Was Grundeinkommen und sozialökologische Infrastruktur (nicht) leisten können

13. Dezember 2016

Andreas Novy behauptete auf diesem Blog, dass der Ausbau sozialökologischer Infrastruktur die progressive Alternative zum Bedingungslosen Grundeinkommen sei. Doch geht es hier tatsächlich um ein klares Entweder-oder? Um dieser Frage nachzugehen, soll hier reflektiert werden, was von den Forderungen nach Grundeinkommen und sozialökologischer Infrastruktur erwartet wird, was sie leisten können, was nicht, und inwiefern sie sich ergänzen. Wird das Grundeinkommen, wie von Novy, verkürzt als „Konsumgeld“ dargestellt, dann wird ein entscheidender Punkt übergangen: die Relativierung der Lohnabhängigkeit durch das Grundeinkommen. Außerdem gibt es gute Gründe anzunehmen, dass das Grundeinkommen komplementär zur von Novy vorgeschlagenen Infrastruktur zum sozialökologischen Umbau beitragen kann.

Das Grundeinkommen kann, was sozialökologische Infrastruktur nicht kann

Was kann das Grundeinkommen leisten? Es hätte als Geldleistung die Funktion, Not zu lindern – damit hat Andreas Novy nicht unrecht. Das Grundeinkommen vermeidet auch, ganz nebenbei, Probleme der bedarfsorientierten Mindestsicherung, wie die Nichtaufnahme aufgrund von Stigmatisierung, mangelnder Information oder bürokratischer Hürden sowie die eingebaute Armutsfalle der Mindestsicherung, die wegfällt, sobald dazuverdient wird.

Befürworter*innen erwarten vom Grundeinkommen aber mehr. Das Grundeinkommen bringt mehr Autonomie für alle Menschen. Wir würden uns damit ermöglichen, in Freiheit tätig zu sein, indem wir unsere individuelle und kollektive Verhandlungsmacht gegenüber dem Kapital stärken. Je höher das Grundeinkommen, desto stärker wird der Zwang zur Lohnarbeit relativiert und das zentrale Element des Kapitalismus, die Warenform der Arbeitskraft, infrage gestellt. Eine „leistbare“ sozialökologische Infrastruktur wird kaum so einfach, grundlegend und flächendeckend zu verwirklichen sein, dass sie uns als Individuen tatsächlich umfassend vom Überlebenskampf am Arbeitsmarkt entlastet.

Konsumismus als größtes Übel des Kapitalismus?

Andreas Novy behauptet, dass der Konsumismus neben dem Wachstumszwang eine der zwei bedeutsamen Säulen kapitalistischer Marktgesellschaften sei. Damit meint er „die Illusion, menschliche Bedürfnisse seien vorrangig mit Geld zu befriedigen“. Diese Behauptung erscheint mir als zynisch. Menschen, die heute über wenig Geld verfügen und damit vom Zugang zu Konsumgütern ausgeschlossen sind, werden sich freuen, belehrt zu werden, dass sie sich nur einer „Illusion“ hingeben. Andreas Novy befürchtet in der Zwischenzeit, „dass auch ein bedingungsloses Grundeinkommen die Struktur des Konsumismus befördert und kaum zur notwendigen Transformation beiträgt.“

Sozialökologische Infrastruktur als diktierte Blaupause für das gute Leben

Andreas Novy behauptet daher weiter, dass eine sozialökologische Transformation eine andere Form der sozialen Absicherung als das Bedingungslose Grundeinkommen brauche: „Gutes Leben für alle erfordert ein Wohlstandskonzept, das die Bedeutung von Geld und Konsum für das gute Leben einschränkt.“ Damit suggeriert er, dass durch die Ablehnung des Grundeinkommens und die ausschließliche Befürwortung einer sozialökologischen Infrastruktur die Bedeutung von Geld und Konsum eingeschränkt würde.

