Weltmeister oder Totalversager – die österreichische Familienpolitik im EU-Vergleich

27. Oktober 2017

Viele Jahre war vom „Weltmeister Österreich“ in der Familienpolitik die Rede. Ein internationales Vorbild sei das Land. Liest man die Presseaussendungen mancher Familienverbände heute, klingt es allerdings, als hätte eine brutale Vertreibung aus dem Familienparadies stattgefunden. Wurde die Alpenrepublik etwa im Ländervergleich abgehängt? Die Antwort auf diese Frage ist kein simples Ja oder Nein. Wie so oft zeigt sich die Wirklichkeit facettenreich.

Familienpolitik bedient sich unterschiedlicher Mittel. Sie kann Familien unterstützen, indem sie wichtige Leistungen bereitstellt, etwa kostengünstige Kinderbetreuung oder Gesundheitsversorgung von Familienmitgliedern. Sie kann Familien auch bestimmte Rechte einräumen wie das Anrecht auf Elternkarenz oder Pflegeurlaub. Und sie kann Familien schlicht und einfach Geld geben: entweder als direkte Geldleistung – kurz Transfer – gewissermaßen bar auf die Kralle; oder indirekt als Steuerkürzung.

Familienpolitik: meist ein Mix

In der Regel bedienen sich alle europäischen Länder eines Mix dieser Möglichkeiten – allerdings mit sehr unterschiedlichen Gewichtungen. Die jeweilige Betonung variiert je nach ideologischer Ausrichtung der bestimmenden politischen Kräfte. So setzen die skandinavischen Staaten aufgrund einer Politik der Chancengleichheit schon seit Langem vorrangig auf hochqualitative und exzellent ausgebaute Kinderbetreuung. In Deutschland spielen hingegen konservative Vorstellungen von Familie noch immer eine große Rolle. Dementsprechend haben hier steuerliche Maßnahmen – vor allem das „Ehegattensplitting“ – großes Gewicht. Damit werden vor allem Paare mit einer traditionellen Arbeitsteilung gefördert.

Österreich bei Kinderbetreuung abgehängt

Um die familienpolitische Großzügigkeit und den Politik-Mix besser einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf emotionslose Zahlen. Im Vergleich zu anderen Staaten war Österreich gemessen an der Wirtschaftsleistung lange Zeit besonders großzügig in Sachen Familienleistungen. Diesen Spitzenplatz hat es in den letzten Jahren verloren. Hat die Alpenrepublik im OECD-Vergleich im Jahr 1980 (nach Schweden) noch am zweitmeisten für Familien ausgegeben, liegt sie aktuell nur auf Platz 10. Wie konnte das passieren? Ein näherer Blick zeigt: Österreich wurde bei der „Elementarbildung“ – vulgo Kinderbetreuung – abgehängt.

In diesem Bereich gab es nämlich eine extrem dynamische Entwicklung. Lag Österreich 1980 bei den Ausgaben für Kinderbetreuung noch auf Platz 6, rasselte es bis 2008 auf Platz 25 hinunter. Danach wurden die Auswirkungen verstärkter Investitionen durch den Bund sichtbar, womit das kleine Land an der Donau wieder an die 13. Stelle kletterte. Insgesamt haben sich die Ausgaben für Kinderbetreuung seit 1980 in Österreich zwar verdoppelt, in anderen Ländern stiegen sie aber wesentlich stärker: in Deutschland um das Vierfache, in Frankreich um das Fünffache, in Italien und Belgien um das Siebenfache, in Irland um das 17-Fache und in Spanien gar um das 29-Fache – in den letzteren beiden allerdings ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau.

Alle genannten Staaten lagen 1980 hinter Österreich und haben uns mittlerweile deutlich überholt. Kein Wunder, liegen die Ausgaben für Kinderbildung mit 0,65 Prozent am BIP hierzulande noch immer weit unter dem OECD-Durchschnitt von 0,93 Prozent. Das alpine Land hat also eindeutig in der Kinderbetreuung und -bildung den internationalen Anschluss verloren.

Geld fürs Daheimbleiben?

Betrachtet man nur die Geldleistungen für Familien, büßte Österreich zwar einige Plätze seit 1980 ein, liegt aber immer noch unter den besten Staaten. Aber auch hier gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten, wie diese ausgestaltet sind und welche Anreize damit gesetzt werden. Zentral ist dabei unter anderem die Frage, ob das lange Zuhausebleiben eines Elternteils – klassischerweise der Mutter – gefördert wird oder ob eine partnerschaftliche Teilung der Familienarbeit unterstützt wird.

