Was die neue Regierung zu tun hätte, Teil II: gerechte Verteilung des Wohlstandes

31. Oktober 2017

Die neue Bundesregierung findet günstige wirtschaftliche Ausgangsbedingungen vor. Doch neben dem Arbeitsmarkt – siehe dazu den Blogbeitrag vom 23. Oktober 2017 – bestehen besonders bei der Ungleichheit erhebliche Herausforderungen. Dazu zählen die gesellschaftlichen Probleme, die mit geringer Transparenz und hoher Konzentration des Vermögensbesitzes verbunden sind.

Zusammen mit den zu geringen Investitionen in die Kindergärten und Volksschulen mit besonders großen sozialen Herausforderungen gefährdet das die soziale Mobilität. Derzeit wirkt der Sozialstaat der zunehmenden Spreizung der Markteinkommen tatkräftig entgegen. Statt kleingespart, muss der Sozialstaat vielmehr zielgerichtet ausgebaut werden (z. B. durch einen Ausbau des sozialen Pflegesystems, der mittels einer Erbschaftssteuer finanziert wird).

Sozialstaat ermöglicht egalitäre Verteilung der verfügbaren Einkommen

Die Verteilungssituation ist in Österreich im Vergleich zu den anderen EU-Ländern vor allem in Bezug auf die verfügbaren Einkommen (nach Abzug der Abgaben und unter Hinzurechnung von Sozialtransfers) recht günstig. Das mediane Äquivalenzgesamtnettoeinkommen zu Kaufkraftstandards, welches das real verfügbare Einkommen des Haushalts in der Mitte der Gesellschaft darstellt und einen geeigneten Indikator zur Bewertung des materiellen Lebensstandards bildet, weist nach Luxemburg den zweithöchsten Wert in der EU 28 auf. Neben der relativ hohen Wirtschaftsleistung pro Kopf ist das vor allem den positiven Wirkungen des Sozialstaates auf den Lebensstandard zu verdanken: Österreich weist ein besonders starkes Umverteilungsvolumen durch Sozialtransfers und auch soziale Dienstleistungen auf.

Von konservativer Seite wird die Umverteilung oft beklagt, meist in rein ideologischer Absicht und ohne Kenntnis grundlegender Fakten und Prinzipien des Sozialstaates. Das uninformierte Diktum, in den Sozialstaat würden nur wenige Leistungswillige einzahlen, um eine breite Masse von wenig Leistungsbereiten zu finanzieren, offenbart dies in erschreckender Weise. Tatsächlich stammt das Aufkommen an Lohn- und Einkommenssteuer in erheblichem Ausmaß vom oberen Einkommensdrittel, was bei einer progressiven Steuer und relativ ungleicher Verteilung der Bruttoeinkommen nicht weiter überrascht. Doch diese Steuerart bildet nur etwa ein Sechstel der gesamten staatlichen Einnahmen. Analysiert man die Verteilungswirkung aller Abgaben, so stellt sich schnell heraus, dass alle Bevölkerungsgruppen gemessen am Einkommen etwa gleich viele Abgaben zahlen, nur die unteren und oberen Ränder der Verteilung bleiben leicht zurück.

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: WIFO (2016), eigene Darstellung. © A&W Blog
Quelle: WIFO (2016), eigene Darstellung.

Weiters erfolgt die Umverteilung – wie das WIFO in seiner jüngsten Studie zu den Verteilungswirkungen der Staatstätigkeit neuerlich gezeigt hat – primär über sozialstaatliche Leistungen. Die positiven Verteilungseffekte gehen von sozialen Transfers wie den Kinderbeihilfen ebenso aus wie von sozialen Dienstleistungen wie der Gesundheitsversorgung und den Pflegeleistungen. Von diesen Leistungen profitieren nicht nur „die Armen“, sondern alle Bevölkerungsgruppen – allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens, nämlich zielgerichtet dann, wenn sie die Leistungen der Solidargemeinschaft auch brauchen. Die erhebliche Umverteilungswirkung, die an den konkreten lebensweltlichen Bedürfnissen der Menschen anknüpft, ist Ausdruck der Stärke unseres breiten sozialen Sicherungssystems sowie Basis für wirtschaftlichen Erfolg und nicht Hinderungsfaktor.

Hohe Konzentration der Vermögen bei den Reichen

Trotz der relativ günstigen Ausgangssituation gibt es im Verteilungsbereich eine Reihe von offenen Fragen, die zunächst die Vermögen der privaten Haushalte betreffen. Laut den Daten des Household Finance and Consumption Surveys des Europäischen Zentralbankensystems weist Österreich eine sehr hohe Vermögenskonzentration auf.

Die Ursachen und Folgen dieses Faktums müssen nüchtern analysiert werden. Es ist wenig bedenklich, wenn das gut ausgebaute soziale und umlagefinanzierte Pensionsversicherungssystem in Österreich im Gegensatz zu vielen anderen Ländern keine umfangreiche private und kapitalgedeckte Pensionsvorsorge notwendig macht, jedenfalls solange weitere Leistungskürzungen im ASVG verhindert werden können. Gleiches gilt für den im europäischen Vergleich gut entwickelten und hochqualitativen Sektor des kommunalen und genossenschaftlichen Mietwohnungsbestandes, der privates Eigentum an Wohnraum nicht notwendig macht, solange die Wohnbautätigkeit der öffentlichen Hand mit dem raschen Bevölkerungswachstum vor allem in den Ballungszentren mithält. In Österreich braucht man also kein großes privates Vermögen, um dennoch recht gut leben zu können, denn der Sozialstaat ist das Vermögen der breiten Mittelschicht.

