Vorschlag für ein magisches Vieleck der aktiven Arbeitsmarktpolitik

29. März 2017

Angesichts der Rekordarbeitslosigkeit (siehe z. B. im Blog Marterbauer, Tamesberger) herrscht eine widersprüchliche Diskussion über die Arbeitsmarktpolitik vor. Zum einem wird die Arbeitsmarktpolitik für immer mehr Herausforderungen als Lösungsstrategie herangezogen. Zum anderen wird ihre Wirksamkeit infrage gestellt. Hintergrund ist das Fehlen von klaren Maßstäben bzw. Vorstellungen darüber, was Arbeitsmarktpolitik leisten soll und kann. In einem aktuellen Artikel bieten wir eine humane und ökonomisch vernünftige Orientierung auf Basis eines erweiterten Zielkanons an.

Erweiterung der Ziele der aktiven Arbeitsmarktpolitik

In Anlehnung an das magische Vieleck der Wirtschaftspolitik (siehe beispielsweise Feigl, Marterbauer) sind Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik auch mit einer Vielzahl von Zielen konfrontiert, welche in der öffentlichen Diskussion, aber auch bei der Diskussion auf fachlicher bzw. wissenschaftlicher Ebene kaum Berücksichtigung finden. Laut Arbeitsmarktservicegesetz werden Verhinderung und Verminderung von Arbeitslosigkeit als ultimative Ziele der Arbeitsmarktpolitik genannt. Hierbei bleiben andere positive Effekte der Arbeitsmarktpolitik unbeachtet. Die politische Herausforderung besteht natürlich darin, zu definieren, welche Ziele als human und ökonomisch vernünftig angesehen werden. Hierbei leitet uns der Grundgedanke eines „magischen Vielecks“. Demnach können widersprüchliche Ziele durchaus nebeneinander stehen, aber die Kunst einer vernünftigen Politik besteht darin, mehreren Zielen gleichzeitig und ausbalanciert nachzugehen. In Hinblick darauf, was nun tatsächlich eine humane und ökonomisch sinnvolle Arbeitsmarktpolitik kennzeichnet, betont Rothschild (1990) die Notwendigkeit einer gleichzeitigen und ausgewogenen Berücksichtigung der Interessen von Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern bzw. Arbeitslosen und Arbeitgeberinnen/Arbeitgebern.

Vor diesem Hintergrund schlagen wir einen Kanon von zumindest acht Zielen der Arbeitsmarktpolitik vor, die es im Rahmen eines magischen Vieleckes zu vereinen gilt:

  • Senkung der Arbeitslosigkeit
  • Veränderung des Arbeitsangebots (nicht nur der Anzahl der Personen, sondern auch der Anzahl der Bewerbungen beim Suchprozess)
  • Bewältigung des Strukturwandels (Verbesserung der qualifikatorischen Passungen von Arbeitsangebot und –nachfrage)
  • Beseitigung von Vermittlungseinschränkungen (persönliche Defizite [z. B. fehlende Sprachkenntnisse, Gesundheitseinschränkungen] vs. fehlende generelle Rahmenbedingungen [z. B. Kinderbetreuungseinrichtungen])
  • Erhöhung der Chancengleichheit (Diskriminierungen entgegenwirken, aber auch die Aufwärtsmobilität in einem Unternehmen fördern)
  • Linderung der Folgen von Arbeitslosigkeit (Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern)
  • Verbesserung des Matchingprozesses (Beratung und Informationen, die ArbeitgeberInnen und Arbeitslose schneller zueinander finden lassen)
  • Erhöhung der Produktivität (gemessen am quantitativen und qualitativen Output der ArbeitnehmerInnen)
Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: Eigene Darstellung © A&W Blog
Quelle: Eigene Darstellung

Bei einzelnen Zielen ist die Interessenslage von Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern und Arbeitgeberinnen/Arbeitgebern ähnlich bzw. gleich (z. B. bei der Bewältigung des Strukturwandels, Verbesserung des Matchingprozesses), bei anderen werden eher entgegengesetzte Interessenslagen vorzufinden sein (Veränderung des Arbeitsangebotes, Steigerung der Produktivität) oder auch eher nur ArbeitnehmerInneninteressen vorliegen (Beseitigung von Vermittlungseinschränkungen, Erhöhung der Chancengleichheit und Linderung der Folgen von Arbeitslosigkeit). Aber auch zwischen den Zielen wird es in einzelnen Fällen zu einer positiven bzw. negativen Beeinflussung kommen. Beispielsweise wird die Beseitigung von Vermittlungseinschränkungen zu einer Erhöhung des Arbeitsangebots führen (aus ArbeitgeberInnensicht wünschenswert), aber die Erreichung des Ziels der Senkung der Arbeitslosigkeit wird möglicherweise aufgrund dieser Erhöhung des Arbeitsangebots erschwert.

