ist möglich, führt zu einer Verbesserung des individuellen Wohlbefindens und ermöglicht Chancen auf soziale Teilhabe. Gleichzeitig geht die Erwerbsarbeitslosigkeit zurück. Anstatt Menschen für ihre Situation selbst verantwortlich zu machen und zu beschämen, wird ihnen das Recht auf Arbeit auch faktisch zugestanden. Die Verantwortung wird vom Individuum an den Staat übertragen und Menschen werden von Bittsteller:innen zu Träger:innen von Rechten.

Die Umsetzung bleibt schließlich eine politische Entscheidung. Konkrete Modellvorschläge gibt es zur Genüge, beispielsweise das AK-Modell Chance 45.

Der Ausschuss der Regionen forderte kürzlich die EU-Kommission dazu auf, 750 Millionen Euro für Jobgarantie-Projekte europaweit zu investieren. In Deutschland wurde mit dem Teilhabechancengesetz die „Schaffung neuer Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt“ gesetzlich verankert.

Offenen Bedarf an Arbeit für das Gemeinwohl gibt es zur Genüge: Man denke nur an die Bereiche der Daseinsvorsorge oder Notwendigkeiten im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation. Auch Österreich würde von einer gesetzlichen Verankerung und ausreichend sichergestellter Finanzierung profitieren.

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