„Wie viele unserer Mitglieder müssen noch ermordet werden?“ - Zur Situation von GewerkschafterInnen in Kolumbien

18. Dezember 2013

Im Jahr 2010 übernahm Juan Manuel Santos die kolumbianische Präsidentschaft von Álvaro Uribe. Santos war unter seinem Vorgänger als jahrelanger Verteidigungsminister verantwortlich für zahlreiche schwere Menschen- und Völkerrechtsverletzungen der kolumbianischen Armee. Dennoch wird der Regierungswechsel in Europa gerne als Anlass genommen, Kolumbien auf dem Weg zur „lebhaften Demokratie samt funktionierendem Rechtsstaat“ (Günter Verheugen) zu stilisieren. Trotz massiver Kritik US-amerikanischer, europäischer und kolumbianischer Gewerkschaften an der Menschen- und Gewerkschaftsrechtslage in Kolumbien, einigten sich die USA im Jahr 2011 und die Europäische Union im Dezember 2012 auf ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien. Der folgende Beitrag wirft einen Blick auf die momentane Situation von GewerkschafterInnen in Kolumbien.

 

Proteste und Streiks von LandarbeiterInnen und KleinbäuerInnen

Im März 2013 legte ein landesweiter 12-tägiger Streik der kolumbianischen KaffeebäuerInnen weite Teile Kolumbiens lahm, nachdem die streikenden BäuerInnen zahlreiche Hauptverkehrsrouten des Landes besetzten. Der Streik wurde in erster Linie von KleinbäuerInnen und LandarbeiterInnen getragen und richtete sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen auf den Kaffeeplantagen und die Auswirkungen der Freihandelsabkommen auf die Branche, da der umfangreiche Import von billigem Kaffee den kolumbianischen Binnenmarkt zerstört. Die kolumbianische Regierung reagierte mit brutaler Repression und die berüchtigte Spezialeinheit der Polizei zur Aufstandsbekämpfung (ESMAD) tötete einen Bauern und verletzte mehr als 70 Personen zum Teil schwer. Dennoch konnten die streikenden KaffeebäuerInnen schlussendlich eine Verdreifachung der staatlichen Subventionen für ihre Anbauflächen durchsetzen.

Mitte August 2013 riefen zahlreiche Gewerkschaften, LandarbeiterInnen- und BäuerInnenverbände und NGOs zu landesweiten Protest- und Streiktagen in der Landwirtschaft auf, um gegen die Auswirkungen der Freihandelsabkommen und den anhaltenden Landraub zu demonstrieren. Der unbefristete Streik weitete sich schnell auf andere Bereiche aus und wurde zum bedeutenden Referenzpunkt für KollegInnen anderer Branchen. Wiederum begegnete die kolumbianische Regierung der Protestbewegung mit äußerster Gewalt. Nach der bewussten Diffamierung durch Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzón, die Guerillaorganisation FARC-EP hätte die Proteste „unterwandert“, wurden mehr als 50.000 Soldaten gegen die Streikenden mobilisiert. Hunderte Personen wurden schwer verletzt und zwei Protestierende getötet. Zudem wurde wenige Tage nach Beginn des Streiks Huber Ballesteros, Vorstandsmitglieds des größten Gewerkschaftsdachverbandes CUT und stv. Vorsitzender der LandarbeiterInnengewerkschaft FENSUAGRO, verhaftet. Ballesteros werden „Rebellion“ und „Finanzierung des Terrorismus“ vorgeworfen und der bekannte Gewerkschafter sitzt noch immer in Untersuchungshaft. Im Zuge der Auseinandersetzungen rund um die Streikbewegung schlitterte die Regierung Santos in eine tiefe politische Krise, nachdem alle Regierungsmitglieder ihren Rücktritt erklärten und Santos sein Kabinett umbilden musste.

Konflikte im Bergbau

Der Bergbau zählt zu den am schnellsten wachsenden Branchen der kolumbianischen Wirtschaft und gilt als strategischer Wachstumssektor der kolumbianischen Regierung. Im Jahr 2012 hatte der Bergbau einen Anteil von 24% an den Exporten des Landes. Dominiert wird die Branche von führenden internationalen Bergbaukonzernen.

Mit einer Gesamtfläche von 69.000 Hektar und der jährlichen Förderung von etwa 32 Tonnen Steinkohle, (40% der nationalen Fördermenge) ist El Cerrejón das größte Steinkohlebergwerk Lateinamerikas und eine der größten Steinkohletagbaue der Welt. Das Unternehmen beschäftigt rund 10.000 ArbeiterInnen und befindet sich im Eigentum der multinationalen Bergbaukonzerne BHP Billiton, Anglo American und Glencore Xstrata. In den vergangenen Jahren kam es aufgrund der Ausweitung des Bergbaugebietes im Norden Kolumbiens wiederholt zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Zudem mehren sich Gerüchte über die logistische Unterstützung von paramilitärischen Todesschwadronen. GewerkschafterInnen berichten von der wiederholten Verletzung von Arbeits- und Gewerkschaftsrechten und der Einschüchterung und Entlassung von GewerkschaftsaktivistInnen.

