Ungleichheit und Rechtspopulismus in den USA und Europa: The elephant in the room

20. Februar 2017

Ein Elefant steht unausgesprochen im Raum des aktuellen politischen Diskurses: Bei Trump und den Rechts-PopulistInnen in Westeuropa stehen deren Rhetorik gegen „die Eliten“ und für „unsere Leute“ im Widerspruch zu ihren wirtschaftspolitischen Handlungen. Wegen gefühlter wie realer Ungleichheit und Abstiegsgefahr versammeln sich immer breitere Teile der Mittelschicht und der Einkommensschwächeren in ihrem Lager. Dabei untergräbt die politische Praxis von Trump und des westeuropäischen Rechts-Populismus jedoch gezielt die ökonomische und soziale Sicherheit just dieser Bevölkerungsgruppen. Schritte wie die Einschränkung der Mindestsicherung, eine Pensions- und Lohnkürzungspolitik bis hin zur Schwächung des Arbeitnehmerschutzes sowie Angriffen auf die Gewerkschaften verschärfen die Ungleichheit, die Branko Milanovic in seinem neuen Buch eindrucksvoll dokumentiert. Statt Attacken auf das konstruierte „Andere“ braucht es mehr Solidarität innerhalb der ArbeiterInnenschaft.

Branko Milanovic und sein Elefant

Branko Milanovic ist mit der „Elefanten-Kurve“ ein wohl ungeplanter PR-Coup gelungen. Er selbst ist ein in der Sache passionierter, aber im Auftreten äußerst höflicher und seriöser ehemaliger Weltbank-Ökonom, dem Verkürzungen eher unangenehm sind. Doch ausgerechnet die Hauptgrafik seines Buches, das er Ende Jänner in der AK vorstellte, wurde als „Elefanten-Grafik“ bekannt. (Er selbst nennt die Grafik ja lieber „liegendes S“) Und tatsächlich: wenn man ihn einmal in der Kurve entdeckt hat, bekommt man das Bild des Elefanten nicht mehr aus dem Kopf.

Milanovics „Elefant“: das weltweite Wachstum der realen Einkommen 1988-2008

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Milanovics „Elefant“: das weltweite Wachstum der realen Einkommen 1988-2008

Quelle: Lakner/Milanovic 2015, eigene Zeichnung

Was „Milanovics Elefant“ zeigt, ist die deutliche Trennung in ökonomische GewinnerInnen der Globalisierung und jene, die davon nicht profitierten. Kurz gefasst: Die Einkommen wuchsen, global gesehen, 1988 bis 2008 für die Mittel- und Oberschicht in Asien und vor allem China (der „Rücken“ des Elefanten), und in besonderem Maße für die kleine Gruppe der ganz Reichen in den Hocheinkommensländern, vor allem in den USA, Europa, und Japan (der „Rüssel“). In absoluten Zahlen gingen ganze 60% der gesamten Einkommensgewinne an die weltweit einkommensstärksten 10%. Hingegen sahen sowohl die allerärmsten Einkommensgruppen der Welt, die vor allem in Afrika leben, aber auch die untere Mittelschicht im Westen nur sehr geringe Verbesserungen in ihrem materiellen Wohlstand.

Wenngleich also die Mittelschicht des Westens absolut gesehen weiterhin ein Vielfaches der Mitte im Rest der Welt verdient, so bestätigt die Grafik doch ein in Europa wie den USA derzeit grassierendes Gefühl: Die marktradikale wirtschaftliche Globalisierung hat zur Stagnation der hiesigen Mittelschichten geführt. Diese werden von Abstiegsängsten geplagt und wollen Veränderungen. Das zieht ähnliche politische Folgen dies- wie jenseits des Atlantiks nach sich: beiderorts greift ein aggressiver Rechtspopulismus um sich.

