Wachsende Stadt in Zeiten des Sparens

11. Februar 2014

Wien wächst – die Prognosen  von Statistik Austria gehen davon aus, dass bis 2031 weitere 240.000 EinwohnerInnen dazukommen werden. Innerhalb von 30 Jahren wäre Wien dann um Graz und Linz gewachsen. Gleichzeitig soll gespart werden – das Nulldefizit für 2016 ist Bestandteil des innerösterreichischen Stabilitätspaktes, mit dem die unionsrechtlichen Vorgaben zur Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten umgesetzt werden sollen. Wien soll also in den kommenden 15 Jahren die Infrastruktur von Graz errichten – sich aber für Investitionen nicht verschulden. Das alles dann auch noch im siebenten Jahr einer Wirtschaftskrise. Ein gute Anlass, sich mit der antizyklischen Fiskalpolitik und der Rolle von Investitionen zu befassen.

Doppeldividende durch gezielte Konjunkturmaßnahmen

Die Herausforderungen der Stadt bestehen in einem Abfedern der krisenhaften Konjunkturentwicklung einerseits und einer Investitionspolitik für die wachsende Stadt andererseits. Das Österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut spricht im Zusammenhang mit – sich z. T. selbst finanzierenden – gezielten konjunkturpolitischen Maßnahmen davon, dass eine „Doppeldividende“ erzielt werden könne.

Es muss demnach darum gehen, konjunkturpolitische Maßnahmen mit wirtschaftspolitisch nachhaltig sinnvollen Maßnahmen zu verbinden – etwas, was in einer wachsenden Stadt mit dem entsprechenden Bedarf an Infrastruktur möglich ist. Hierzu sind allerdings Regelungen Voraussetzung, die Investitionen ermöglichen und nicht verhindern. Derzeit sehen jedoch sowohl die österreichischen als auch die europäischen Regelungen Schuldenobergrenzen vor, die auch sinnvolle und wertsteigernde Investitionen verhindern. Denn klar ist: Jeder gebauten Schule steht der Wert des Gebäudes und der Nutzen der Bildung als entsprechender zukünftiger „Ertrag“ gegenüber. Deshalb hat die Wiener Vizebürgermeisterin Renate Brauner gefordert, Investitionen in Bildung und Forschung aus dem Stabilitätspakt auszunehmen.

Warum diese Forderung sinnvoll ist und unterstützt werden sollte wird in der Folge hergeleitet: Anhand

  • der konjunkturellen Entwicklung,
  • der Bevölkerungsentwicklung in Wien und
  • der sogenannten „Golden Rule“.

 Konjunkturentwicklung und antizyklische Fiskalpolitik in Wien

Wir befinden uns im siebenten Jahr der Weltwirtschaftskrise, die auch an Wien nicht spurlos vorübergangenen ist. Zwar ist Wien vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, aber auch hier steigt die Zahl der Arbeitslosen an.

Im Jahr 2006 wuchs die Wiener Wirtschaft noch um gut 4%. Im Sommer 2007 setzte in den USA die Immobilienkrise ein, worauf es zu kettenartigen Insolvenzreaktionen in der Banken- und Finanzbranche kam. Österreich und Wien blieben zunächst noch teilweise von der aussetzenden Nachfrage verschont – doch ab 2009 schlug auch bei uns der weltweite Einbruch des Welthandels voll durch. Eine effektive und angemessene Reaktion auf die Krise wurde – zumindest in Europa – durch die verstärkte Ächtung staatlicher Defizite verhindert.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Es waren nicht zuletzt die konjunkturpolitischen öffentlichen Maßnahmen, die dann für ein vorläufig aufkeimendes Vertrauen der Unternehmen und Haushalte sorgten, sodass 2010 und 2011 überraschend schnell wieder ein verhältnismäßig hohes Wachstum in Wien einsetzte. Die Prognosen am aktuellen Rand machen jedoch deutlich, dass von einer nachhaltigen Erholung nicht die Rede sein kann – zumal die Anzahl der EinwohnerInnen gleichzeitig erheblich angestiegen ist.

Wien als Stadt und Bundesland ist alleine zu klein, um gegen die Krise anzukämpfen. Als Kommune ist Wien aber in der Lage, die vorhandenen Aufgaben zu bündeln und insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu investieren. So hat Wien einen Teil des wirtschaftlichen Einbruchs abfedern können – mit entsprechenden Bewegungen beim Schuldenstand.

Wien hat in den Jahren vor der Krise seine Schulden zurückgefahren. Im Jahr 2001 betrug der Schuldenstand 3,6 Prozent des Bruttoregionalproduktes (BRP), dies ging bis 2008 kontinuierlich auf 2,0 Prozent des BRP zurück. Dieser Rückgang begründet sich sowohl aus einem wachsenden Regionalprodukt – merke: Aus Schulden kann man sich herauswachsen – als auch aus einem Abbau des Schuldenstandes.