Doch inwiefern wäre das tatsächlich der Fall – und vor allem für wen? Der Konsum der Wohlhabenden und Gutverdienenden würde dadurch nicht eingeschränkt, sondern nur die freie Wahl von denen, die über wenig Geld verfügen und deren Autonomie durch das Grundeinkommen am meisten gestärkt würde. Zu entscheiden, was für diese Menschen für ein gutes Leben „notwendig“ und „ökologisch nachhaltig“ ist, will Andreas Novy nicht aus der Hand geben. Nur die geplante sozialökologische Infrastruktur könne den Konsumismus stoppen und die sozialökologische Transformation voranbringen.

Lohnabhängigkeit als Hindernis für ökologische Veränderung

Doch ist es tatsächlich vor allem der Konsumismus, der notwendigen Eingriffen im Weg steht? Ein Beispiel. In China will die Regierung alte Werke der Stahl- und Kohleindustrie schließen, doch die Belegschaft wehrt sich dagegen – mit gutem Grund: um ihr Einkommen nicht zu verlieren. Oft scheitert sozialökologische Transformation also nicht an einem „Mangel an Umweltbewusstsein“ oder am „Konsumismus“, nicht einmal – wie dieser Fall zeigt – an einem „Mangel an [repräsentativer] Demokratie“, sondern am Festhalten an der Diktion, dass alle „normalen“ Menschen ihren Lebensunterhalt individuell über den Arbeitsmarkt bestreiten müssten.

Mit dem Grundeinkommen im Hintergrund könnte eine ernsthafte gesellschaftliche Diskussion über die Schließung von ökologisch problematischen Industrien geführt werden.

Das Grundeinkommen kann auch, was sozialökologische Infrastruktur kann

Das Grundeinkommen würde denen, die sonst von der „ungeheuren Warensammlung“ ausgeschlossen blieben, mehr Konsum ermöglichen. Das würde indirekt zu einer Steigerung von Investitionen und mehr Wachstum in bestimmten Bereichen führen, die diesen Menschen wichtig sind. Für die Finanzierung des Grundeinkommens ist eine beträchtliche Rückumverteilung von hohen Einkommen und Vermögen notwendig. Dadurch kommt es zunächst zu einer Verschiebung von Investitionsausgaben hin zu Konsumausgaben. Investitionen im Kapitalismus dienen in erster Linie dazu, aus Geld mehr Geld zu machen, sind also wachstumsfördernd. Der Wachstumswirksamkeit des Grundeinkommens durch Konsum steht aufgrund der Umverteilung also die Wachstumsminderung durch einen direkten Rückgang von Investitionen gegenüber.

Außerdem birgt das Grundeinkommen Potenzial in sich, nebenbei das von Andreas Novy herausgepickte Problem des „Konsumismus“ zu bearbeiten. Denn oft konsumieren wir nur als Kompensation für fehlende Sinnerfüllung in der Arbeit oder zum Abbau von Stress und Überarbeitung. Das Grundeinkommen hingegen ermöglicht es uns, sinnvolle Tätigkeiten zu suchen und die Balance von Arbeit und Muße stärker selbst zu bestimmen. Wir können uns dann aussuchen, nicht mehr nur für das Einkommen und den Konsum zu arbeiten.

Geld und Ware oder Lohnabhängigkeit als Springpunkt des Kapitalismus?

Hinter den zwei Forderungen liegen tiefgreifende theoretische Unterschiede: Die Forderung nach sozialökologischer Infrastruktur glaubt im Geld, der Warenform und dem Konsumismus zentrale Übel der neoliberalen Marktwirtschaft zu erkennen.

Die Forderung nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen hingegen sieht das zentrale Merkmal der kapitalistischen Produktionsweise in der Warenform der Arbeitskraft. Denn Geld und Waren gab es bereits bevor der Kapitalismus die dominante Produktionsweise unserer gegenwärtigen Gesellschaftsformation wurde. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass wir die eigene Arbeitskraft als Ware verkaufen müssen, um Zugang zu den Lebens-Mitteln zu erhalten. Scheinbar werden wir für unsere geleistete Arbeit bezahlt, tatsächlich werden wir nur für die Wiederherstellung unseres Arbeitsvermögens bezahlt. Trotz scheinbarer Gleichheit aller Individuen vor dem bürgerlichen Recht und am Markt, kommt es so zum strukturellen Ausschluss vieler vom gesellschaftlich produzierten Reichtum.

