OECD: Sparkurs trifft die sozial Schwächsten

15. April 2014

Die einseitige Sparpolitik und die Maßnahmen zur Krisenbekämpfung  gingen am stärksten zu Lasten der Menschen niedrigen Einkommen. Dies stellt die OECD (Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der entwickelten Industriestaaten) in zwei vielbeachteten Arbeiten zu den Auswirkungen der Krise fest. Damit wird der EU Krisenpolitik ein weiteres Mal ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Denn der rigide Sparkurs hat wesentlichen Anteil an der sozial schlechten Lage.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat zu einer sozialen Krise geführt

Geringverdiener-Haushalte, junge Menschen und Familien mit Kindern werden in der OECD-Studie Society at a Glance 2014 als die am stärksten betroffenen Gruppen genannt. Besonders verschlechtert haben sich die Lebensbedingungen in Estland, Italien, Griechenland, Irland und Spanien, allesamt EU-Staaten. Auch hat sich in Griechenland, Irland und Spanien die Anzahl der Haushalte verdoppelt, die ganz ohne Einkommen sind.

Die Arbeitslosigkeit im OECD Raum ist um ein Drittel auf 48 Mio. Menschen gestiegen, wovon schon über ein Drittel der Personen langzeitarbeitslos sind. Besonders Junge und Niedrigqualifizierte finden schwer Jobs.

Auch die Armut ist in den letzten Jahren stark angewachsen. Bereits ein Viertel der Menschen, die in den reichsten Industriestaaten der Welt leben, haben laut eigenen Angaben Probleme mit dem Einkommen auszukommen. Hand in Hand sind auch die gesundheitlichen Probleme in den OECD Staaten angestiegen. Neben Problemen, sich Nahrungsmittel leisten zu können, wachsen physische und psychische Belastungen in Zusammenhang mit der Krise und der Arbeitslosigkeit.

OECD warnt vor langfristigen Konsequenzen der sozialen Krise

Im Gegensatz zur Europäischen Kommission erkennt die OECD, dass die langfristig verbundenen Folgen dieser negativen sozialen Entwicklung höchst problematisch sind. Zwar erholt sich die Weltwirtschaft nach der Finanz- und Wirtschaftskrise in kleinen Schritten, aber die Arbeitslosigkeit sinkt nicht im selben Ausmaß. Die Einkommen, die in der Krise verloren gingen, sind kaum wieder aufzuholen, vor allem wenn die Arbeitslosigkeit anhaltend hoch bleibt. Die Reallöhne entwickeln sich im Durchschnitt in den letzten Jahren schwächer als das wirtschaftliche Wachstum.

Krisen- und Konsolidierungskosten sind ungleich verteilt

Der Aufschwung alleine wird also nicht reichen, um jenen wieder auf die Beine zu helfen, die von der Krise schwer getroffen wurden. Vor allem, weil die Kosten der Krise nicht gleich verteilt waren und einkommensschwache Gruppen stärker trafen, wie die OECD bereits 2013 feststellte.

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: OECD Income Distribution Database, eigene Darstellung. © A&W Blog
Quelle: OECD, eigene Darstellung.

Und der Spardruck, der derzeit auf vielen Regierungen lastet, macht es zunehmend unmöglich, mit den ansteigenden sozialen Problemen fertig zu werden. Verglichen mit Steuern tragen Sozialausgaben in den OECD Staaten doppelt so viel zur Reduzierung der Ungleichheit bei. Gespart wird aber jetzt gerade bei diesen: In zwei Drittel der OECD Staaten wurde in den letzten Jahren bei Sozialtransfers (Arbeitslosengeld, Familienleistungen u.a.) gekürzt, in rund der Hälfte Fälle bei Gesundheitsausgaben und Pensionen.

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Quelle: <a href="http://www.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/society-at-a-glance-2014_soc_glance-2014-en" target="_blank">OECD</a>, eigene Darstellung. © A&W Blog
Quelle: OECD, eigene Darstellung.

Damit hat der harte Sparkurs die soziale Lage noch verschärft. Die Kürzungen der Regierungen bei den sozialen Maßnahmen wirkten auf die ärmere Bevölkerungsgruppen stärker negativ als die vorgenommenen Steuererhöhungen, die vor allem die oberen Einkommensgruppen trafen.

Wohlfahrtsstaat hat sich in der Krise bewährt

Die OECD kritisiert deshalb in ihrer jüngst veröffentlichten Studie das Sparen bei Sozialleistungen in Krisenzeiten als kurzsichtig und spricht sich für soziale Investments aus. Gerade die sogenannten automatischen Stabilisatoren, also die automatisch in Relation zur Wirtschaftsleistung sinkenden Steuereinnahmen bzw. steigenden Sozialausgaben insbesondere in Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit, haben sich in der Krise bewährt: In Staaten mit schwachen automatischen Stabilisatoren haben die ärmsten 10% der Haushalte mehr verloren, als in Staaten mit starken. Sozialleistungen sollten also antizyklisch eingesetzt werden und erst im Zuge einer wirtschaftlichen Erholung zurückgenommen werden. Die AutorInnen warnen angesichts der enormen Arbeitslosigkeit vor Einsparungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung und aktiven Arbeitsmarktpolitik. Im Gegenteil: sie empfehlen kurzfristig höhere Ausgaben, wenn diese helfen können, Beschäftigung zu schaffen. Auch generelle Kahlschläge in Familien- und Wohnpolitik wirken demnach kontraproduktiv.

Sparpolitik macht langfristig die Gesellschaft kaputt

In der aktuellen Studie warnt die OECD vor künftigen sozialen Problemen, wenn die Kürzungspolitik im selben Maß  fortgeführt wird. Die vollen Konsequenzen von Konsolidierungen zeigen sich nämlich vielfach zeitverzögert. Die Auswirkungen erreichen erst  nach fünf bis sechs Jahren ihren negativen Höhepunkt und laufen erst nach zehn Jahren aus. Sie weist auch auf die politischen Konsequenzen hin, wenn die Bevölkerung den Eindruck habe, der Sozialvertrag sei aufgekündigt worden und sie könne sich von den Regierungen keine Unterstützung erwarten.

Unterstützt wird die Position der OECD auch vom IWF, der in seinen Studien zunehmend auch die Verteilungsfrage thematisiert. In der im Februar 2014 veröffentlichen IWF-Studie „Redistribution, Inequality, and Growth“ kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass Ungleichheit sich nicht nur negativ auf das soziale Gefüge einer Gesellschaft auswirkt, sondern in der Regel auch die Wachstumsaussichten einer Volkswirtschaft beeinträchtigt. Der Währungsfonds schließt sich damit mehreren kritischen Studien an, die in den letzten Jahren auf massive Fehlentwicklungen in der internationalen Verteilungspolitik hingewiesen haben.

Damit ist ein weiteres Mal belegt: Einen „schlanken Staat“ können sich nur Reiche leisten. Bei einem Abbau der Sozialsysteme explodieren die sozialen Probleme.