Reden wir über den Arbeitsmarkt und nicht über Pensionen

02. Juni 2016

Wenn es um die Pensionen geht, wird ein Thema allzu voreilig an den Rand geschoben: der Arbeitsmarkt. Dabei müsste dieser bei jeglicher Diskussion über die Pensionen im Mittelpunkt stehen. Junge Menschen sind mit einer äußerst schwierigen Arbeitsmarktsituation konfrontiert. Dies gefährdet ihre aktuellen Arbeits- und Lebenschancen, aber auch ihre Absicherung im Alter.

 

Generationengerechtigkeit beginnt am Arbeitsmarkt

In Zusammenhang mit dem demografischen Wandel, der sich durch die an sich positive Entwicklung kennzeichnet, dass mehr Menschen länger leben, wird rund um die Finanzierung des Pensionssystems „mantrahaftig“ der Begriff der Generationsgerechtigkeit getrommelt. Dabei wird unterstellt und propagiert, dass aufgrund der höheren Zahl an PensionsbezieherInnen die Finanzierung der Pensionen gefährdet ist und somit die Jugend von heute um ihre Pensionen fürchten muss. Im Sinne eines Generationsvertrages erscheint dies als ungerecht, so der Wortlaut. Völlig außer Acht lässt dieses Verständnis einer Generationsgerechtigkeit, dass für die Finanzierung des Pensionssystems der Arbeitsmarkt entscheidend ist. Anders ausgedrückt: Es geht darum wie viele Menschen wie ins Erwerbssystem integriert sind. Und gerade in Bezug auf die Integration in die Arbeitswelt fühlen sich viele junge Menschen in Europa von der Politik und Gesellschaft „alleingelassen“ und ausgenutzt.

Problem Arbeitslosigkeit

Junge Menschen zählen zu den Erst- und Hauptbetroffenen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Seit nun fast acht Jahren hat sich die Situation am Arbeitsmarkt kaum verbessert. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ist nach wie vor auf Rekordniveau. In der EU 28 waren im Jahr 2015 fast 5 Millionen Menschen unter 25 Jahren ohne Beschäftigung. Die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen stieg seit dem Jahr 2008 von 15,9% auf 20,3% in der EU-28. In vielen Europäischen Ländern kletterte die Jugendarbeitslosenquote sogar über die dramatische 30%-Schwelle. Besonders problematisch ist die Verfestigung der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen. In den Ländern Bulgarien, Griechenland, Spanien, Kroatien, Italien und Slowakei ist fast jede/r zweite arbeitslose Jugendliche bereits länger als 12 Monate arbeitslos. Die Konsequenzen von Langzeitarbeitslosigkeit sind umfassend erforscht und verdeutlichen, dass ehemalige arbeitslose Jugendliche die negativen Folgen der Desintegration oft bis zu 20 Jahre nach der Arbeitslosigkeitserfahrung noch spüren. In der Literatur wird von „scarring effects“ gesprochen, also -sogenannte Narben, die den Jugendlichen aufgrund der Arbeitslosigkeitserfahrungen lange anhaften. Dies schränkt in der Zukunft Beschäftigungs- und Einkommenschancen ein, erhöht ein wiederkehrendes Arbeitslosigkeitsrisiko und führt zu Dequalifizierung. Darüber hinaus kann die Arbeitslosigkeitserfahrung zu einem schlechteren Gesundheitszustand und einer geringeren Lebenszufriedenheit beitragen. In einem umlagefinanzierten System wirken sich diese Effekte negative auf die individuellen Pensionsleistungen aus und dem Pensionssystem an sich entgehen Beitragszahlungen. Aber auch für ein kapitalgedecktes Pensionssystem birgt eine hohe Arbeitslosigkeit Gefahren in sich, da arbeitslose Jugendliche vermutlich kaum in der Lage sind privat für die Altersvorsorge anzusparen. Jugendliche haben entweder keinen Anspruch oder nur ein sehr geringes Arbeitslosengeld, was hauptsächlich für die Deckung der untermittelbaren Bedürfnisse benötigt wird. Damit werden durch das Phänomen der Jugendarbeitslosigkeit nicht nur Talente und Fähigkeiten von Jugendlichen verschwendet, sondern es kann auch zum Bumerang für die Finanzierung von Pensionssystemen – sowohl von Privaten als auch von Öffentlichen – werden.