Im Februar 2013 weigerte sich die Unternehmensführung einen Kollektivvertrag mit der kolumbianischen Kohlearbeitergewerkschaft Sintracarbón abzuschließen, woraufhin die Belegschaft von El Cerrejón in den Streik trat. Im Zuge des Arbeitskampfes erhielten der Vorsitzende und der Kassier der Gewerkschaft, Igor Díaz López und Aldo Amaya Daza, und vier weitere Mitglieder des Streikkomitees Morddrohungen von Paramilitärs. Andere Kollegen von Sintracarbón konnten ihre Häuser nur noch mit Begleitschutz verlassen. Trotz der Einschüchterungsversuche konnten die ArbeiterInnen von El Cerrejón nach einem 34-tägigen Streik zahlreiche ihrer Forderungen durchsetzen.

Neben El Cerrejón ist die Drummond Company der größte Exporteur kolumbianischer Steinkohle. Bereits im Jahr 2001 wurden der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende der Bergarbeitergewerkschaft Sintramienergética, Valmore Locarno Rodríguez und Victor Hugo Orcasita, von Paramilitärs hingerichtet (vgl. urgewalt/FIAN 2013: 15). Während im Jänner 2013 ein ehemaliger Subunternehmer des Konzerns als Auftraggeber der Morde verurteilt wurde, müssen die Verstrickungen der Konzernführung in die Auftragsmorde erst untersucht werden. Mittlerweile wird in Kolumbien gegen den Vorstandsvorsitzenden Gary Drummond ermittelt und in den USA sind zwei Zivilklagen gegen die Drummond Company anhängig (vgl. ebd.).

Im Zuge einer Auseinandersetzung um einen neuen Kollektivvertrag entging Rubén Darío Morrón, Gewerkschafter bei Drummond, im Frühjahr 2013 nur knapp einem Mordanschlag. Im August 2013 wurden streikende BergarbeiterInnen und GewerkschafterInnen der Drummond Company von Paramilitärs mit dem Tode bedroht. Neben den streikenden KollegInnen, erklärten die paramilitärischen Mörder auch andere Gewerkschaften in der Bergbaubranche und der Erdölindustrie im Allgemeinen und zahlreiche GewerkschafterInnen, MenschenrechtsaktivistInnen und linke PolitikerInnen namentlich zu „ewigen Feinden und militärischen Zielen“, da sie „die guten und noblen Absichten der erhabenen Regierung von Dr. Juan Manuel Santos angreifen […] und den Fortschritt, den multinationale Unternehmen wie u.a. Glencore, Drummond, Pacific Rurales und Anglo Gold Ashanti bringen, aufhalten“ (Quelle).

Anfang November 2013 wurde César García, ein Bauern- und Umweltaktivist und einer der prominentesten Gegner des gigantischen Goldminenprojekts La Colosa, ermordet. Alleineigentümer von La Colosa ist AngloGold Ashanti. IndustriAll, der weltweite Gewerkschaftsdachverband der Metall-, Chemie-, Energie-, und Textilgewerkschaften, unterstreicht, dass die Ermordung von García im Rahmen der groß angelegten Kriminalisierung und Einschüchterung der GegnerInnen des Bergbauprojekts gesehen werden muss.

Chiquita, Coca Cola und Nestlé

Nach der Veröffentlichung von erdrückenden Beweisen sah sich der Konzern Chiquita Brands International im Jahr 2007 gezwungen, öffentlich einzugestehen, dass das Unternehmen im Zeitraum von 1997-2004 insgesamt über 1,7 Mio. US-Dollar an die rechtsradikalen Paramilitärs der AUC bezahlt zu haben. Die vom kolumbianischen Staat unterstützte AUC war bis zu ihrer (vermeintlichen) Demobilisierung im Jahr 2005 (nach wie vor terrorisieren Paramilitärs weite Teile Kolumbiens) hauptverantwortlich für die meisten Morde an GewerkschafterInnen und MenschenrechtsaktivistInnen. Auch die Coca Cola Company hat in Verbindung mit ermordeten Gewerkschaftern in Kolumbien traurige Berühmtheit erlangt. Wenngleich der Konzern bislang jegliche Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien leugnet, sind die Verstrickungen in zahlreiche Verbrechen gut dokumentiert. Erst Ende November 2013 erhielt mit Etiel Aragón, Gewerkschafter einer Coca Cola-Abfüllanlage in Nordkolumbien, wieder ein Arbeiter von Coca Cola eine Morddrohung.

