Solidarische Wirtschaftspolitik

21. September 2016

In der ökonomischen Literatur wird immer häufiger von „Well-Being“ (OECD) und „gutes Leben“ gesprochen. Mäßiges Wirtschaftswachstum, das nur den oberen Schichten zugute kommt, ist eine Farce. Wirtschaftswachstum sollte dazu dienen, Vollbeschäftigung, ausreichende Einkommen, hohe Lebenserwartung und Umweltqualität zu erreichen. Solidarische Wirtschaftspolitik ist ein Instrument, um alle diese Ziele zu erreichen.

Wir können solidarische Wirtschaftspolitik als Gegenentwurf zum Neoliberalismus verstehen, der die Politik seit den achtziger Jahren beherrscht. Der Neoliberalismus hat Freiheit auf seine Fahnen geschrieben, aber auf Gleichheit und Brüderlichkeit – die beiden anderen Ideale der Aufklärung – vergessen.

Solidarität ist mehr als ein Begriff aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Dieser Begriff, der nach wie vor einen guten Klang in der Bevölkerung hat, sollte zu neuem Leben erweckt werden.

Einige Beispiele für erfolgreiche solidarische Wirtschaftspolitik

  1. Der Marshall-Plan der USA hat Europa nach dem Krieg wieder auf die Beine geholfen. Die Solidarität mit den kriegsgeschädigten Staaten hat für alle Vorteile gebracht.
  2. Der New Deal in den USA war eine Aktion der Solidarität mit den Arbeitslosen: Infrastrukturinvestitionen, Arbeitslosen- und Altersversicherung usw.
  3. Die produktivitätsoriertierte Lohnpolitik des “Goldenen Zeitalters“ hat die effektive Nachfrage und das Wachstum hoch gehalten. Die Reallöhne der Arbeitnehmer blieben nicht hinter der Produktivitätssteigerung zurück.
  4. Die Sozialpartnerschaft hat in Österreich nicht zuletzt den Weg zur Hartwährungspolitik geebnet. Die österreichischen Gewerkschaften waren in der Lohnpolitik kooperativ, weil sie in alle wirtschaftspolitischen Entscheidungen eingebunden waren.
  5. Die solidarische Lohnpolitik in Schweden hat Billigproduktion verhindert und zur heutigen Innovationskraft Schwedens wesentlich beigetragen (Rehn-Meidner-Modell).

Schwerpunkte einer solidarischen Politik

Mit einer solidarischen Politik, die auf keynesianischen Fundamenten aufbaut, wird der Zusammenhalt der Gesellschaft und die soziale Basis gestärkt. Das bedeutet vor allem Kampf gegen Arbeitslosigkeit und zunehmende Ungleichheit.

Auf internationaler Ebene heißt das Investitionsprogramme sowie eine strikte Regulierung der Finanzmärkte. Auch die Zuwanderung kann nicht grenzenlos sein.

In Europa ist Solidarität mit den südeuropäischen Ländern angebracht, die als frühere Weichwährungsländer durch die Währungsunion unter die Räder gekommen sind. Die Lösung kann nicht in „Daumenschrauben“ liegen, sondern die Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen müssen ihren Beitrag leisten.

Auf nationaler Ebene sind Steuerpolitik, Mindestlöhne, Arbeitszeit- und Bildungspolitik gefordert, um die Einkommens- und Vermögensungleichheit zu verringern.

Neoliberale Politik

Die neoliberale Politik, die seit den achtziger Jahren betrieben wird, ist das genaue Gegenteil einer solidarischen Politik. Keine Rede von einem Marshall-Plan, eher von Neokolonialismus (Kauf der griechischen Flughäfen).

Die Schere zwischen Gewinnen und Löhnen geht immer weiter auf. Die Spitzeneinkommen ziehen davon, die realen Nettoeinkommen für die Mehrheit der Arbeitnehmer stagnieren. Der Arbeitsgesellschaft geht nicht nur die Arbeit aus, sondern der Konsumgesellschaft gehen auch die Einkommen aus.

Die Idee neoklassischer Ökonomen, dass jeder das verdient, was er auf dem Markt wert ist, wurde durch die Explosion der Einkommen von Finanzspekulanten und Konzernmanagern ad absurdum geführt.

Großkonzerne werden immer unsolidarischer. Sie sind nicht mehr bereit, die staatlichen Leistungen mitzufinanzieren. Sie „mauscheln“ mit den Regierungen kleiner Länder, um sich in Steueroasen der korrekten Besteuerung zu entziehen. Die Steuerungleichheit ist besorgniserregend.

Die Krise der Europäischen Union

Die Europäische Union taumelt von einer Krise in die nächste: von der Finanz- zur Eurokrise und schließlich in die Migrationskrise und vielleicht bald in die TTIP-Krise. Das neoliberale Modell der EU (4 Grundfreiheiten) ohne Rücksicht auf Verwerfungen in einzelnen Ländern trägt entscheidend zu diesen Krisen bei.

Die konservativen Parteien fordern ständig Strukturreformen (sprich: Sozialkürzungen). Besonders dringlich wäre aber eine große Strukturreform der Europäischen Union.

Europa braucht mehr Zusammenarbeit und Solidarität. Die neoliberale Politik und die zunehmende Dominanz Deutschlands (vor allem Sparpolitik) treiben jedoch die Staaten Europa auseinander und in den Nationalismus.

Bundeskanzler Christian Kern hat in seinem FAZ-Interview einige Grundzüge einer solidarischen Wirtschaftspolitik für Europa skizziert. An der Politik wird es liegen, die Europäische Union von Grund auf zu reformieren und neu zu gestalten.