Wir sind nicht alle Kapitalisten

11. November 2013

ArbeitnehmerInnen verdienen ihr Einkommen vor allem aus Arbeit. Allen Finanz-Hochglanzbroschüren für die private Pensionsvorsorge, dem konservativen Trommeln einer postmodernen Gesellschaft, in der es keine Klassen mehr gibt, und Studien über Managereinkommen  zum Trotz, hat sich diese Lebensrealität nicht geändert. Der Klassenbegriff ist in der modernen österreichischen Gesellschaft keineswegs bedeutungslos geworden. Die Daten zeigen, dass Klassengegensätze für den Großteil der Bevölkerung die Realität sind: ArbeitnehmerInnen haben vor allem Arbeitseinkommen, während Gewinn- und Zinseinkommen bei UnternehmerInnen konzentriert sind.

Zwei Datenquellen, die gleiche Aussage

Die Erhebung für EU-SILC wird von Eurostat koordiniert, die des HFCS hingegen von der Europäischen Zentralbank. Die beiden decken unterschiedliche Aspekte der Einkommen gut ab: SILC erfasst Transfereinkommen, der HFCS dafür Vermögenseinkommen sehr gut. Die Untersuchung muss auf Haushaltsebene geschehen, weil Einkommen aus Finanzanlagen („Zinseinkommen“) nicht einzelnen Personen zuordenbar ist.

Somit wurden Haushalte in Gruppe eingeteilt: solche, die nur aus ArbeitnehmerInnen, Selbständigen, oder PensionistInnen (also über den Staat Versicherten) bestehen, sowie solche, die gemischt sind. (Die unterschiedliche Haushaltsgröße wurde bei den Berechnungen berücksichtigt.)

Die ArbeitnehmerInnen-Haushalte machen in beiden Erhebungen rund 45% der Haushalte aus. Würden alle in gleichem Außmaß die verschiedenen Einkommensarten beziehen, dann müssten ArbeitnehmerInnen-Haushalte etwa 45% vom gesamten Arbeitseinkommen, 45% aller Gewinne, und 45% des Zinseinkommens erhalten. Tatsächlich verdienen ArbeitnehmerInnen-Haushalte (etwa im HFCS) aber nur 15% der Profite (statt 45%), und nur 6% der Zinseinkommen statt (45%), allerdings über 70% der Arbeitseinkommen.

Bei Selbständigenhaushalten ist das Bild genau umgekehrt: Diese machen unter 5% der Bevölkerung aus, erhalten aber mehr als ein Drittel der Gewinne, und mehr als ein Viertel der Zinseinkommen (wieder im HFCS).

In der Grafik 1 sind die Haushaltsgruppen in Zeilen und die Einkommensarten in Spalten aufgeteilt. Wenn der Anteil z.B. der ArbeitnehmerInnen-Haushalte am Arbeitseinkommen in der Zelle links oben genau ihrem Anteil an der Bevölkerung (45%) entspräche, dann wäre das Verhältnis 1. Da diese Gruppe aber über 70% des Arbeitseinkommens besitzt, ist die entsprechende Zahl 1,6 (70 durch 45 gerundet).

Je höher der Anteil einer Gruppe am jeweiligen  Einkommen im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung, desto dünkler also  die jeweilige Zelle. Bei einer klassenlosen Gesellschaft wäre die gesamte Fläche einheitlich hellrosa – alle bekommen genau ihren Anteil an jeder Einkommensart. In einer Klassengesellschaft hingegen ist eine Diagonale dunkel, und die andere hell: ArbeitnehmerInnen haben Arbeitseinkommen, Selbständige Gewinneinkommen und Kapitaleinkommen.

Grafik 1 : Einkommensanteile nach Haushaltsgruppen

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: HFCS 2010

Die Klassengesellschaft lebt

Die Daten zeigen genau dieses Bild: Markteinkommen sind in Österreich nach wie vor ziemlich zwischen den Klassen polarisiert. ArbeitnehmerInnen bekommen vor allem Arbeitseinkommen, UnternehmerInnen hauptsächlich Profite und Zinsen.

Eine kleine Gruppe hingegen scheint die Klassengegensätze überwunden zu haben: Haushalte, in denen sowohl ArbeitnehmerInnen als auch UnternehmerInnen leben, haben sowohl überdurchschnittliche Arbeits-, als auch besonders hohe Gewinn- und Zinseinkommen (siehe Grafik 2).

Grafik 2: Einkommensanteil der selbständigen und der gemischt unselbständigen-selbständigen Haushalte

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: HFCS 2010

Diese Gruppe macht aber nur 7% der österreichischen Haushalte aus. Damit lässt sich erklären, warum das Ende der Klassengesellschaft (oft verbunden mit Politikvorschlägen, die reichere Gruppen begünstigen) ausgerufen werden kann: wenn jemand diese gutverdienende Minderheit vor Augen hat und nur aufgrund des eigenen, beschränkten Umfelds urteilt. Aber die GeschäftsführerIn, die im Unternehmen ihrer Familie angestellt ist, ist ebenso wenig ProletarierIn wie ihr Gemahl, der dort als Prokurist wirkt. Für den Großteil der Bevölkerung ist hingegen Klassengesellschaft die monatliche Realität des Einkommens.