Ab 2009 hat Wien massiv auf die Krise reagiert, aber nicht mit einer Sparorgie, sondern aktiver antizyklischer Fiskalpolitik: Trotz in Krisenzeiten stets sinkender Staatseinnahmen wurde mehr investiert um den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu bremsen. Die Folge: Wiens Schuldenstand ist bis 2012 auf etwa 5,5 Prozent des BRP gestiegen. Dazu ist anzumerken, dass die Kosten des Nicht-Handelns in Form von Arbeitslosigkeit und fehlender Infrastruktur deutlich höher gewesen wären als die Kosten des Handelns in Form von (niedrigen) Zinsen für fremdfinanzierte Investitionen. Würde der Staat in der Krise sparen, würden wichtige öffentliche Vorhaben blockiert und gleichzeitig das Auftragsvolumen für die Wirtschaft sowie alle nachfragewirksamen Ausgaben und damit die Inlandsnachfrage gebremst. Diese fehlende Staatsnachfrage träfe in einer Krise auf das Fehlen einer privaten Nachfrage – und eine verschärfte wirtschaftliche Abwärtsspirale wäre die Folge.

Staatlichen Ausgaben ermöglichen z.B. gute Bildung und Mobilität. Ihnen steht somit ein konkreter Nutzen bzw. höhere Lebensqualität für die Bevölkerung gegenüber. Deshalb sind Schlagzeilen wie „Den Steuerzahler ausplündern ist keine besondere Leistung“ realitätsfremd und dogmatisch – das Geld der SteuerzahlerInnen fließt schließlich in konkrete Leistungen. Dieselbe Ausgabe führt zudem auch zu positiven konjunkturpolitischen Effekten – es werden Aufträge für Unternehmen, Arbeitsplätze und damit Einkommen gesichert, was wiederum die Wirtschaft belebt. Der direkte Nutzen, der von der Ausgabe ausgeht, und die konjunkturpolitischen Effekte bilden gemeinsam die oben angesprochene „doppelte Dividende“.

Künftige Generationen profitieren – und wer zahlt?

Es gibt zahlreiche Argumente, die Frage der Fremdmittelaufnahme durch die öffentliche Hand nicht dogmatisch zu betrachten sondern die ökonomischen Implikationen in den Mittelpunkt zu stellen. Hierzu ist die Beachtung der „Grundrechenarten“ der Ökonomie – nämlich die Tatsache, dass jeder Kauf auch ein Verkauf ist – Grundvoraussetzung. Und es müsste klar sein, dass die Finanzierung von Ausgabenspitzen großer Vorhaben gar nicht anders als über Fremdmittelaufnahmen finanziert werden können – sonst müsste der Staat schon im Vorhinein für ein noch unsicheres Projekt Rücklagen bilden. Wenn aber heute eine U-Bahn verlängert wird, dann haben den Nutzen davon nicht nur die heutigen, sondern auch die künftigen Generationen, so dass sowohl die heutige als auch künftige Generationen an der Finanzierung beteiligt werden können.

Die Bevölkerungsveränderungen, die Wien noch bevorstehen sorgen dafür, dass die Bundeshauptstadt zum „jüngsten“ aller Bundesländer werden wird. Die Effekte der Zuwanderung aus dem In- und Ausland tragen hierzu bei, da die neuen Wienerinnen und Wiener eher jünger sind und zudem die steigende Anzahl potentieller Mütter zu einer steigenden Anzahl an Geburten führt (2012 wurden so viele Kinder von Wienerinnen geboren wie seit 1969 nicht mehr.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Anzahl der unter 15-Jährigen wird laut Statistik Austria bis 2031 um 24 Prozent wachsen – was eine enorme Herausforderung für die Bildungsinfrastruktur – Kindergärten, Schulen – bedeutet.

Investitionsbezogener Staatsverschuldungsbegriff

Vizebürgermeisterin Brauner hat öffentlich vorgeschlagen, Investitionen in Bildung aus dem Staatsverschuldungsbegriff herauszunehmen. Dies ist die logische Konsequenz aus den Themen „Doppeldividende“, wachsende Stadt und antizyklische Fiskalpolitik. Die Begründung der Aufnahme von Krediten zum Zwecke von Investitionen findet sich im Schutz staatlichen Vermögens, da das Vermögen erhalten bleibt, wenn der Neuverschuldung entsprechende Vermögenszugänge (Investitionen) gegenüberstehen.

Das Verschuldungsregime an den Investitionen zu orientieren ist keine neue Debatte. So wurde 1969 in Deutschland der Verfassungsgrundsatz festgelegt, dass die Kreditaufnahme in der Regel nicht höher liegen darf als die Ausgaben für Investitionen („Goldene Regel“). Und als die sogenannte deutsche Schuldenbremse diese Regel ersetzten sollte, forderte sogar der deutsche Sachverständigenrat eine neuerliche Ausnahme für Investitionen.

Auf europäischer Ebene ist die Frage nach mehr Spielraum bei der Finanzplanung der EU-Mitgliedstaaten immer wieder ein Thema. Es wird darum gehen müssen, die Debatte um ein ökonomisch sinnvolles Staatsverschuldungsregime zu führen und hier auch zu Änderungen zu kommen, die Investitionen in Bildung und Forschung ermöglichen. Denn diese Investitionen kommen auch und gerade den Jungen zu Gute – diese erben entgegen mancher populistischer Äußerungen nämlich nicht nur Schulden, sondern auch Forderungen bzw. Vermögen.