Zeit für Fairwork

18. Dezember 2017

Faire Bedingungen am Arbeitsmarkt – unter dieser Devise läuft das aktuellste EU-Projekt des ÖGB im Burgenland und der ungarischen Gewerkschaft MASZSZ in Westtransdanubien. Es reiht sich ein in eine lange Liste von Initiativen zur gewerkschaftlichen Zusammenarbeit in der Grenzregion.

Angesichts systematischen Lohn- und Sozialdumpings gibt es auf dem Weg zu fairen Arbeitsverhältnissen auch nach mehr als 20 Jahren grenzüberschreitender Zusammenarbeit genug zu tun.

Solidarischer Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping

Grenzüberschreitende Projekte zwischen gewerkschaftlichen Organisationen im Burgenland und in Westungarn haben eine lange Tradition. Von der Organisation gemeinsamer Gewerkschaftsschulen in den 1990er-Jahren bis hin zum Angebot mehrsprachiger Beratung im Zuge der Öffnung des Arbeitsmarktes. Ganz oben auf der Liste der gemeinsamen Ziele findet sich der solidarische Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping. Das aktuelle Projekt trägt den Titel „Fairwork“ und widmet sich den Bedingungen am Arbeitsmarkt.

Arbeitsmarkt und Einkommen

Im Jahr 2016 waren im Burgenland 100.929 Menschen unselbstständig beschäftigt, darunter 23.027 Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Das entspricht 22,8 Prozent aller im Burgenland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die größte Gruppe unter den ausländischen Beschäftigten sind seit Jahren Ungarinnen und Ungarn. 2016 waren im Burgenland 14.907 ungarische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Der Großteil von ihnen kommt als Tagespendlerinnen und Tagespendler zum Arbeitsplatz ins Burgenland.

Betrachtet man die Branchen, in denen die meisten ausländischen Beschäftigten arbeiten, sieht man eine Konzentration auf vier Wirtschaftszweige. Die Mehrzahl war im Jahr 2016 bei vorbereitenden Baustellenarbeiten, Bauinstallationen und sonstigen Ausbaugewerben tätig (2.348 Personen). 2.340 ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren in der Gastronomie und 2.115 im Einzelhandel beschäftigt. In der Landwirtschaft, Jagd und damit verbundenen Tätigkeiten arbeiteten 1.741 ausländische Beschäftigte. Inländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiteten hingegen mehrheitlich in der öffentlichen Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung, im Einzelhandel und im Gesundheitswesen.

Aus der Beratungsleistung der AK und der Gewerkschaften sowie aus Befragungen und Erhebungen ist bekannt, dass viele ungarische Kolleginnen und Kollegen nach wie vor um wesentliche Bestandteile ihrer Entlohnung betrogen werden. Bei den Branchen mit den meisten arbeitsrechtlichen Problemen war im Jahr 2016 das Bau- und Baunebengewerbe an erster Stelle, gefolgt von Tourismus und Gastronomie an zweiter Stelle. In beiden Branchen sind vor allem ungarische Kolleginnen und Kollegen in großem Ausmaß beschäftigt. Die häufigsten Probleme reichen vom Nichtbezahlen des Weihnachts- und Urlaubsgeldes bis hin zu Falschmeldungen bei der Gebietskrankenkasse. Erst kürzlich bearbeitete die Rechtsabteilung der AK Burgenland den Fall eines Monteurs, dem insgesamt 18.000 Euro an Überstundenentlohnung und Zulagen vorenthalten wurden. Ein klassischer Fall von Lohn- und Sozialdumping, der stellvertretend für viele weitere steht. Dieses Lohndumping schlägt sich auch im Medianeinkommen der im Burgenland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nieder: Es beträgt mittlerweile nur noch 84 Prozent des durchschnittlichen österreichischen Medianeinkommens – hat sich also in den vergangenen Jahren nicht verbessert, sondern weiter verschlechtert.

Strategien und Initiativen

Angesichts des sich verändernden Europas haben sich ÖGB, Fachgewerkschaften und Arbeiterkammer im Burgenland sehr früh zum Ziel gesetzt, Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Mitgliedstaaten bestmöglich zu vertreten, sie in die gewerkschaftliche Arbeit einzubinden (z. B. als BetriebsrätInnen) und gleichzeitig die Strukturen und Standards auf beiden Seiten nachhaltig zu verbessern. Ab 1998 war der ÖGB in der durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) geförderten Initiative Interreg IIA Österreich-Ungarn vertreten und konnte im Burgenland intensiv mit der Ausarbeitung verschiedener Maßnahmen beginnen.

