Unterstützungsstrukturen für Jugendliche am Übergang Schule-Beruf/Ausbildung in OÖ

09. September 2015

Die Bewältigung des Übergangs Schule-Beruf/Ausbildung hat sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker zur zentralen Herausforderung in der Jugendphase entwickelt. Dabei hat ein nicht unerheblicher Teil der Jugendlichen, auch aufgrund der umfassenden Transformationsprozesse auf den Arbeitsmärkten, bei diesem Übergang mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Angesichts der weitreichenden Folgeprobleme eines frühen Schulabbruchs bzw. eines Bildungsabschlusses auf maximal Pflichtschulniveau – sowohl auf individueller wie auch gesellschaftlicher Ebene – hat sich in (Ober)Österreich ein umfassendes Unterstützungssystem entwickelt (Studie IBE).

 

Komplexes Stufenmodell hinsichtlich der Unterstützung von Jugendlichen

Oberösterreich verfügt über eine vielfältige und dichte Angebotslandschaft für ausgrenzungsgefährdete Jugendliche, die aber sowohl für „Insider“ wie auch Außenstehende bzw. Betroffene nur schwer zu durchschauen ist und inhaltlich ein komplexes Stufenmodell darstellt. Dieses erstreckt sich entlang der gestellten Anforderungen an die Jugendlichen (z.B. Zielerreichung) sowie dem Verbindlichkeitsausmaß (z.B. Mindeststundenausmaß) und kann in drei wesentliche Säulen untergliedert werden. Die erste Säule, die „Angebote der Sozialarbeit“ erweisen sich als niederschwelligste Form des Zugangs für ausgrenzungsgefährdete Jugendliche, da sie kaum mit strukturellen Einstiegs- und Verbindlichkeitshürden verbunden sind. Die „Strukturierten Übergangsangebote“ als nächste Stufe gestalten sich, obwohl in der Regel als Stabilisierungsmaßnahmen konzipiert, deutlich anspruchsvoller. Die dritte und anspruchsvollste Stufe, trotz der verbreiteten Variante der Teillehre, ist die Säule der „Unterstützten Ausbildungsangebote“, da hier das Verbindlichkeitsausmaß sowie die Anforderungen an die Jugendlichen, noch einmal steigen.

Ursachen der Komplexität

Die eingangs erwähnte Unübersichtlichkeit, der hier sehr kompakt dargestellten Angebotslandschaft für Jugendliche ergibt sich primär durch drei Gründe. Einerseits aufgrund der sehr breit gehaltenen Zielgruppendefinitionen der Angebote, was eine klare und rasche inhaltliche Abgrenzung erschwert.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

* In dieser Säule der Angebotslandschaft besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit (Stand 4. Qu. 2014)

Gleichzeitig sind die Angebote auch hinsichtlich ihrer strukturellen Ausgestaltung (z.B. Standort- vs. Coaching-Angebote, Rahmenbedingungen, inhaltliche/pädagogische Ausrichtung) relativ unterschiedlich. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Vielfalt der Trägerorganisationen in diesem Bereich. In Oberösterreich lassen sich für alle drei Säulen insgesamt 39 verschiedene Trägerorganisationen identifizieren. Darüber hinaus wird die Angebotslandschaft im Wesentlichen von drei verschiedenen Hauptfördergebern (Arbeitsmarktservice, Sozialministerium Service, Land OÖ) sowie von insgesamt 20 kleineren Fördergebern getragen. Als dritter Aspekt kommt die Schnelllebigkeit in diesem Bereich hinzu, vor allem verursacht durch den Projektstatus vieler Angebote, aber auch durch politische Kompetenzverschiebungen (Stichwort: Ausbildungspflicht).

