Unterschätzung der Vermögensungleichheit durch Untererfassung der reichsten Haushalte

05. August 2013

Eine gemeinsam mit dem Institut für empirische Sozialforschung (IFES) durchgeführte Erhebung der Österreichischen Nationalbank (OeNB) ermöglicht erstmals eine Analyse der Vermögenssituation der österreichischen Haushalte. Allerdings besteht bei diesen Daten das Problem der fehlenden oder unzureichenden Erfassung besonders reicher Haushalte im obersten Segment der Vermögensverteilung. Um dieses Defizit zu adressieren korrigieren wir die unterschätzten Umfragedaten mittels etablierter statistischer Verfahren. Hier zeigt sich, dass die reichsten Haushalte einen deutlich größeren Teil des Gesamtvermögens halten als in der OeNB-Erhebung ausgewiesen wird.

Vermögensdaten und das Problem der Untererfassung

Der Household Finance and Consumption Survey (HFCS) stellt die erste umfassende Erhebung zu Vermögen privater Haushalte in 15 Ländern der Eurozone, darunter auch Österreich, dar. Somit ermöglicht der HFCS erstmalig eine Analyse der österreichischen Vermögensbestände sowie der Vermögensverteilung und entsprechende internationale Vergleiche. Trotz akribischer Erhebung der Daten seitens der OeNB und des IFES besteht jedoch das Problem der fehlenden oder unzureichenden Erfassung der obersten Vermögensbestände,  die  in den Händen einiger weniger Haushalte konzentriert sind. Auf diesen Aspekt wird auch von der OeNB selbst hingewiesen. Aufgrund der extremen Konzentration von Vermögen an der Spitze der Vermögensverteilung geht damit auch eine systematische Unterschätzung des Gesamtvermögens privater Haushalte in Österreich sowie eine Verzerrung der tatsächlichen Vermögensverteilung einher.

Korrektur der Untererfassung von reichen Haushalten

Die einschlägige wissenschaftliche Literatur versucht dabei zumeist unter Rückgriff auf statistische Verteilungsfunktionen – wie etwa die seit knapp 100 Jahren etablierte Pareto-Verteilung – die Vermögensverteilung zu beschreiben. Im Rahmen unserer Studie machen wir uns diesen Ansatz zu Nutze, um auf diese Weise die im HFCS nicht erfasste Gruppe besonders reicher Haushalte abzubilden. Dabei wird unter Zuhilfenahme statistischer Tests postuliert, dass sich der oberste Rand der Vermögensverteilung genauso verhält wie der obere Teil der HFCS-Daten und demzufolge beide durch ein und dieselbe Pareto-Verteilung beschrieben werden können. Damit lassen sich in Folge die Vermögen besonders reicher Haushalte auf Basis der normalen HFCS-Daten hochrechnen.

Aus den angewendeten Tests ergibt sich, dass sich etwa das oberste Fünftel der HFCS-Daten (genauer: die reichsten 22%) durch eine solche Pareto-Verteilung beschreiben lassen. Dies bedeutet, dass letztlich die Verteilungsstruktur des obersten Fünftels der HFCS-Daten für die Hochrechnung der Anzahl bzw. des Vermögens besonders reicher Haushalte (hier: Nettovermögen größer als 4 Millionen Euro) entscheidend ist. Die nachstehende Abbildung liefert eine knappe Illustration der hier zu Grunde gelegten methodischen Vorgangsweise.

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Veranschaulichung der Methode zur Daten-Korrektur © A&W Blog
Veranschaulichung der Methode zur Daten-Korrektur

Implikationen für die Vermögensverteilung

Eine vergleichsweise geringe Auswirkung dieser Datenkorrektur zeigt sich bei der Verteilung auf die verschiedenen Vermögensklassen, also auf die Verteilung der Bevölkerung in verschiedenen Vermögenskategorien. Dies ist auch zu erwarten, da durch die hier vorgenommene Modifikation die Anzahl besonders reicher Haushalte nur in viel geringerem Maße beeinflusst wird als deren Vermögen. So gehört – laut den korrigierten Daten – ein Haushalt, der mehr als 500.000 Euro Nettovermögen (also Vermögen abzüglich Schulden) besitzt, zu den reichsten 11,47% der Bevölkerung, während derselbe Wert für die originalen HFCS-Daten nur etwas geringer war (11,32%).

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Die Vermögensverteilung in Österreich nach Vermögensklassen auf Basis der korrigierten HFCS-Daten (Unterschiede zu den Originaldaten in Orange) © A&W Blog
Die Vermögensverteilung in Österreich nach Vermögensklassen auf Basis der korrigierten HFCS-Daten (Unterschiede zu den Originaldaten in Orange)

Wie erwartet beträchtlich sind die Auswirkungen allerdings bei einer Betrachtung des Gesamtvermögens und dessen Verteilung. So steigt im korrigierten Datensatz das Gesamtvermögen der privaten Haushalte von etwa 1.000 Mrd. Euro auf 1.249 Mrd. Euro an, wobei dieser Anstieg fast zu Gänze auf das reichste Perzentil (d.h. die Top-1% der Vermögensverteilung) entfällt. Damit erhöht sich der Anteil dieses obersten Perzentils am Gesamtvermögen von 22,9% (rund 236 Mrd. Euro) auf knapp 37% (rund 470 Mrd. Euro). Das Vermögen des obersten Perzentils wächst also durch die Korrektur der Daten um 98,6% – und zwar von durchschnittlich 6,4 Mio. Euro auf 12,7 Mio. Euro Vermögen pro Haushalt im reichsten Prozent der Haushalte.

Daraus folgt für die Vermögensverteilung in Österreich, dass die reichsten 10% der Haushalte nicht 61% (HFCS-Originaldaten), sondern 69% des Vermögens besitzen (korrigierte Daten). Die reichsten 5% besitzen demnach 57,8% (HFCS: 47,6%) und das reichste 1 Prozent der Haushalte 37% (HFCS: 22,9%) des Vermögens. Dem steht ein Anteil der ärmsten 50% der Haushalte von 2,2% (HFCS: 2,8%) gegenüber.

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Darstellung von relativen Vermögensanteilen mittels der korrigierten HFCS-Daten © A&W Blog
Darstellung von relativen Vermögensanteilen mittels der korrigierten HFCS-Daten

Zunehmende Vermögenskonzentration kann die gesellschaftliche Stabilität aus sozialer wie ökonomischer Perspektive untergraben (siehe hierzu etwa Stiglitz oder Wilkinson/Pickett). In diesem Sinne ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit privaten Vermögen und deren Konzentration von hoher gesellschaftlicher und ökonomischer Bedeutung. Die korrigierten Erhebungsdaten liefern eine solide Ausgangsbasis für eine solche Analyse der Vermögenskonzentration.