Mehr öffentliche Investitionen sind sinnvoll und erforderlich

02. September 2016

Die Sparpolitik der letzten Jahre führte in weiten Teilen Europas zu einem scharfen Rückgang der öffentlichen Investitionen. Dieser Beitrag legt zehn ökonomische Argumente für mehr öffentliche Investitionen dar. Vor dem Hintergrund von anhaltend schwachem Wirtschaftswachstum und hoher Arbeitslosigkeit ist ein budgetpolitischer Kurswechsel dringend erforderlich. Eine koordinierte Ausweitung öffentlicher Investitionen würde nicht nur kurzfristig zur Bekämpfung der unfreiwilligen Massenarbeitslosigkeit beitragen, sondern auch langfristig das wirtschaftliche Wachstumspotential anheben, was sich unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen wiederum positiv auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auswirken könnte.

Austeritätspolitik verursacht schädlichen Rückgang öffentlicher Investitionen in Europa

Die Wende zur Austeritätspolitik, welche die wirtschaftspolitischen EntscheidungsträgerInnen in der Eurozone in den Jahren 2010/2011 vollzogen, hat tiefe Spuren bei den öffentlichen Investitionen hinterlassen: Die staatlichen Ausgabenkürzungen trafen in besonderem Maße investive Ausgaben für Infrastruktur. Die unten zu sehende Abbildung illustriert, dass die Peripherieländer der Eurozone, die in den letzten Jahren dem stärksten Spardruck ausgesetzt waren, den markantesten Rückgang der realen (preisbereinigten) öffentlichen Investitionen verzeichneten. In Griechenland betrugen die zwischen 2010 und 2016 vorgenommenen Kürzungen 13,5%, in Italien 24,6%, in Spanien 50,4% und in Portugal sogar 65,3%.

öffentliche Investitionen, Eurozone, Peripherie © A&W Blog
Datenquelle: AMECO-Datenbank (3.5.2016); öffentliche Investitionen deflationiert mit dem BIP-Deflator. © A&W Blog
Datenquelle: AMECO-Datenbank (3.5.2016); öffentliche Investitionen deflationiert mit dem BIP-Deflator.

Doch auch in den sogenannten Kernländern der Eurozone drückte die Sparpolitik die öffentlichen Investitionen deutlich nach unten. So ist etwa in Frankreich 2016 gegenüber dem Jahr 2010 ein Rückgang von 13,1% festzuhalten, in den Niederlanden war das Minus mit 15,5% sogar noch größer. Die öffentlichen Investitionen Deutschlands liegen 2016 gerade einmal 5,1% über dem Niveau von 2010 – wobei selbst die Unternehmensberatung McKinsey zuletzt in einer Studie zeigte, dass das Investitionsdefizit in die deutsche Infrastruktur im globalen Vergleich besonders eklatant ist und genügend fiskalpolitischer Spielraum vorhanden wäre, um eine positive Investitionswende herbeizuführen.

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Datenquelle: AMECO-Datenbank (3.5.2016); öffentliche Investitionen deflationiert mit dem BIP-Deflator. © A&W Blog
Datenquelle: AMECO-Datenbank (3.5.2016); öffentliche Investitionen deflationiert mit dem BIP-Deflator.

In Österreich zeigen die traditionellen, preisbereinigten öffentlichen Investitionen zwischen 2010 und 2016 einen Rückgang von 1,6% an. Die auf Basis des europäischen Fiskalpaktes im österreichischen Recht verankerte Schuldenbremse zieht auch hierzulande eine übermäßig restriktive Budgetpolitik nach sich, die wichtige investive Ausgaben des Staates verhindert oder zumindest erschwert: Obwohl in Österreich ebenso wie in anderen europäischen Ländern dringende Handlungserfordernisse im Bereich der öffentlichen Infrastruktur bestehen – etwa betreffend den Ausbau von Schulen, Krankenhäusern, Kindergärten und anderen Betreuungseinrichtungen sowie höherer Energieeffizienz –, wird die Wirtschaftspolitik auf die Erreichung von budgetpolitischen Zielen verengt. Selbst im Angesicht des drängenden Problems der Massenarbeitslosigkeit dominiert in der Wirtschaftspolitik weitgehend das Mantra der „schwarzen Null“ der öffentlichen Haushalte.