Befreiung vom oder durch Geld?

Oft wird die Gewalt der Abstraktionsfunktion des Geldes und die entpersönlichenden Effekte in Alltagstheorien betont und moralisch kritisiert. Dabei wird übersehen, dass durch Geld auch bestehende Klassifizierungen nach Status und Rang in Frage gestellt wurden und Geld insofern befreiend wirkt. Am Ende einer Aufzählung, die belegen soll, dass Sachleistungen besser als Geldleistungen seien, weil letztere problematische Strukturen wie ungleiche Geschlechterverhältnisse verstärken würden, schreibt Andreas Novy etwa folgendes: „Das Pflegegeld wiederum hat legale und halb-legale Märkte für Betreuungsarbeiten gefördert und zur verstärkten transnationalen Migration von Frauen geführt.“ Die suggerierte Betrachtung ist einseitig. Denn diese prekäre und schlecht bezahlte Beschäftigungsmöglichkeit, die oft zu Mehrfachbelastung führt, kann für manche dieser Frauen gleichzeitig als Befreiung aus patriarchalen Strukturen zuhause erscheinen, weil sie nun über eigenes Einkommen verfügen. Das Grundeinkommen würde diese Ermächtigung bedingungslos machen.

Grundeinkommen ergänzt um sozialökologische Infrastruktur als Ziel

Das Grundeinkommen als Geldbetrag überlässt uns in größerem Ausmaß, für uns selbst zu entscheiden, was für ein gutes Leben notwendig ist. Die Personenbezogenheit ist die Stärke, aber auch eine Schwäche des Grundeinkommens. Zweifelsohne bedarf es für ein gutes Leben auch, wie Andreas Novy betont, „Einrichtungen und Infrastrukturen, die leistbar sind und ökologisch nachhaltig Bedürfnisse befriedigen.“ Das Grundeinkommen garantiert, dass wir eine sozialökologische Infrastruktur aufbauen, ohne dass unsere Autonomie durch diktierte Blaupausen für „das gute Leben“ eingeschränkt wird. Wenn unser Ziel eine sozialökologische Transformation ist, die nicht autoritär verläuft, dann kann das Grundeinkommen nie vollständig durch sozialökologische Infrastruktur ersetzt werden.

Bei der sozialökologischen Infrastruktur werden immer unterschiedlichste Vorstellungen über das gute Leben basierend auf unterschiedlichen Ausgangslagen aufeinandertreffen. Um mit den Beispielen von Andreas Novy zu schließen: Es wird einen Unterschied machen, ob ich in Wien oder Güssing lebe. Selbst wenn ich derzeit in Wien lebe, hilft mir die Donauinsel wenig, wenn ich unbezahlt an Wochenenden arbeite, um für den Wettbewerb um knappe Arbeitsplätze irgendwo anders gerüstet zu sein, wenn mein befristeter Arbeitsvertrag bald ausläuft. Hingegen kann das Grundeinkommen die Forderung für viele werden, gerade weil es bedingungslos ist und nicht an bestimmte Arbeits- und Lebenslagen anknüpfen muss. Das Grundeinkommen können wir alle – egal ob gerade in Güssing, Wien oder sonst wo – gemeinsam fordern.

Der Grundeinkommen-kritische Beitrag von Andreas Novy im Oktober entfachte eine lebhafte Debatte über Sinn und Unsinn des Grundeinkommens. Dieser Beitrag von Christof Lammer steht exemplarisch für die Argumente der Grundeinkommen-BefürworterInnen – auch wenn er nicht den Positionen in der Redaktion entspricht, wird er hier im Sinne einer Debatte über die Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft im Interesse der arbeitenden Menschen veröffentlicht.