Die stärkste Motivation zur Installierung des ersten IGR-Projektes (Interregionaler Gewerkschaftsrat) bestand darin, sowohl Ungarn als auch Österreich auf den EU-Beitritt Ungarns im Mai 2004 vorzubereiten. Die wichtigsten Ziele waren: sozial- und arbeitsrechtlich korrekte Gestaltung von grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen, Angleichung der Kollektivverträge, des Lohnniveaus und der Arbeitsbedingungen, Harmonisierung des Arbeitsrechts und der Sozialversicherungssysteme, Sicherung des sozialen Mindeststandards von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, grenzüberschreitende Bildungsmaßnahmen, der Aufbau und die permanente Weiterentwicklung der Kooperations- und Koordinationsnetzwerke sowie der Abbau von „Barrieren“ in den Köpfen der Menschen. Zu den ersten Maßnahmen zählten entsprechend der Ziele der Aufbau der zweisprachigen Rechtsberatung, Aufklärungs- und Bildungskampagnen, öffentliche Informationsveranstaltungen sowie Diskussionsforen und ExpertInnenzirkel. Begleitend produziert wurden zweisprachige Publikationen wie etwa ein Arbeitswelt-Wörterbuch sowie „Meine Rechte und Pflichten als Betriebsrat“.

Das zweite grenzüberschreitende Projekt „Zukunft Im GrenzRaum“ (IGR 2) sollte in sieben Jahren entsprechende Maßnahmen gegen die Probleme, die durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes entstehen, setzen. Ein 17-köpfiges Projektteam betreute ArbeitnehmerInnen an elf Standorten im Burgenland und in Westungarn. Zu den Projektzielen gehörten vor allem die Sicherung der sozialen Mindeststandards von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Entwicklung von ordnungsgemäßen und konstanten Beschäftigungsverhältnissen sowie grenzüberschreitende Bildungsmaßnahmen.

Trotz all dieser Aktivitäten und der jahrelangen intensiven Arbeit war bereits vor Auslaufen des siebenjährigen Projektes klar, dass zum Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping die mehrsprachige Beratungsleistung keinesfalls eingestellt werden darf. Mehr noch: Es brauchte eine dringende Weiterentwicklung und einen Ausbau, sodass zur arbeitsrechtlichen Beratung auf Ungarisch die Beratung auf Rumänisch hinzukam. Darüber hinaus wurde eine Kooperation mit allen arbeitsmarkt- und sozialpolitisch relevanten Bundes-, Landes- und Bezirksbehörden und Institutionen etabliert. Arbeitsinspektorat, AMS, Gebietskrankenkassen, PV, AUVA, Finanzpolizei, Finanzamt und Sozialpartner treffen sich regelmäßig zum Austausch und zur Koordination gemeinsamer Aktivitäten. Die Zusammenarbeit im Behördennetzwerk ist es auch, die im aktuellen Projekt „Fairwork“ noch weiter verstärkt werden soll. Geleitet wird das Projekt von Bertold Dallos. Hauptziel ist es, die grenzüberschreitende Kooperationsstruktur zu institutionalisieren. Durch diese Kooperation soll eine bessere Integration von grenzüberschreitenden Sachverhalten in die Arbeitsabläufe der ungarischen und österreichischen Behörden erreicht werden.

An Grenzen stoßen und Grenzen überschreiten

Regional hat sich das Angebot von ÖGB und ungarischen Partnergewerkschaften etabliert. Vor allem die muttersprachliche Beratung und Information wird seitens der ungarischen Kolleginnen und Kollegen im Burgenland sehr geschätzt. Wurde erst einmal Kontakt aufgenommen, finden die ungarischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wieder ihren Weg in die Beratungsbüros. Selbst nach einem Arbeitsplatzwechsel in ein anderes Bundesland bleiben die Beratungsbüros im Burgenland für viele ungarische KollegInnen die erste Anlaufstelle in Problemsituationen.

Das Förderregime der EU sorgt allerdings dafür, dass gute Instrumente zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping zwischen den Projekten verloren gehen. Das wirkt sich negativ auf die Entwicklungen der Arbeitsmärkte in den betroffenen Regionen aus. Die entstehenden Probleme können nicht effektiv und nachhaltig behandelt werden. Die nach wie vor bestehenden extremen Lohndifferenzen und die kaum vorhandenen Angleichungen in den sozialen Sicherungssystemen zeigen, dass hier regionale Initiativen an ihre Grenzen stoßen. Zwar konnten auf Organisationsebene – in den Gewerkschaften und bei den Arbeitsinspektoraten in den Regionen – strukturelle Angleichungen durch gegenseitiges Lernen erzielt werden. Für die großen Fragen der fairen Arbeit, der fairen Einkommen und der sozialen Absicherung braucht es jedoch gesamteuropäische Lösungen.