Jedoch bringt die Vermögenskonzentration erhebliche Probleme mit sich: Das oberste Prozent der Haushalte besitzt ein Vermögen von mehr als 500 Milliarden Euro bzw. etwa 40 % des gesamten Haushaltsvermögens. Einige wenige vom Schicksal Begünstigte verfügen damit über unangemessen hohen Einfluss auf Wirtschaft, Politik und Medien, was nicht zuletzt erhebliche demokratiepolitische Gefahren mit sich bringt; zudem wird diese starke Konzentration der Vermögen in wachsendem Ausmaß an die nächste Generation vererbt, was nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Anreizstrukturen auf den Kopf stellt; dazu kommt, dass Steuervermeidung und -hinterziehung im obersten Vermögenssegment besonders häufig auftreten. Gabriel Zucman hat zuletzt gezeigt, dass selbst in den skandinavischen Ländern im Top 0,01 % der Vermögensverteilung 25 % bis 30 % der persönlichen Steuern hinterzogen werden.

Höhere Transparenz bei Vermögen

Die Ansatzpunkte für die Problemkuren im Vermögensbereich liegen auf der Hand: Eine unabdingbare Voraussetzung für einen faktenorientierten politischen Diskurs ist das Vorhandensein von Daten. Mit dem Household Finance and Consumption Survey (HFCS) liegen seit 2012 erstmals aussagekräftige Daten über die Vermögensverteilung vor; der Survey leidet allerdings unter der Untererfassung besonders reicher Haushalte. Deshalb ist die wichtigste Forderung jene nach der Erhöhung der Transparenz. Es ist nicht akzeptabel, wenn der Staat einerseits bei den Einkommen der Unselbstständigen (zu Recht) auf eine vollständige Erfassung pocht, andererseits aber bei den Vermögen kein nennenswertes Interesse an objektiven Informationen zeigt.

Einen ersten notwendigen Schritt bildet die Verankerung einer Auskunftspflicht bei der Vermögenserhebung; zweitens geht es um den Einsatz von „Oversampling“, also um die Einbeziehung von mehr Reichen in das Sample des HFCS; drittens ist ein regelmäßiger Reichtumsbericht der Bundesregierung notwendig, in dem der vorhandene Informationsstand und die Ergebnisse der vorliegenden wissenschaftlichen Analysen dargelegt werden; viertens muss die Finanz aggressiver den Steuervermeidungsstrategien der Superreichen nachgehen und dafür alle zur Verfügung stehenden Daten einsetzen.

Gefährdete soziale Mobilität

Ein zweites zentrales Verteilungsproblem betrifft die zu geringe soziale Mobilität. Während es etwa mithilfe beharrlicher Anstrengungen zur Öffnung des Bildungssystems in den 1970er- und 1980er-Jahren gelang, den Kindern aus den Arbeiterschichten die gesamte Bildungslandschaft zu öffnen, trifft dies heute immer weniger zu. Das Bildungssystem droht neuerlich schichtenspezifisch zu versteinern, was für die gesamte Gesellschaft äußerst gefährliche Auswirkungen mit sich brächte.

Die Ansatzmöglichkeiten der Politik sind vielfältig. Sie müssen jedenfalls einen starken Schwerpunkt am Beginn der Bildungslaufbahn setzen, indem in Kindergärten und Volksschulen vor allem dort investiert wird, wo die sozialen Herausforderungen besonders groß sind.

Zunehmende Ungleichheit der Primäreinkommen

Das dritte drängende Verteilungsproblem bildet die kontinuierliche Zunahme der Ungleichheit der Primäreinkommen: Die zunehmende Segmentierung des Arbeitsmarktes, die in einer wachsenden Zahl von prekär und vor allem nicht kontinuierlich Beschäftigten zum Ausdruck kommt, spielt hier ebenso eine Rolle wie die hohe Konzentration von Kapitaleinkommen, die nur einer kleinen Schicht von Vermögenden zugutekommt.

Noch kann der Sozialstaat die zunehmende Ungleichheit der Primäreinkommen so kompensieren, dass die Sekundärverteilung in Österreich relativ egalitär ist. Doch massive Steuersenkungen, die im Wahlkampf propagiert wurden und notwendigerweise entsprechende Sozialausgabenkürzungen nach sich ziehen würden, können das sehr rasch ändern.

Sozialstaat: Das Vermögen der breiten Mittelschicht

Der Sozialstaat erfüllt derzeit seine wichtige Rolle des sozialen Ausgleichs über den Lebenszyklus und zwischen sozialen Gruppen sehr gut.

Eine besondere Herausforderung ergibt sich im weiteren Ausbau des Pflegesystems, wo Österreich hinter den skandinavischen Ländern hinterherhinkt. Im Wahlkampf wurde von einzelnen Parteien ein reales Nullwachstum der Ausgaben gefordert. Dies wäre generell im Sozialbereich, ganz besonders aber bei der Pflege untragbar. Die derzeitigen Pläne sehen einen realen Ausgabenpfad von etwa +2 % pro Jahr vor. Das ist auch dringend notwendig, um bei alternder Bevölkerung ein modernes Pflegesystem aufzubauen, das allen Menschen – nicht nur den reichen – eine qualitativ hochwertige Versorgung garantiert.

Die AK fordert bereits seit langem, den notwendigen Ausbau des Pflegesystems mit der Zweckbindung des Aufkommens einer griffigen Erbschaftssteuer zu finanzieren. Damit würden verteilungspolitisch mehrere Ziele auf einmal erreicht werden: Die Lebensbedingungen der Menschen im Alter würden unabhängig von ihrem Vermögensstatus merklich verbessert und eine dynastische Vererbung der Vermögenskonzentration über Generationen hinweg könnte eingedämmt werden.