Qualifizierungsmaßnahmen vereinen die meisten Ziele

In dem Beitrag wurden theoretische und empirische Befunde herangezogen, um eine Aussage über die Wirksamkeit auf einzel- und gesamtwirtschaftlicher Ebene (Mikro- und Makroebene) für ausgewählte Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Österreich (Eingliederungsbeihilfen, sozialökonomische Betriebe [SÖB] und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte [GBP], Qualifizierungsmaßnahmen sowie Beratungs- und Betreuungseinrichtungen) treffen zu können.

Unter allen untersuchten Maßnahmen des AMS konnten Qualifizierungsmaßnahmen die meisten Ziele beeinflussen. Lediglich bei der Verbesserung des Matchingprozesses sind keine direkten Auswirkungen zu erwarten. Qualifizierungsmaßnahmen haben vielfältige positive Auswirkungen auf alle anderen Ziele: von der Bewältigung des Strukturwandels bis hin zu einer partiellen Verbesserung von Vermittlungseinschränkungen (z. B. durch Sprachkurse). Am schlechtesten schneidet die Maßnahme der Eingliederungsbeihilfe (Lohnsubvention seitens des AMS für ArbeitgeberInnen) ab. Hier werden drei Ziele nur schlecht bzw. überhaupt nicht (Strukturwandel, Vermittlungseinschränkungen, Matchingprozess) und weitere drei Ziele entweder auf einzel- oder gesamtwirtschaftlicher Ebene nicht erreicht. Beratungs- und Betreuungseinrichtungen führen tendenziell zu keiner Lösung des Strukturwandels und des Matchingprozesses, beeinflussen aber die restlichen sechs Ziele positiv. Sozialökonomische Betriebe und gemeinnützige Beschäftigungsprojekte können zwar zur Erhöhung der Produktivität, aber eher wenig zur Bewältigung des Strukturwandels oder zur Verbesserung des Matchingprozesses beitragen. Dafür sind positive Auswirkungen auf die anderen Ziele zu erwarten.

Schlussfolgerungen

Eine humane und ökonomisch vernünftige Politik versucht möglichst viele der hier angeführten Ziele zu erreichen und dabei sowohl die Interessen von Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern bzw. Arbeitslosen und Arbeitergeberinnen/Arbeitgebern zu berücksichtigen. Das alleinige Schielen auf die Senkung der Arbeitlosigkeit würde aus dieser Perspektive zu kurz greifen. Ein ausgewogener Interessensausgleich zwischen Arbeitgeberinnen/Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern würde auch zu einer leichteren Verankerung eines solchen Zielkanons in Politik, Verwaltung und Gesellschaft beitragen. Weiters ist bei der Instrumenten- bzw. Maßnahmenwahl seitens des AMS verstärkt auf die Zielkonflikte, aber auch Zielharmonie zwischen den Zielen zu achten. Auch wenn alle der hier untersuchten Instrumente ihre Stärken haben und je nach Gewichtung sich ein anderes Ranking der Instrumente ergeben kann, scheinen Lohnsubventionen im Sinne von Eingliederungsbeihilfen die wenigsten Ziele zu erreichen, Qualifizierungen hingegen würden sich am besten bewähren.

Den ganzen Artikel gibt es in der SWS-Rundschau 4/2016 zum Nachlesen.

Weiterführende Literatur:

Rothschild, Kurt W. (1990) Arbeitslose: Gibt’s die? Ausgewählte Beiträge zu den ökonomischen und gesellschaftspolitischen Aspekten der Arbeitslosigkeit. Postkeynesianische Ökonomie. Bd. 4. Marburg.