Rationalisierung, Digitalisierung, gesellschaftliche Entwicklungen: Was denken die Angestellten?

14. September 2017

Die Umbrüche in der Arbeitswelt werden in der Öffentlichkeit stark diskutiert: Wie viele und welche Jobs werden durch die Digitalisierung wegfallen, welche werden neu entstehen? Wie wird sich die Arbeitsorganisation in Zukunft verändern? Was bedeutet das für die vielbeschworene „Work-Life-Balance“? Wir haben Angestellte in der Bankenbranche und im Handel zu ihren Einschätzungen befragt. Auch wenn sie eher skeptisch in die Zukunft blicken, so sehen sie dennoch Potenziale für Gestaltungsmöglichkeiten – etwa durch mehr Einflussnahme auf die Wirtschaftspolitik und gewerkschaftliches Engagement.

„Wirtschaftskrise“ und „Digitalisierung“ sind nur zwei aktuell sehr prominente und bezeichnende Stichwörter, unter denen ein massiver Wandel der Arbeitswelt, vielfältige Umbrüche und verbreitete Unsicherheiten beschrieben und diskutiert werden. Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist es nicht nur interessant, wissenschaftlich fundierte Einschätzungen zur „Zukunft der Arbeit“ und zur Beschäftigungsentwicklung zu erstellen. Es ist auch wichtig, herauszufinden, wie ArbeitnehmerInnen diese gesellschaftlichen Veränderungen erleben, wahrnehmen und deuten.

Dies hilft u. a. dabei, die Erfahrungen der Basis in die gewerkschaftliche Interessenspolitik besser einzubinden: Wie wird etwa die Entwicklung der eigenen Arbeitssituation bzw. Arbeitsbedingungen betrachtet (Rationalisierungsangst, empfundener Leistungsdruck, Entgrenzung von Arbeit)? Wird die Digitalisierung als Chance oder als Gefahr wahrgenommen? Wird Digitalisierung am Arbeitsplatz überhaupt auf eine ähnlich intensive Art und Weise wahrgenommen, wie sie seit einigen Jahren in Wissenschaft und Politik diskutiert wird? Und welche Auswirkungen haben diese Wahrnehmungen auf das generelle Gesellschaftsbild der ArbeitnehmerInnen, also auf ihre gesellschaftspolitischen Einstellungen und Weltbilder?

Diesen und anderen Fragen haben wir uns im vergangenen Studienjahr (2016/2017) in einer Lehrveranstaltungskooperation zwischen dem Institut für Soziologie der Universität Wien und der GPA-djp-Bildungsabteilung gewidmet. Einige zentrale Ergebnisse dieses Lehrforschungsprojektes werden im Folgenden kurz skizziert. Die gesammelten Ergebnisse sind über den Sommer in Form von einzelnen Blogartikeln, geschrieben von den Studierenden, auf dem Blog der GPA-djp-Bildungsabteilung erschienen.

Handel und Banken als Kristallisationspunkte im Dienstleistungsbereich

Normalerweise steht die Industrie im Mittelpunkt der Digitalisierungsdebatte (Stichwort „Industrie 4.0“). So wichtig dieser Bereich auch ist, so gilt es dabei nicht aus den Augen zu verlieren, dass der überwiegende Teil der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich arbeitet. Allein der Handel ist mit etwa 540.000 Beschäftigten ähnlich bedeutend hinsichtlich der Zahl der Köpfe. Im Hinblick auf die Geschwindigkeit des Umbruchs ist auch die Banken- und Versicherungsbranche mit rund 110.000 Beschäftigten besonders interessant, da hier krisenbedingte Rationalisierung und Digitalisierung besonders stark wirken (z. B. über die Einführung von Selbstbedienungskassen bzw. -terminals, die Zusammenlegung bzw. Schließung von Filialen etc.). U. a. aufgrund dieser Überlegungen konzentrierten wir uns bei unserer Befragung von Angestellten auf den Handel sowie die Banken.

Die Befragung wurde über die GPA-djp mit der Unterstützung von BetriebsrätInnen in den beiden Branchen ermöglicht. Mittels Anwendung des Schneeballverfahrens konnten 823 Angestellte befragt werden: Etwa zwei Drittel davon arbeiteten in der Banken- und Versicherungsbranche, ein Drittel kam aus dem Handel – mit entsprechend charakteristischen Unterschieden hinsichtlich Geschlecht und Ausbildungsgrad. Die Befragten arbeiteten mehrheitlich schon über fünf Jahre in ihrem Betrieb und waren zum Befragungszeitpunkt zum überwiegenden Teil auch Gewerkschaftsmitglieder.

Einschätzungen der Auswirkungen von Digitalisierung und eigene Betroffenheit

Generell zeigt sich bei den von uns Befragten in beiden Branchen eine eher negative Erwartung an die Auswirkungen der Digitalisierung: Obwohl die Prognosen derzeit in höchst unterschiedliche Richtungen weisen, blickt die überwiegende Mehrheit der befragten Angestellten recht skeptisch in die Zukunft. Über 80 Prozent sind der Ansicht, dass durch die Digitalisierung viele Arbeitsplätze verloren gehen werden. Positive Zukunftsvisionen findet man demgegenüber eher selten: Nur rund 30 Prozent glauben, dass die neuen technologischen Entwicklungen eine bessere Anpassung an die Lebensphasen und Bedürfnisse von ArbeitnehmerInnen mit sich bringen werden.