Problem atypische Beschäftigungsverhältnisse

Der abrupte Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit beim Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise steht in engem Zusammenhang mit den unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. Für viele junge Menschen beginnt die Berufslaufbahn mit atypischen Beschäftigungsformen, die sich durch befristete Verträge und wenig arbeits- und sozialrechtliche Absicherung kennzeichnen. Wie die Krise gezeigt hat, führen diese Beschäftigungsformen dazu, dass Jugendliche zu jenen Beschäftigungsgruppe zählen, die als erste den Job verlieren. Im Jahr 2008 hatten vor allem die Länder Slowenien (69,8%), Polen (62,8%), Spanien (59,2%), Portugal (54,6%), Schweden (53,6%) aber auch Deutschland (56,7%) extrem hohe Anteile an befristeten Beschäftigungsverhältnissen unter Jugendlichen. In Österreich lag der Anteil befristeten Beschäftigungsverhältnissen bei 34,8%. Auffallend ist, dass sich seit Beginn der Krise die befristeten Beschäftigungen noch deutlich zugenommen haben. Im EU-Durschnitt stieg der Anteil an befristeten Beschäftigungsverhältnissen unter Jugendlichen von 40,2% im Jahr 2008 auf 43,4% im Jahr 2014. In Spanien gab es einen enormen Anstieg von 59,2% auf 69,1%. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei Teilzeitbeschäftigten. Seit dem Jahr 2008 hat nicht nur die Teilzeitbeschäftigung unter Jugendlichen generell zugenommen, sondern insbesondere die unfreiwillige Teilzeitarbeit. Besonders dramatisch war der Anstieg an unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung in den Ländern Italien (von 52,6% auf 82,9%), Griechenland (von 46,8% auf 66,2%), Zypern (von 39,2 auf 65,6%) und in Spanien (von 32,7% auf 59,1%). Dies bedeutet, dass angesichts der enormen Knappheit an Arbeitsplätzen, sich die prekäre Position von Jugendlichen noch mal verschärft und Arbeitsverhältnisse angenommen werden müssen, die nur geringe Pensionsleistungen in Aussicht stellen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Problem Austeritätspolitik

Die eingeschlagene Austeritätspolitik in vielen Europäischen Länder führt zu Kürzungen von Staatsausgaben, die nicht nur die öffentliche Nachfrage senken und die Konjunkturentwicklung schwächen, sondern zusätzlich noch die politische Handlungsmöglichkeiten zur Bekämpfung der Ursachen von Jugendarbeitslosigkeit einschränkt. Ein kürzlich veröffentliche Studie vom Think Tank Bruegel betont, dass es in der EU zu Kürzungen der Staatsausgaben insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Familienförderung gekommen ist. Also jene Bereiche von denen Jugendliche besonders betroffen sind. Vor dem Hintergrund des Strukturwandels und dem hohen Arbeitslosigkeitsrisikos von Geringqualifizierten wären höhere öffentliche Investitionen in die Bildung angezeigt. Ähnlich scheint eine Intensivierung der Gesundheitspolitik angesichts der gut nachgewiesen Zusammenhängen zwischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der Desintegration in der Arbeitswelt, notwendig. Einen Teil der jungen Menschen hindert auch eine fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeit an einer Erwerbstätigkeit. Ein Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten würde die Vereinbarkeit von jungen Familien und Beruf erleichtern und zusätzlich Arbeitsplätze schaffen (siehe dazu den Blog-Beitrag von Sybille Pirklbauer). Kürzungen in diesen Bereichen wirken sich somit negative auf die Arbeitsmarktchancen aus, was wiederum negativ Konsequenzen auf die Pensionssysteme hat.

 Vollbeschäftigung muss höchste Priorität haben

Die Zusammenhänge zwischen dem Pensionssystem und des Arbeitsmarktes offenbaren eine klare Prioritätensetzung. Oberste Priorität muss eine auf Vollbeschäftigung orientierte Politik haben, die die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse nicht außer Acht lässt. Der Weg dorthin wird aber nur über mehr – und nicht weniger – öffentliche Investitionen gelingen. Sind die Herausforderungen am Arbeitsmarkt einmal im Griff, werde sich die Fragen Generationengerechtigkeit des Pensionssystems wie von selbst lösen.

Dieser Artikel ist in leicht adaptierter Form in der Ausgabe Mai 2016 der Zeitschrift Arbeit & Wirtschaft erschienen.