Notwendigkeit einer ausgeprägten Unterstützungsstruktur

Dabei ist der Bedarf an Unterstützungssystemen für Jugendliche am Übergang Schule-Beruf/Berufsausbildung, wie eine Vielzahl von Studien und Kennzahlen (z.B. Early School Leaver, NEET) zeigen, absolut gegeben und als zentrale gesellschaftspolitische Herausforderung und Aufgabe zu interpretieren. Immerhin waren in Oberösterreich im Jahre 2013 zwischen rund 6.700[1] und 15.800[2] Jugendliche ausgrenzungsgefährdet, was einem Schätzintervall von 3,8% bis 9,1% aller Jugendlichen in OÖ entspricht. Dabei sind es vor allem die Ballungsräume, in denen das höchste Ausgrenzungsrisiko sichtbar wird. Dazu gehört in Oberösterreich, neben den Statutarstädten Linz, Wels und Steyr, auch der Bezirk Linz-Land.

[1] Definition Mindestzahl: Jugendliche bis 24 Jahre, die über höchstens Pflichtschulabschluss verfügen, beim AMS gemeldet sind und für den Arbeitsmarkt verfügbar sind.

[2] Definition Höchstzahl: Jugendliche bis 24 Jahre, die sich – unabhängig von ihrer höchsten abgeschlossenen Ausbildung – in keiner Ausbildung befinden, keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und in keinen Schulungen sind (Ausnahme: Schulungsteilnehmende des AMS mit höchstens Pflichtschulabschluss).

Multiple Problemlagen

Ein Blick auf die Bedarfe von ausgrenzungsgefährdeten Jugendlichen zeigt, dass diese in der Regel nicht nur mit einem Problem zu kämpfen haben, sondern mit mehreren. Diese multiplen Problemlagen nehmen vielfach ihren Anfang in sozial benachteiligten Familien und den häufig daran anknüpfenden fehlenden (privaten) Unterstützungsstrukturen und/ oder familiären Problemen insgesamt. Es folgen unstete Bildungskarrieren, Defizite im Kontext „Job-readiness“ und bei den Sozialkompetenzen, mitunter auch psychische Probleme. Ein weiteres Muster zeigt sich hinsichtlich Jugendlicher mit Migrationshintergrund, die vielfach aufgrund sprachlicher Probleme ebenfalls mit schulischen Defiziten zu kämpfen haben, die wiederum einen reibungslosen Übergang in den Sekundar-II-Bereich verhindern. Es wird sichtbar, dass das System Schule nicht in der Lage ist, die unterschiedlichen und mitunter (sehr) schwierigen Ausgangsbedingungen der SchülerInnen im Pflichtschulverlauf auszugleichen.

Hohe Ausgrenzungsgefährdung besonders problematisch

Als besonders bedenklich im Zusammenhang mit den Hauptproblemlagen erweist sich, dass sich diese zu großen Teilen mit den potenziellen Ausschlusskriterien der Angebote decken. Es scheint als wären viele Angebote mit den multiplen Problemlagen im vorhandenen Setting bzw. mit den vorhandenen Ressourcen überfordert. Das verstärkt den Eindruck, dass Jugendlichen mit besonders hoher Ausgrenzungsgefährdung („Ausgrenzungsgefährdung“ muss immer als Kontinuum verstanden werden), der Zugang zu Angeboten der zweiten und dritten Säule verwehrt bleibt bzw. sie in diesen ein höheres Risiko des Scheiterns haben. Diese Herausforderung im Umgang mit den zunehmenden Problemlagen spiegelt sich sowohl in den, von den Angeboten selbst genannten Schwächen wieder, wie auch in den Zuweisungs- und Selektionspraxen beim Eintritt in die Angebote. Denn die Angebote können/müssen Jugendliche mit schlechten Chancen auf eine Zielerreichung (z.B. Übertritt in ein Lehrverhältnis, Abschluss einer dualen Berufsausbildung) entweder von vornherein abweisen oder nach kurzer Zeit an die zuweisende Stelle zurückverweisen. Das bedeutet auch, dass Jugendliche mit Unterstützungsbedarf bereits eine gewisse Stabilität und/oder ein bestimmtes Kompetenzprofil mitbringen müssen, um einen nachhaltigen Zugang zu den „Strukturierten Übergangsangeboten“ und „Unterstützten Ausbildungsangeboten“ (zweite und dritte Säule) zu erhalten.

