Neue Arbeitsformen

15. Juni 2015

Das Arbeitsrecht ging ursprünglich vom Bild des „Normalarbeitsverhältnis“ als einem unbefristeten Vollzeitarbeitsvertrag aus. Seit den 1980iger Jahren nahmen „atypische Arbeitsverhältnisse“ wie Teilzeit, befristete Arbeitsverträge und Arbeitskräfteüberlassung stark zu. Nachdem diese bis heute zumindest teilweise gesetzlich reguliert sind, entstehen seit 2000 ganz neue Formen der Arbeitserbringung („New Forms of Employment“). Ein aktueller Report des eurofund stellt diese erstmals strukturiert dar und gibt erste Einschätzungen über die Auswirkungen ab. Eine gute Grundlage um sich rechtzeitig mit den neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen.

Vom Normalarbeitsverhältnis zur „atypischen Arbeit”

Die bestehenden Institutionen des Arbeitslebens (wie Gewerkschaften, Betriebsräte und Kammern für ArbeiterInnen und Angestellte, die Wirtschaftskammern, Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen) ebenso wie das Arbeitsrecht selbst sind Antworten auf die Industrialisierung und das sich dabei herausbildende Normalarbeitsverhältnis: Ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis, das mit einer gewissen Sicherheit verbunden ist und ein ausreichendes (Familien-)Einkommen sichert. Durch die starke Durchregulierung dieses Normalarbeitsverhältnisses in Gesetz und Kollektivvertrag sollte dem Machtungleichgewicht beim Aushandeln der individuellen Arbeitsverträge begegnet werden. Dieser Schutz für die ArbeitnehmerInnen ist freilich mit Kosten für die ArbeitgeberInnen verbunden. Besonders in Folge der Globalisierung der Wirtschaft und des verstärkten internationalen Wettbewerbes wurden daher Forderungen nach Senkung der Arbeitskosten und der Flexibilisierung von Beschäftigungsbedingungen laut.

Vor allem seit den 1980iger Jahren nahmen „atypischen Arbeitsverhältnissen“ stark zu: Teilzeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und Arbeitskräfteüberlassung (Leiharbeit) sind dabei die am weitesten verbreiteten Formen. ArbeitgeberInnen wählten diese Formen der Beschäftigung vor allem wegen der damit verbundenen stärkeren Flexibilität und der damit erwarteten Arbeitskostensenkung. Sie ermöglichen nämlich eine teilweise Überwälzung von Risiken und Kosten, die beim Standardarbeitsverhältnis die ArbeitgeberInnen trafen: Vor allem ging es darum, das Risiko auch in unproduktive Zeiten Entgelt bezahlen zu müssen ebenso gering zu halten wie die aus dem Kündigungsschutz resultierenden Kosten. ArbeitnehmerInnen wurden diese atypischen Arbeitsverhältnisse mit dem Versprechen schmackhaft gemacht, dass deren flexible Gestaltung die bessere Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit mit anderen Aktivitäten (Kinderbetreuung Haushaltsarbeit, Ausbildung und selbständige Tätigkeit) ermögliche. Außerdem würden damit neue Arbeitsplätze geschaffen und Personen in Beschäftigung gebracht, die für Standard-Arbeitsverhältnisse nicht zur Verfügung stehen.

Gesetzliche Regulierungsbemühungen

Das verstärkte Auftreten atypischer Beschäftigungsverhältnisse brachte auch die Gesetzgebung auf den Plan. Einige der sich aus ihnen ergebenden Schutzdefizite wurden geschlossen, insbesondere wurde die gar nicht so seltene Diskriminierung atypischer Beschäftigter (zB der Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten aus Betriebspensionssystemen oder der Versuch durch Leiharbeit kollektivvertragliche Entgeltbedingungen im Beschäftigerbetrieb zu unterwandern) gesetzlich verboten. (Einschlägige Regelungen finden sich zB im Arbeitszeitgesetz, im Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz oder im Arbeitskräfteüberlassungsgesetz. Vor allem im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung erreichten die Gewerkschaften den Abschluss eines für die betroffenen ArbeitnehmerInnen vorteilhaften Kollektivvertrages für die Arbeiter in Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen.

Auch die Europäische Union entfaltete im Rahmen der sozialen Dimension Aktivitäten im Bereich der atypischen Beschäftigung. Insbesondere schlossen die SozialpartnerInnen auf europäischer Ebene für Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse Rahmenvereinbarungen ab, die vom Rat als Richtlinien durchgeführt wurden und von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden mussten. (Zu erwähnen sind zB die Teilzeitarbeits-Richtlinie 97/81/EG, Befristungs-Richtlinie 1999/70/EG und Leiharbeits-Richtlinie 2008/104/EG ebenso wie die Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23/EG).

