Umschichtung der Steuerleistung statt Senkung der Abgabenquote

08. Juni 2017

Wieder einmal ist die österreichische Innenpolitik geprägt durch Angriffe auf den Sozialstaat, kanalisiert über die vorgeschobene Problematisierung einer vermeintlich zu hohen Steuer- und Abgabenquote. Senkungen von mehreren Prozentpunkten werden dabei genannt. Dies käme einem massiven Eingriff in die soziale Sicherung breiter Bevölkerungsschichten gleich. Zuletzt ging es um Kürzungen in der Höhe von 12 bis 14 Milliarden Euro. Eine derartige Absenkung lässt sich nicht über eine „Verwaltungsreform“ ohne Leistungskürzungen lukrieren und auch nicht durch die Streichung „fehlgeleiteter Sozialleistungen“, die angeblich das Budget belasten. Es ist also klar, worum es gehen soll: die weitere Demontage des Wohlfahrtsstaates.

Abgabenquoten haben nur beschränkte Aussagekraft

Als ebendieses Programm muss die Forderung nach einer Senkung der Abgabenquote gesehen werden. Klar ist jedenfalls, dass Abgabenquoten für einen internationalen Vergleich nicht bzw. nur bedingt geeignet sind, zu groß sind die methodischen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, zu unklar ihre Wirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Jedenfalls gibt es keinen ausreichenden empirischen Befund dafür, dass hohe Abgabenquoten ein Problem für Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Entwicklung darstellen – wie das immer wieder von Seiten der Wirtschafts- und Industrielobby suggeriert wird. Vor allem aber bleibt bei der Abgabenquote unbelichtet, welche Bevölkerungsgruppen wie viel an Steuern und Abgaben leisten.

Wem nützt der Wohlfahrtsstaat und wem seine Demontage?

Den Staat im öffentlichen Diskurs als ressourcenverschlingenden Moloch darzustellen, der von seinen BürgerInnen immer mehr und mehr Steuern verlangt, ist einfach. Oft als Übel diskutiert kann aber gar nicht oft genug gesagt werden, dass Steuern ein zentraler Bestandteil eines jeden Staates sind. Mehr noch: Steuern (und Sozialversicherungsbeiträge) sind die Basis unseres Wohlfahrtsstaats. Mit ihnen werden Schulen, Kindergärten und Spitäler gebaut und betrieben, Familien gefördert, Menschen im Falle von Krankheit und Arbeitslosigkeit aufgefangen und unterstützt, Pensionen im Alter finanziert und die gesamte Infrastruktur im Land am Laufen gehalten und weiter ausgebaut. Damit schafft der Wohlfahrtsstaat kollektive Sicherheit und stabilisiert die Inlandsnachfrage in Wirtschaftskrisen (automatische Stabilisatoren). Davon profitieren alle ÖsterreicherInnen –  auch die Unternehmen, Konzerne und Vermögenden. Die Frage, welchen Stellenwert Österreich als Wirtschaftsstandort hätte, gäbe es keine gut ausgebaute Infrastruktur, keine gut ausgebildeten Arbeitskräfte, Rechtssicherheit und nicht unwesentliche Summen für Wirtschaftsförderung, bleibt unbeantwortet. Genau diese Infrastruktur wird aber durch die Steuerleistungen finanziert, die immer wieder infrage gestellt werden.

Jene, die das Geld dazu haben, ihren Kindern eine gute private Ausbildung zu bezahlen, haben kein Problem, wenn die öffentlichen Mittel für Bildung eingeschränkt werden. Jene, die das Geld dazu haben, privat für ihre Gesundheitsleistungen aufzukommen, sind auch nicht auf ein gutes öffentliches Gesundheitssystem angewiesen. Jene, die von ihrem Vermögen leben können, müssen sich keine Gedanken über ihr Auskommen in der Pension machen. Das könnte man so weiterspinnen. Klar ist, dass die große Mehrheit der Bevölkerung auf einen gut funktionierenden Wohlfahrtsstaat angewiesen ist und sich deshalb auch für eine solide Finanzbasis eines solchen einsetzen sollte. Eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote widerspricht dem aber.

