Stadtkultur – für alle und durch alle

20. Juli 2017

Das Stadtwachstum bringt viele Herausforderungen: im Wohnbau, bei der Arbeitsplatzentwicklung, im Bereich der Bildungs- und Verkehrsinfrastruktur. Aber wie sieht es mit den sogenannten „weichen Faktoren“ aus? Ist noch Platz für kulturelle Grundbedürfnisse?

Lukratives Geschäft oder prekäre Rahmenbedingungen

Unter dem Begriff der Kultur wird so manches subsumiert, von der sogenannten Hochkultur bis hin zu Pop- oder Subkultur. Organisationsformen, Abhängigkeiten und Ziele im Kulturbereich sind hochgradig verschieden. Während zum Beispiel im populärkulturellen Massenproduktionsbetrieb Kultur ein lukratives Geschäft ist und sich damit gut Geld verdienen lässt, ist im Bereich alternativer, autonomer oder subkultureller Formate die Finanzierung oft unklar und schwierig, Arbeits- und Existenzbedingungen sind nicht selten prekär.

Bunte Vielfalt der Alltagskultur

Aber auch die sogenannte Alltagskultur, das Handeln und Verhalten der Menschen, prägt die Stadt. Mit Kultur wird hier viel stärker auf den Alltag der BewohnerInnen verwiesen. Gemeint sind das Verhalten, ihr Kleidungsstil, Habitus und Aktivitäten. Während manche ihre Nachmittage gerne im Schutzhaus verbringen, sind andere zum Grillen auf der Donauinsel oder beim Fußballmatch am Sportclub-Platz. Während gut Betuchte in privaten Clubs sporteln, treffen sich andere in den sogenannten Fußballkäfigen am Gürtel. Vermeintlich gleiche Tätigkeiten färben sich über ihre kulturelle Marmorierung eigen.

Dichtes kulturelles Netz

Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Kulturbegriffe, also die Hochkultur mit ihren Institutionen und der Kulturproduktion einerseits und die Alltagskultur der StadtbewohnerInnen andererseits, unvereinbar oder zumindest schwierig für die Stadtgestaltung. Jedoch geht es genau darum, diese unterschiedlichen Dimensionen miteinander zu denken. Alle diese Institutionen und Aktivitäten bilden gemeinsam ein dichtes kulturelles Netz. Dieses gilt es gerecht in der Stadt zu verteilen und ausgewogen zu fördern. Kultur muss in ihrer Vielfalt reflektiert und in politisches Handeln und Stadtplanungsprozesse miteinbezogen werden. Es gilt der Leitsatz „Nicht nur Kultur für alle, sondern auch Kultur durch alle.“

Gerechte Beteiligung ermöglichen

Eine Studie der Magistratsabteilung 7 zeigt, dass die soziale Herkunft und damit verbunden die kulturelle Bildung und der Zugang, den jemand von den Eltern vermittelt bekommt, stark mitentscheiden, ob man später Kulturangebote in Anspruch nehmen wird oder nicht.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: MA 7, Kulturelle Beteiligung in Wien, 2015; Grafik: Jakob Fielhauer

An dieser Stelle muss reagiert werden, es müssen möglichst gerechte und ausgleichende Strukturen geschaffen werden. Der Zugang zu kulturellen Aktivitäten ist wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung und die Entfaltung des eigenen kreativen Potenzials. Die Beteiligung am kulturellen Geschehen heißt auch, die Welt auf unterschiedlichen Wegen zu entdecken und über die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft reflektieren zu können. Neben der sozialen und politischen ist deshalb auch die kulturelle Bildung ein wichtiger Bestandteil für die Stadtgesellschaft.

Zugangshürden abbauen

Weil es viele Hürden beim Zugang gibt, muss an vielen Schrauben gleichzeitig gedreht werden. Von der Schule über das Theater bis hin zum öffentlichen Raum gibt es eine Reihe von Orten, an denen die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur gefördert werden muss.

Auch Zugangshürden, die aufgrund finanzieller Benachteiligungen bestehen, müssen abgebaut werden. Menschen mit geringem Einkommen oder in Arbeitslosigkeit sollten explizit Zielgruppe von Kulturmaßnahmen sein. Es braucht freien Eintritt in Museen, Theater und bei anderen Kulturveranstaltungen. Kinder, Jugendliche und Studierende sollten immer gratis reinkommen.

Kulturelle Nahversorgung

Historisch begründete Ungleichverteilungen kultureller Einrichtungen zwischen innerstädtischen und Randbezirken müssen aufgebrochen werden. Die gerechte Verteilung von Kultur in der Stadt ist für eine ausgewogene Stadtentwicklung wichtig, Innen- und Außenstadtlagen müssen bespielt werden. Hier braucht es vor allem auch Konzepte für den Stadtrand. In neuen Stadtentwicklungsgebieten braucht es kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten und eine vorausschauende Integration von Kultur in Stadtplanungs- und Entwicklungsprozesse.

Ermöglichungsräume schaffen

Es braucht Räume und Orte in öffentlichen Kontexten, die vielfältige kulturelle Nutzungen zulassen. Zu viele Regeln und Vorschriften stehen kulturellen Aktivitäten im Weg. Öffentliche Räume müssen offen gestaltet werden und vielfältige Nutzungen zulassen. Benötigt werden öffentliche Räume, die von der Nachbarschaft für kulturelle Aktivitäten genützt werden können. Modelle der Mehrfach- und Zwischennutzung, die Bespiel- und Verwendbarkeit öffentlicher Gebäude müssen weiterentwickelt und ausprobiert werden.

Auch müssen ausreichend Unterstützung und Fördergelder für autonome Initiativen und Vereine sowie periphere Stadteile bereitgestellt werden. Besonders auch bis dato ausgeschlossene Gruppen sollen aktiviert werden: Hier sollten besonders jene Initiativen gefördert werden, die von Benachteiligten selbst getragen werden.

Kultur ist der soziale Kitt der Stadt

Kultur ist ein wesentlicher Bestandteil der Stadtentwicklung und ein essentieller Teil der sozialen Infrastruktur und einer lebenswerten Stadt. Neben der Förderung des Zentrums braucht es ein dichtes kulturelles Netz in den Außenbezirken. Zugangshürden für Ausgeschlossene müssen abgebaut werden. Ebenso braucht die Stadt Ermöglichungsräume, die den StadtbewohnerInnen in öffentlichen Kontexten kreative Aktivitäten und ihre präferierte Alltagskulturgestaltung erlauben.

Erst kulturelle Vielfalt und offene Stadträume machen das Kennenlernen von Neuem, das Erlernen von tolerantem Verhalten, die Identifikation mit dem Grätzl und lebendige Urbanität möglich. Kulturelle Anforderungen müssen im Rahmen von Stadtentwicklung und -planung aktiv miteinbezogen werden.

Dieser Artikel ist in Langfassung in der AK Stadt Ausgabe zu Kultur in Wien erschienen.