New Forms of Employment

Die Entwicklung ist damit freilich nicht abgeschlossen, der Hunger nach mehr Flexibilität insbesondere gepaart mit moderner Kommunikationstechnologie führt im Rahmen der grundsätzlich gegebenen Vertragsfreiheit zu zahlreichen neuen Phänomenen in der Arbeitswelt. Derzeit bilden sich sehr unterschiedliche neue Formen der Arbeitserbringung („new forms of employment“) heraus. Der aktuelle Report der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (eurofund) hat diese erstmals zusammengefasst, strukturiert dargestellt und gibt auch eine erste Einschätzung ihrer Auswirkungen ab. Die neuen Arbeitsformen unterscheiden sich vom Normalarbeitsverhältnis sowie der atypischen Beschäftigung in mehrfacher Weise: Einige von ihnen verändern die Beziehung zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen, andere die Arbeitsorganisation und einige tuen beides. Der Report arbeitet neun verschiedene Typen heraus, die  allesamt seit 2000 verstärkt auftreten; manche davon sind gänzlich neu, andere waren schon bekannt, haben aber nun an Bedeutung gewonnen.

  • Crowd employment: virtuelle Plattformen, die AnbieterInnen und NachfragerInnen von Dienstleistungen zusammenführen
  • Casual work: Arbeit auf Abruf
  • Portfolio work: Selbständige arbeiten für eine große Anzahl von KundInnen, für die sie jeweils nur sehr kleine Arbeitsaufträge erfüllen
  • Collaborative Employment: verdichtete Formen der Zusammenarbeit von kleinstrukturierten Selbständigen
  • Employee sharing oder Labour pooling: einzelne Arbeitende werden von einer Mehrzahl von ArbeitgeberInnen angestellt für die sie auf rotierender Basis arbeiten
  • Job sharing: mehrere ArbeitnehmerInnen teilen sich einen Arbeitsplatz und koordinieren ihre Verfügbarkeiten selbst
  • Interim Management: befristete Verträge für Führungskräfte
  • Mobile, auf moderner Informationstechnologie (ICT) basierende Leistungserbringung
  • Voucher based work: Bezahlung der Arbeitsleistung mit Gutscheinen oder Schecks, die bei Dritten erworben werden können

Matrix der New Forms of Employment

Diese „new forms of employment“ lassen sich auf einer Matrix abbilden, wobei die beiden Achsen die Besonderheiten der neuen Arbeitsformen darstellen

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

X-Achse: Beziehungsform zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen bzw. zwischen AuftrageberInnen und AuftragnehmerInnen (sie bewegt sich von „normalen“ employees in Richtung selfemployed)

Y-Achse: zeigt wie die Arbeit geleistet wird (vom organisatorisch und örtlich eingebundenen employment relationship hin zu neuen Arbeitsformen „work pattern“)

Auch wenn die „new forms of employment“ im Detail sehr unterschiedlich sind und in einzelnen Staaten in unterschiedlicher Ausprägung und Häufigkeit auftreten, haben sie einen gemeinsamen Nenner: das Ziel zusätzliche Flexibilität für ArbeitgeberInnen und/oder ArbeitnehmerInnen zu schaffen. Während einige Formen potenziell für beide Vertragsparteien nutzbringend sein können, bieten andere Grund zur Sorge hinsichtlich ihres negativen Einflusses sowohl auf die Arbeitsbedingungen als auch auf den Arbeitsmarkt. Mag auch die eine oder andere Form in manchen Ländern schon seit längerem bekannt sein, so sind die meisten noch nicht sehr weit verbreitet und daher oft unreglementiert, obwohl sie zahlreiche rechtliche und soziale Probleme aufwerfen. In einer stark vernetzten, oft transnational agierenden Wirtschaft ist eine Beschäftigung mit derartigen Entwicklungen wissenschaftlich und auch sozialpolitisch lohnend, um darauf rechtzeitig, reflektiert und umfassend reagieren zu können – und so Schnellschüsse und Provisorien zu vermeiden, die zumeist dann die Folge sind, wenn erst spät und unter Zeitdruck reagiert wird. Die Studie bietet eine gute Ausgangsbasis sich mit den einzelnen Phänomenen vertiefter auseinander zu setzen.