Rhetorik gegen Eliten und „Fremde“

Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus beruht ganz wesentlich auf dieser Stimmung, die der neue Präsident in traditioneller populistischer Form – laut, aggressiv und überschriftsartig – bedient. Seine Botschaft entspricht wiederum klassisch rechtspopulistischem Inhalt: Wir da unten (orientiert an der weißen, oft männlichen ArbeiterInnen- und Mittelklasse in den ehemaligen industriellen und ländlichen Hochburgen) gegen die da oben (also eine politökonomische Elite, für die inzwischen „Washington“ oder „Brüssel“ als Synonym eines entkoppelten Politzentrums ausreicht). Seiner Wählerschaft verspricht Trump, die angeblich verkrusteten Politstrukturen aufzubrechen und die US-Wirtschaft sowie die „echten Amerikaner“ in ein neues goldenes Zeitalter zu führen, in dem Amerika zuerst und dahinter gegebenenfalls auch die Sintflut kommen möge.

Europas Rechte hat diese Formel seit Jahrzehnten gepachtet: die radikale Fokussierung auf den Primat des Nationalstaats, die systematische Ausgrenzung von MigrantInnen, und die konstanten Verbalattacken auf die Eliten haben ihr umfangreichen Zulauf beschert. Mit Ausnahme von Spanien, Portugal und Griechenland ist der Rechtspopulismus aktuell die am stärksten wachsende Kraft in Europa.

Gretchenfrage: Verteilung

Auf beiden Seiten des Atlantiks liegen diesem Aufstieg ganz wesentlich Verteilungsfragen und – gefühlte wie reale – Ungleichheitsbedingungen zu Grunde, über die von RechtspopulistInnen Fragen von Kultur, Werten und Identität gelegt werden. Bei dieser gesellschaftspolitischen Konfliktlinie genießen sie die Themenführerschaft. Im politikwissenschaftlichen Chapel Hill Expert Survey weisen sie nicht umsonst große Einigkeit auf dieser Konfliktlinie auf: Sie bewegen sich allesamt im äußersten rechten Bereich (7,5-10 Punkte) der zehnstufigen Skala, die von extrem liberalen Positionen (0) bis zu extrem restriktiven Positionen (10) reicht.

Doch diese emotional besetzten Themen – Fremden- und Islamfeindlichkeit, Law&Order, Nationalismus sowie simplifizierter Protektionismus – sind das, was Milanovic als „falsches Bewusstsein“ bezeichnet. Sie lenken von den eigentlichen – materiellen – Konfliktlinien ab und dividieren entlang der Fragen von Herkunft, Hautfarbe und zunehmend auch wieder Religion auseinander.

Westeuropa und USA: marktradikaler Rechtspopulismus

Anders als in kulturellen Fragen sind Verteilung und Ungleichheit für die Rechte ein weit unsichereres Terrain. Entlang der ökonomischen Konfliktlinie verteilen sich rechtspopulistische europäische Parteien nämlich sehr viel breiter, wie der Chapel Hill Expert Survey ebenfalls zeigt. Auf der ebenfalls zehnstufigen ökonomischen Skala von extrem keynesianischen Positionen (0) bis hin zu extrem marktliberalen Positionen (10) liegen Europas Rechtspopulisten in einem Spektrum von 2 bis 9,5 Punkten.

Dabei zeigt sich ein markantes Ost-West-Gefälle. Osteuropäische und einige skandinavische RechtspopulistInnen werden in ihrer ökonomischen Haltung tendenziell eher links der Mitte eingestuft. Die RechtspopulistInnen Westeuropas bewegen sich dagegen deutlich im mittleren bis weit rechten ökonomischen Spektrum.