Das lässt sich gut am Kinderbetreuungsgeld – kurz KBG – illustrieren. Dieses ist nach der Familienbeihilfe die zweitwichtigste Geldleistung für Familien in Österreich. Rund 1,3 Milliarden Euro werden jährlich aufgewendet, damit sich Eltern nach der Geburt ihres Kindes dessen Betreuung widmen können. Dafür standen bislang unterschiedliche Varianten zur Auswahl. Maximal konnte ein Elternteil bis zu 30 Monate Kinderbetreuungsgeld beziehen, beide zusammen sogar 36 Monate. Der monatliche Betrag war mit rund 436 Euro allerdings recht gering. Bei der kürzesten, einkommensabhängigen Variante beträgt die Dauer 12 Monate für einen Elternteil, plus zwei Monate, wenn es auch der zweite Elternteil in Anspruch nimmt. Der monatliche Betrag variiert je nach Einkommen zwischen 1.000 und maximal 2.000 Euro.

Wie sich diese Leistung im Hinblick auf die Förderung partnerschaftlicher Teilung im EU-Vergleich darstellt, hat sich Wirtschaftswissenschafterin Helene Dearing in einer Studie angeschaut. Darin hat sie die beiden oben angeführten Modelle analysiert. So unterschiedlich diese beiden Varianten sind, so verschieden war auch die Platzierung im internationalen Ranking: Befand sich Österreich mit der 30+6-Monats-Variante im unteren Mittelfeld der europäischen Staaten, rangierte es beim einkommensabhängigen Modell unter den Top Drei.

Trend zu Gleichstellung

Mit der Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes wurde also ein Schritt in Richtung Väterbeteiligung und mehr Gleichstellung gemacht. Das neue Kinderbetreuungsgeld-Konto sieht zusätzliche Anreize für eine partnerschaftliche Teilung der Karenzzeiten vor. Damit liegt Österreich im internationalen Trend.

In vielen europäischen Ländern wird Karenzpolitik als Maßnahme zu mehr Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern bei Familienarbeit eingesetzt. In Schweden und Norwegen geht diese Schwerpunktsetzung bereits bis in die 1970er-Jahre zurück.

Schweden war 1974 das erste Land, das für Väter einen Anspruch auf Karenz gewährt hat. Da diese den Anspruch aber meist auf ihre Partnerinnen übertrugen, führten einige nordische Staaten eine sogenannte „Vaterquote“ ein. Diese sieht vor, dass ein gewisser Teil der Karenz nur von den Vätern beansprucht werden kann. So gibt es in Schweden seit 2002 eine Vaterquote von zwei Monaten. Heute gehen dort 9 von 10 Vätern in Karenz.

Auch in Österreich kann ein gewisser Anteil des KBG nur von Vätern in Anspruch genommen werden. Mit dem neuen KBG-Konto wurde dieser Anteil noch erhöht. Fast schaut es aus, als wäre Österreich Vorreiter in Sachen fortschrittlicher Familienpolitik. Das trifft aber nur punktuell zu.

Unentschlossene Familienpolitik

In der Gesamtsicht mutet österreichische Familienpolitik seltsam unentschlossen an. Einerseits wurde in den letzten Jahren viel Geld an Familien ausgeschüttet. Allein die Erhöhung der Familienbeihilfe machte 800 Millionen Euro aus. Damit wird eine traditionelle Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern eher verfestigt. Gleichzeitig wurde vom Bund fast eine halbe Milliarde Euro für den Ausbau von Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt, was es Frauen beträchtlich erleichtert, auch mit Kindern erwerbstätig zu sein. Kurz gesagt: Es wird viel Geld darauf verwendet, konservative und fortschrittliche Familienpolitik gleichermaßen zu betreiben.

Mehr Chancengleichheit für Kinder

Dabei spräche nicht nur der internationale Trend dafür, deutlich mehr Geld in die Kinderbetreuung zu investieren. Das würde nicht nur zur Gleichstellung am Arbeitsmarkt beitragen, es könnten auch Tausende Jobs damit geschaffen werden. Zudem würde die Chancengleichheit der Kinder massiv gefördert. Und nicht zuletzt würden sich diese Investitionen aufgrund der positiven Beschäftigungseffekte schon in wenigen Jahren für die öffentliche Hand rechnen.