In den vergangenen Jahren wurde zunehmend Nestlé zum Symbol für die Verstrickung von multinationalen Konzernen in schwere Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien. Das prominenteste Opfer ist Luciano Romero, ehemaliger Arbeiter in der Nestlé-Milchfabrik Cicolac und Vorstandsmitglied der LebensmittelarbeiterInnengewerkschaft Sinaltrainal. Romero wurde – wenige Wochen vor seiner Aussage im Rahmen einer öffentlichen Anhörung gegen Nestlé – im September 2005 von Paramilitärs entführt und zu Tode gefoltert. Die politische und juristische Besonderheit am diesem Fall liegt darin, dass – entgegen der üblichen Straflosigkeit bei Morden an GewerkschafterInnen in Kolumbien – vier ehemalige Paramilitärs in Zusammenhang mit der Ermordung verurteilt wurden. Im Rahmen des Prozesses ordnete der zuständige Richter an, „gegen führende Manager von Nestlé-CICOLAC zu ermitteln, um ihre wahrscheinliche Beteiligung und/oder Planung und Finanzierung des Mordes am Gewerkschaftsführer Luciano Enrique Romero Molina aufzuklären“ (Quelle). Obwohl der ranghöchste Paramilitär Kolumbiens bereits 2007 öffentlich bestätigte, dass das Nestlé-Unternehmen Cicolac als Geldgeber der Paramilitärs fungierte, nahm die kolumbianische Staatsanwaltschaft bislang keine Ermittlungen auf. Stattdessen hat das European Center für Constitutional and Human Rights (ECCHR) zusammen mit Sinaltrainal im März 2013 bei einer Schweizer Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Unterlassung gegen Nestlé und fünf der (ehemaligen) Führungsmitglieder des Konzerns eingereicht.

Am 9. November 2013 wurde wieder ein Nestlé-Gewerkschafter in Kolumbien ermordet. Oscar López Triviño arbeitete seit 25 Jahren in einer Nestlé-Fabrik im Westen Kolumbiens und war zum Zeitpunkt seiner Ermordung gemeinsam mit anderen GewerkschafterInnen an einem Hungerstreik gegen Nestlé beteiligt. In den Tagen vor seiner Ermordung hatte die Gewerkschaft Sinaltrainal die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft und die Geschäftsführung von Nestlé über Morddrohungen in Kenntnis gesetzt und vergeblich aufgefordert, die Sicherheit der streikenden Nestlé-ArbeiterInnen zu garantieren. Stattdessen hetzte die Nestlé-Geschäftsführung in Kolumbien gegen die Streikenden und warf ihnen vor für „gewaltsame Demonstrationen und Aktionen gegen den guten Namen der Firma und die Qualität der Produkte“ (Quelle) verantwortlich zu sein. Dass derartige Diffamierungen gegen GewerkschafterInnen in Kolumbien oft mit ihrer Ermordung enden ist hinlänglich bekannt. Noch am Tag der Ermordung von López Triviño richtete sich der Vorsitzende der Gewerkschaft Sinaltrainal, Javier Correa, in einem Brief an Paul Bulcke, Vorstandsvorsitzender von Nestlé: „Wie viele Todesdrohungen haben wir noch auszuhalten, um gehört zu werden, wie viele unserer Mitglieder müssen noch ermordet werden, bis Sie verstehen, dass wir nicht aufhören werden zu protestieren und auf die Einhaltung unserer Rechte bestehen? Wie viele Grausamkeiten werden die Arbeiter von Nestle, die in unserer Gewerkschaft organisiert sind, noch erleiden müssen, bis Sie verstehen, dass Sie uns mit Gewalt nicht beugen werden?“ (Quelle).

Weiterhin gefährlichstes Land für GewerkschafterInnen

Auch im Jahr 2013 bleibt Kolumbien das gefährlichste Land für GewerkschafterInnen. Seit 1984 sind nach Angaben des kolumbianischen Gewerkschaftsinstitutes ENS fast 3.000 GewerkschafterInnen ermordet worden, 93,4% dieser Morde blieben bislang straffrei. Gegenwärtig werden rund 600 GewerkschafterInnen mit dem Tod bedroht und müssen ihre Gewerkschaftsarbeit unter unvorstellbaren Bedingungen leisten, denn „von der Drohung bis zum Tod ist es nur ein kleiner Schritt“ (Quelle).

Die in den letzten Jahren gesunkene Zahl an ermordeten GewerkschafterInnen, die oftmals für die vermeintliche Verbesserung der Lage in Kolumbien herangezogen und dieses Jahr wohl wieder erheblich steigen wird, kommentiert Francisco Ramírez, Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes der Energie- und Bergbauarbeiter Funtraenergetica, folgendermaßen: „Dass in letzter Zeit weniger von uns ermordert werden, liegt schlicht daran, dass kaum noch jemand übrig ist, den sie umbringen könnten“ (Quelle).

Literatur:

urgewalt/FIAN 2013: Bitter Coal: Ein Dossier über Deutschlands Steinkohleimporte.