Handlungsempfehlungen

In Bezug auf Weiterentwicklungspotenzialen von Unterstützungsleistungen für Jugendliche am Übergang Schule-Beruf/Ausbildung können zwei Ebenen identifiziert werden: Eine Metaebene, die eine umfassende strukturelle Veränderung des bestehenden Systems anspricht sowie die Ebene der Angebotslandschaft für Jugendliche selbst.

Auf einer Metaebene erscheint einerseits wesentlich Teile des „Reparatursystems: Angebotslandschaft für Jugendliche am Übergang Schule-Beruf/ Ausbildung“ (konkret die „Strukturierten Übergangsangebote“ und Teile der „Angebote der Sozialarbeit“) in das Regel(schul)wesen zu überführen und den prekären (Projekt)Status zu überwinden. Eine solche Integration würde nicht nur das Problem der überbordenden Komplexität reduzieren, sondern im Optimalfall auch, das den Jugendlichen (zu Unrecht) anhaftende Stigma „es nicht geschafft zu haben“ entgegen wirken. Andererseits wären auch im Zusammenhang mit der dritten Säule der „Unterstützten Ausbildungsangebote“ tiefgreifende strukturelle Veränderungen notwendig. Aus einer analytischen Perspektive hinsichtlich der Entstehungsmechanismen von sozialer Ungleichheit scheint es erforderlich die Rekrutierungslogiken im dualen Ausbildungsbereich kritisch zu reflektieren. Immerhin handelt es sich formal gesehen um eine Sekundar-II-Ausbildung im Regelschulwesen, deren Zugangschancen, aber primär von konjunkturellen Gegebenheiten sowie von den Rekrutierungslogiken der (Privat)Wirtschaft geprägt sind, was aus einer (Bildungs-)Gerechtigkeitsperspektive abzulehnen ist.

Auf Ebene der bestehenden Angebotslandschaft für Jugendliche am Übergang Schule-Beruf/ Ausbildung treten vor allem zwei Ansätze, welche auf eine Reduktion der Komplexität fokussieren, in den Vordergrund: Erstens die Schaffung einer institutionalisierten Anlauf-, Koordinations- und Zuweisungsstelle mit drei zentralen Aufgaben: zuständige Vernetzungs- und Koordinationsstelle für alle relevanten Player, Erstanlaufstelle für Jugendliche am Übergang Schule-Beruf/ Ausbildung (und deren Angehörige) sowie weiterführendes Case-Management (One-Shop-Stop-Prinzip) und alleinige Zuweisungsstelle zu Angeboten und Dienstleistungen; und zweitens die (horizontale) Verdichtung der Angebotslandschaft.

Neben diesen Eckpfeilern für die Neuausrichtung der Angebotslandschaft erscheint es erforderlich die strukturelle Lücke zwischen den Säulen „Angebote der Sozialarbeit“ und „Strukturierte Übergangsangebote“ mittels eines niederschwelligen Stabilisierungsangebots mit Arbeits- und Beschäftigungsbezug zu schließen. Darüber hinaus gilt es die bestehende Angebotslandschaft auszubauen, um den multiplen Problemlagen der Jugendlichen auch in Zukunft genügen zu können. Anzuraten ist auch, eine jugendgerechte Gestaltung von Angeboten, neben Aspekten der Zielerreichung, als Evaluationskomponente mitaufzunehmen. Jugendgerecht bedeutet aus Sicht der Betroffenen dabei inhaltliche und programmatische Abwechslung (Stichwort: Vermeidung von Langeweile), eine individuelle , ganzheitliche und faire Betreuung bzw. Unterstützung, die auf einer Vertrauensbeziehung fußt, sowie die Möglichkeit zur Mitbestimmung und somit ein Klima des Ernstgenommen-werdens.