Wahrgenommene Entgrenzung von Arbeit und Zunahme psychischer Belastungen

Eine jüngst erschienene Studie des Anton-Proksch-Institutes im Auftrag des Sozialministeriums hat ergeben, dass das Burn-out-Risiko in Österreich durch die Belastungen am Arbeitsplatz weiter steigt. Anzeichen hierfür sehen wir auch im Handel bzw. in den Banken: Der Großteil der Befragten (rund 70 Prozent) hat in den vergangenen zwölf Monaten eine Zunahme der durch die Arbeit verursachten psychischen Belastungen erlebt. Bei den wahrgenommenen physischen Belastungen ist das Ausmaß zwar nicht ganz so umfassend, aber auch hier geben rund 35 Prozent der Befragten eine Zunahme in den letzten zwölf Monaten an.

Dieses große Ausmaß der Zunahme psychischer Belastungen ist erschreckend. Eine Erklärung hierfür sind die erlebten Wellen des Stellenabbaus: Je umfassender der erlebte Stellenabbau, desto stärker nehmen auch die psychischen Belastungen der Befragten zu. Es mag aber auch damit zusammenhängen, dass rund 75 Prozent der Befragten der Aussage, „bei uns in der Firma herrscht für die meisten Beschäftigten hoher Arbeitsdruck“, zustimmten. Dies entspricht auch den Ergebnissen des AK-Arbeitsklimaindex, bei dem in den letzten Jahren ein erhöhter Zeit- und Arbeitsdruck auf die Beschäftigten festgestellt wurde. Rund 50 Prozent der von uns Befragten waren des Weiteren der Ansicht, dass ihr Arbeitspensum oft so groß sei, „dass ich in meiner Freizeit keine Kraft und Energie mehr habe“.

Laut der erwähnten Studie des Anton-Proksch-Institutes ist eine ausufernde Arbeitszeit ein bedeutsamer Auslöser für empfundene Belastungen am Arbeitsplatz und damit für ein erhöhtes Burn-out-Risiko. Zwar gaben in unserer Befragung nur rund 20 Prozent der Befragten an, dass sie „entgrenzt arbeiten“ müssen – d. h. dass sie während der Arbeitswoche oft auch in ihrer Freizeit Tätigkeiten für ihre Firma erledigen. Allerdings zeigt sich anhand einer Analyse der angegebenen Überstunden, dass rund die Hälfte der Befragten stets Überstunden macht – bei acht Prozent sind dies sogar durchschnittlich über zehn Stunden pro Woche.

Soziale Gerechtigkeit und gesellschaftspolitische Erwartungen

Bei den von uns Befragten herrscht insgesamt auch ein recht hohes Niveau erwarteter gesellschaftlicher Verschlechterungen vor: Rund 60 Prozent haben Angst vor einer weiteren schweren Wirtschaftskrise. 75 Prozent erwarten, dass die Lebensbedingungen für die meisten Österreicher und Österreicherinnen eher schlechter werden, wohingegen Entwicklungen, die direkt mit dem eigenen Arbeitsplatz verbunden sind, insgesamt weniger Sorgen hervorrufen. Interessant ist dabei auch, dass Bankangestellte etwas pessimistischer in die Zukunft blicken als Angestellte im Handel, obwohl sie beispielsweise durchschnittlich über ein höheres Einkommen verfügen. Diesbezüglich dürften die krisenhaften Entwicklungen der letzten Jahre in der Bankenbranche tiefgehende Eindrücke bei den Angestellten hinterlassen haben.

Allerdings sollte man angesichts dieser Zahlen nicht in einen politischen Fatalismus verfallen. Denn um dem erwarteten negativen gesellschaftlichen Trend etwas entgegenzusetzen, werden von den befragten ArbeitnehmerInnen mehrheitlich auch progressive soziale Lösungen unterstützt: So sind 76 Prozent der Meinung, dass Vermögende mit ihren Steuern und Abgaben nicht genug zum Gemeinwohl in Österreich beitragen. 66 Prozent wünschen sich, dass gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten der Staat mehr Einfluss auf die Wirtschaft haben sollte. Und fast 80 Prozent glauben, dass es viel helfen würde, sich mit anderen zusammenzuschließen, um an den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen etwas zu ändern. Das kann als Indiz gewertet werden, dass der Rückhalt für eine verstärkt auf breit verteilten Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt abzielende Politik durch die Krise eher stärker geworden ist.

Zusammenfassung und Ausblick

Unser Lehrforschungsprojekt konnte zusammenfassend betrachtet, Schlaglichter auf die Erfahrungs- und Einstellungswelten von Angestellten in Österreich werfen. Generell blicken die von uns Befragten zwar sehr skeptisch in die Zukunft und erleben an ihrem Arbeitsplatz tendenziell auch vermehrt Druck und Verunsicherung. Allerdings zeigen sich insbesondere, was die gesellschaftspolitischen Einstellungen betrifft, auch Potenziale für eine engagierte, gewerkschaftliche Politik.