Eine „rechte“ Wirtschaftspolitik (die Milanovic „pro-rich policies“ nennt), lässt aber die Ungleichheit weiter ansteigen. Steuern zu senken bedeutet weniger Spielraum für Sozialausgaben und Investitionen in Infrastruktur. Gleichzeitig Vermögens- und Erbschaftssteuern zu verhindern, heißt, die soziale Durchlässigkeit zu blockieren. Das öffentliche Bildungs- und Krankensystem zurückzubauen führt dazu, dass Reichtum wieder entscheidet, ob ein gesunder und erfüllter Lebensweg möglich ist. Die ArbeitnehmerInnenvertretung zu sabotieren bedeutet, eine weitere Umverteilung von unten nach oben in Kauf zu nehmen. Wahrlich keine Stärkung der Interessen der vielbeschworenen „einfachen Leute“!

Politik gegen die Mittelschicht

In den USA wird von der Trump-Administration derzeit sogar an den letzten Säulen des ohnehin schwachen Sozialsystems gerüttelt. Die flächendeckende Krankenversicherung („Obamacare“), das öffentliche Schulsystem und Sozialtransfers wie Essensmarken sind zum Abschuss freigegeben. Dieser Totalrückbau bedroht zwar auch die Mittelschicht, trifft aber Einkommensschwächere, chronisch Kranke, und andere verwundbare Gruppen (vor allem Kinder) ins Mark. Zugleich ist Trumps Vermögen dynastischen Ursprungs und er selbst gehört dem reichsten 1% der AmerikanerInnen an. Es ist kaum ein extremeres Bild der Plutokratie, also der Herrschaft der Reichen, vorstellbar als Trumps Kabinett der MilliardärInnen. Dass unter Trump die Steuern für Reiche gekürzt und die Finanzmärkte wieder dereguliert werden, wird kaum bezweifelt: Trumps Rhetorik gegen die Eliten war nicht mehr als Verbalattacken.

Diese Schere klafft auch bei Westeuropas RechtspopulistInnen auseinander: Sie sprechen von „denen da oben“, höhlen aber in ihrer praktischen parlamentarischen und Regierungsarbeit wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften europäischer Demokratien systematisch aus. Schritte wie die Einschränkung der Mindestsicherung, eine Pensions- und Lohnkürzungspolitik, bis hin zur Schwächung des ArbeitnehmerInnenschutzes sowie Angriffe auf die Gewerkschaften untergraben die soziale Stellung der breiten Mittelschicht. Sie dienen vor allem einer anderen Strategie: der Abgrenzung nach unten. Neben den korrupten Eliten nehmen RechtspopulistInnen zunehmend auch die „Sozialschmarotzer“ am unteren Ende ins Visier, umso mehr, wenn diese sich als „Fremde“ qualifizieren lassen. Einer verunsicherten WählerInnenschaft signalisieren sie: euer Wohlstandsverlust geht auf deren Konto. Dass ihre Politik aber genau diesen Wohlstandsverlust weiter treibt, geht in der Debatte unter.

Antwort: Solidarität statt Lockvogeltaktik

Stattdessen braucht es Solidarität – dies verdeutlichen Milanovics Befunde anschaulich: Und zwar Solidarität sowohl mit den Arbeitenden und einkommensschwachen Gruppen im eigenen Land wie mit jenen anderer Länder. Nur wenn sich diese große Mehrheit der Menschen nicht auseinander dividieren lässt, werden sich ihre Interessen nachhaltig realisieren lassen. Milanovic selbst warnt, dass der Interessenausgleich zwischen der breiten Mittelschicht und „den besitzenden Klassen“, der zur kurzen Phase des globalen Rückgangs an Ungleichheit zwischen 1950 und 1980 führte, nun endgültig aufgekündigt zu werden droht. Und er appelliert an die „Menschheit, die sich heute in einer ganz ähnlichen Situation befindet wie vor hundert Jahren, nicht (zu)zulassen, dass das Problem der Ungleichheit erneut durch den Kataklysmus eines Weltkriegs gelöst werden muss“, sondern „dass es in diesem Jahrhundert gelingen kann, die Ungleichheit in der Welt friedlich zu verringern.“ Damit das möglich ist, braucht es anstatt der Lockvogeltaktik des Rechtspopulismus tatsächliche, progressive Alternativen.