Schieflage im Steuersystem

Das heißt nicht, es gäbe keinen Reformbedarf im österreichischen Steuer- und Abgabensystem. Die Zusammensetzung der österreichischen Steuereinnahmen weist ein grobes Ungleichgewicht auf. Diejenigen, die viel besitzen, werden steuerlich geschont und können so ihren Besitz noch weiter vermehren. Demgegenüber müssen jene, die nichts oder nur wenig besitzen, den Großteil des gesamten Steueraufkommens leisten. Diese Schieflage ist nicht nur ungerecht, sie widerstrebt grundlegenden steuerpolitischen Prinzipien, wie dem Leistungsfähigkeitsprinzip, sorgt für Instabilitäten und ist volkswirtschaftlich höchst problematisch.

Die ArbeitnehmerInnen tragen den Löwenanteil der Steuereinnahmen des Staates: Mehr als 55 Prozent der Einnahmen des Jahres 2016 stammen aus Lohnabgaben, ein weiteres knappes Viertel zahlen die KonsumentInnen. Zusammen leisten die ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen in Österreich damit fast acht von zehn Steuereuros. Demgegenüber tragen Unternehmen und Vermögende gerade einmal etwas mehr als einen Euro bei. Und dies bei durchaus satten Gewinnen der Konzerne und auch im internationalen Vergleich sehr hohen privaten Vermögen. Ausschließlich von Vermögen stammen pro zehn Euro Steuereinnahmen überhaupt nur 13 Cent. Damit befindet sich Österreich in der OECD auf dem unrühmlichen drittletzten Platz!

Wegen der unausgewogenen Besteuerung von Arbeit auf der einen und Vermögen und Kapital auf der anderen Seite bekommt Österreich seit Jahren klare internationale Empfehlungen. Internationale Organisationen wie die OECD raten, eine „beschäftigungs- und wachstumsfördernde Steuerstruktur“ zu schaffen. „Die Steuerlast sollte weniger die Arbeitseinkommen treffen“ und im Gegenzug sollten Vermögenssteuern erhöht werden, so die Empfehlung der OECD. Auch der Internationale Währungsfonds empfahl Österreich erst Anfang 2017, als Wachstumsimpuls wieder Löhne und Gehälter steuerlich zu entlasten und im Gegenzug u. a. höhere Vermögenssteuern einzuführen. Trotz Steuerreform sind insbesondere die kleinen Einkommen noch zu stark belastet.

Falsche Vorwände

Ein wesentlicher Teil dieser Schieflage im österreichischen Steuersystem geht auf die 2000er-Jahre zurück. Es gab eine massive Senkung der Gewinnbesteuerung und zusätzliche Zuckerl für die Reichsten. Wer glaubt, heute gehe es um eine Senkung der Abgaben für ArbeitnehmerInnen, irrt. Im besten Fall zielen die aktuellen Forderungen darauf ab, die Lohnnebenkosten für ArbeitgeberInnen zu senken. Dass ArbeitnehmerInnen davon nicht profitieren, liegt auf der Hand. Im Gegenteil. Diese Gelder werden in den SV-Töpfen der ArbeitnehmerInnen fehlen und wiederum zu Leistungskürzungen führen.

Notwendige Reformen im Steuersystem

Im Bereich von Kapital und Vermögen ist Österreich bereits ein „Niedrigsteuerland“. Weitere Senkungen in diesem Bereich wären unvertretbar. Was wir wirklich brauchen ist eine Umschichtung im österreichischen Steuersystem. Das heißt weniger Abgaben auf Arbeit und höhere Beiträge von Vermögenden und Großkonzernen. Eine Millionärssteuer sowie eine Erbschafts- und Schenkungssteuer, aber auch eine Wertschöpfungsabgabe müssen vehement eingefordert werden. Zudem müssen endlich effektive Maßnahmen gegen die Steuertricks der Konzerne ergriffen werden.

Es ist also wenig zielführend, den steuereinhebenden Staat als „Leviathan“ hinzustellen und pauschal zu verurteilen. Vielmehr ist die Frage nach der Steuerstruktur in den Vordergrund zu rücken. Denn Umstrukturierungen im österreichischen Steuersystem, weg von der hohen Besteuerung von Arbeit hin zu einer höheren Besteuerung von Vermögen, sind dringend erforderlich.