Trotz Vollzeit unter 1500 Euro

16. April 2015

„Auch für BezieherInnen von Mindestlöhnen/-gehältern muss ein akzeptabler Lebensstandard möglich sein“, formuliert der österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) in seinem 2013 beschlossenen (bis 2018 gültigen) Grundsatzprogramm. Als absolute Lohn-Untergrenze werden dabei 1500 Euro brutto pro Monat bei einer Vollzeitbeschäftigung gefordert. Diese gewerkschaftspolitische Zielmarke gilt aufgrund von kollektivvertraglichen Verhandlungserfolgen schon für viele Lohnabhängige. Allerdings wurden 2013 (das ist die aktuellste verfügbare Statistik) noch knapp zwölf Prozent der ganzjährig im privaten und öffentlichen Bereich Vollzeitbeschäftigten unter diesem Wert entlohnt – das sind rund 260.000 Menschen (davon rund 51.800 WienerInnen und 46.500 OberösterreicherInnen).

Niedriglohn in Produktion, Handel und Gastgewerbe

Die österreichweit größten Branchen mit den 2013 absolut meisten „Niedrigentlohnten“ sind der Handel, die Warenherstellung sowie das Hotel- und Gastgewerbe. In diesen drei Branchen arbeitet etwa die Hälfte aller Betroffenen. Im Verhältnis zur jeweiligen Branchengröße rangiert das Hotel- und Gastgewerbe an erster Stelle: von allen dort ganzjährig Vollzeitbeschäftigten erhält knapp jede/r Zweite (46 %) weniger als 1500 Euro. Im Handel war fast jede/r Fünfte (18 %) betroffen. In der Produktion ist es weniger als ein Zehntel (8 %). Frauen sind durchwegs häufiger niedrig entlohnt als Männer:

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die zeitversetzt verfügbaren Statistiken (die Daten für das Jahr 2013 gibt es seit Jahresende 2014) ermöglichen nur den Rückblick auf das Jahr 2013. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich seitdem der Betroffenenkreis verringert haben wird – gemessen an der gleich hohen gewerkschaftlichen “Zielmarke“ von 1500 Euro als nicht zu unterbietender Untergrenze. Insbesondere im Handel ist es gelungen, dass seit 2015 ein kollektivvertraglicher Mindestlohn von 1500 Euro gilt. Im Hotel- und Gastgewerbe allerdings betrug etwa der Mindestlohn für ArbeiterInnen mit Stand Mai 2015 1400 Euro; im Metallgewerbe ist die niedrigste Einstufung für Angestellte 1328,89 Euro mit Stand Jänner 2016 (http://www.kollektivvertrag.at/).

Niedriglohnschwelle

Internationale Niedriglohn-Definitionen orientieren sich meist nicht an einem absoluten Euro-Wert, sondern relativ (prozentuell) an einer statistisch eruierbaren, sich jährlich ändernden Einkommensgrenze, etwa dem Einkommensmedian (= je die Hälfte der Beschäftigten verdient mehr bzw. weniger) der jeweiligen Gesellschaft: ein Lohn, der weniger als zwei Drittel dieses Werts ausmacht, gilt demnach als „Niedriglohn“. In Österreich betrug laut WIFO für 2012 die entsprechende „Vollzeit“-Niedriglohnschwelle – auf ein „laufendes“, 14 mal gezahltes Monatseinkommen umgerechnet – rund 1460 Euro brutto (bzw. inklusive anteiliger Sonderzahlungen 1700 Euro = „Jahres-Zwölftel“). Etwa neun Prozent der in der Privatwirtschaft Vollzeit-Beschäftigten im Alter von 25 bis 54 Jahren zählten 2012 demnach zu den so definierten NiedriglohnbezieherInnen. Von den Frauen ist – im Zeitverlauf relativ gleichbleibend – etwa ein Drittel betroffen. Bei den Männern erhöhte sich der Anteil von sechs Prozent im Jahr 2000 auf neun Prozent im Jahr 2012. Im Zuge der jährlichen Lohnerhöhungen steigt auch das mittlere Einkommen (Median) und somit die darauf bezogene Niedriglohnschwelle. 2015 dürfte, hochgerechnet mit den von 2013 bis 2015 ausgewiesenen Bruttoeinkommenssteigerungen auf Basis der Dezember-2015-WIFO-Prognose, die Schwelle rund 1.530 Euro (Jahres-Vierzehntel) ausmachen.

Working Poor – trotz Arbeit arm

Ein geringes Erwerbseinkommen erhöht auch die Armutsgefährdung. Laut EU SILC-Erhebung von Statistik Austria sind in Österreich 266.000 erwerbstätige Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren, das sind sieben Prozent, armutsgefährdet. Hauptursachen für „working poor“ sind geringe Wochenarbeitszeit, nicht ganzjährige oder gering entlohnte Tätigkeit oder auch die Haushaltssituation. Betroffene haben trotz Erwerbstätigkeit und inklusive etwaiger weiterer Einkommen im Haushalt sowie Sozialleistungen ein Gesamteinkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle. Auch diese Schwelle ist kein „fixer“, absolut gleichbleibender Wert, sondern orientiert sich am Einkommen in der Gesellschaft. Aktuell beträgt diese Schwelle rund 995 Euro netto für einen Einpersonenhaushalt (14 mal).

Mindestlohn international üblich

Die geforderten 1500 Euro kollektivvertraglicher Mindestlohn brutto entsprachen bis Ende 2015 rund 1160 Euro netto. Nach Inkrafttreten der Lohnsteuerreform mit Anfang 2016 kommt es zu einem Netto-Plus: dann bleiben einer Arbeiterin mit 1500 Euro brutto rund 1200 Euro netto am Konto. In 22 EU-Ländern, inkl. des Neulings Deutschland, gibt es gesetzliche Mindestlöhne. Die Höhen reichen von wenigen Hundert Euro wie in Bulgarien bis zu 1900 Euro in Luxemburg. Da in den Ländern unterschiedliche Preisgefüge existieren, bietet die Umrechnung der Mindestlöhne zu Kaufkraftstandards einen „realistischeren“ Blick darüber, wieviel der Mindestlohn in den einzelnen Ländern „wert“ ist:

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Würdige Arbeits- und Einkommensbedingungen

Der Kampf um gerechte und würdige Arbeits- und Einkommensbedingungen, darunter die flächendeckende Durchsetzung eines kollektivvertraglichen Lohns bzw. Gehalts von mindestens 1500 Euro in allen Branchen, hängt in hohem Maße von der (Mitglieder-)Stärke der Gewerkschaften ab. Heuer feiert der österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) sein 70-jähriges Bestehen: “Wir können auf 70 Jahre sozialen Frieden und wachsenden Wohlstand zurückblicken. Und die Gewerkschaft hat diese Entwicklung wesentlich mitbestimmt. Manches wurde auf diplomatischem Wege erreicht, anderes musste mit Protesten oder Streiks hart erkämpft werden“, skizziert die ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende Renate Anderl die Bandbreite gewerkschaftlichen Agierens. Generell gilt das Ziel einer – wie es der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach in seiner Schrift „TEILEN, nicht TÖTEN“ formuliert -„fairen Verteilung der unternehmerischen Wertschöpfung auf jene Ressourcen, die gemeinsam die Wertschöpfung erwirtschaftet haben. Dazu muss die herkömmliche kapitalistische Verteilungsregel durchbrochen werden, vorrangig das Geldvermögen zu steigern.“ Es brauche eine „egalitäre Verteilungsregel, die soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Polarisierung schon im Ansatz und an der Wurzel vermeidet.“