Die markante Reduktion der öffentlichen Investitionen hat in den letzten Jahren die Wirtschaftskrise in der Eurozone verschärft und prolongiert. Das liegt daran, dass staatliche Ausgabenkürzungen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage (und damit die Produktion) nach unten drücken – zum einen direkt durch das Sinken der gesamtwirtschaftlichen Ausgaben; zum anderen durch negative indirekte Effekte, weil bei geringerer Nachfrage auch die privaten Unternehmen weniger investieren. Mehrere aktuelle ökonomische Studien von renommierten MakroökonomInnen verweisen darauf, dass eine Reduktion der öffentlichen Investitionen um 1% des BIP zu einem Rückgang des BIP von mehr als einem 1% führt; und auch der Internationale Währungsfonds musste die hohen negativen Wachstumseffekte der Sparpolitik im Herbst 2014 eingestehen.

Zehn ökonomische Argumente für mehr öffentliche Investitionen

Im Folgenden werden in Kurzform zehn besonders wichtige ökonomische Argumente dargelegt, die für eine koordinierte Ausweitung der öffentlichen Investitionen in Österreich sowie in anderen Teilen Europas ins Treffen geführt werden können:

  1. Öffentliche Investitionen kurbeln kurzfristig Produktion und Beschäftigung an. Dies wäre wirtschaftspolitisch von größter Bedeutung, weil die Massenarbeitlosigkeit weiterhin das drängendste Problem darstellt.
  2. In der aktuellen makroökonomischen Situation, gekennzeichnet durch anhaltend unzureichende Nachfrage, führen die „Selbstheilungskräfte“ der Märkte nicht zurück zu Vollbeschäftigung; vielmehr muss der Staat durch expansive Budgetpolitik die Wirtschaft ankurbeln.
  3. Öffentliche Investitionen würden durch positive Wachstums- und Beschäftigungseffekte auch Anreize für privatwirtschaftliche Unternehmen schaffen, ihrerseits mehr zu investieren, was zusätzliche Impulse zum Abbau der Arbeitslosigkeit gäbe („Crowding-in“ von Investitionen).
  4. Öffentliche Investitionen – insbesondere in Infrastruktur und Bildung – heben das langfristige Wachstumspotential einer Volkswirtschaft. Zukünftige Generationen profitieren von verbesserten Straßen und Gebäuden, von mehr Schulen, besseren Krankenhäusern und Betreuungseinrichtungen für ältere und junge Menschen etc.
  5. Ein Investitionsschub würde dem Entstehen von negativen Hysterese-Effekten entgegenwirken, welche etwa aus der Entwertung von Produktionsanlagen entstehen, aber auch aus dem teilweisen Verlust der Fähigkeiten von ArbeitnehmerInnen aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit. Derartige Hysterese-Effekte können sich auf viele Jahrzehnte negativ auf die Pfadentwicklung einer Volkswirtschaft auswirken. Öffentliche Investitionen sind das geeignete Mittel, um etwas dagegen zu unternehmen.
  6. Die Darstellung von KritikerInnen, dass es falsch sei, durch defizitfinanzierte Staatsausgaben Produktion und Beschäftigung zu stimulieren, geht fehl: Wie nicht nur die renommierten amerikanischen Ökonomen Brad DeLong und Larry Summers, sondern auch der Internationale Währungsfonds gezeigt haben, erhöht mehr Wachstum auch die Steuereinnahmen. Und dies erleichtert unter den Rahmenbedingungen erheblicher wirtschaftlicher Unterauslastung und im Falle des Vorliegens von Hysterese-Effekten mittel- und langfristig sogar das Abtragen der staatlichen Schuldenlast.
  7. Die aktuellen makroökonomischen Rahmenbedingungen in der Eurozone sind für eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen enorm günstig: Das anhaltend niedrige Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit, der fortgesetzte Schuldenabbau im Privatsektor und der fortwährende Deflationsdruck weisen darauf hin, dass erhebliche wirtschaftliche Unterauslastung besteht. In dieser Situation muss der Staat mittels expansiver Budgetpolitik die bestehenden Nachfragelücken durch zusätzliche Ausgaben schließen und damit seiner Stabilisierungsrolle zur Sicherstellung von Vollbeschäftigung gerecht werden.
  8. Dazu kommt, dass die Zinsen auf langfristige Staatsanleihen auf historisch niedrigem Niveau sind: Laut Daten von Eurostat lagen die Zinsen auf 10-jährige österreichische Staatsanleihen im Juli 2016 bei gerade einmal 0,2%. Der österreichische Staatshaushalt wird durch die dadurch sinkende Zinslast in nicht unerheblichem Ausmaß entlastet, was Spielraum für expansive budgetpolitische Maßnahmen schaffen sollte. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass die potentiellen Erträge von Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen weit über den Anleihezinsen von 0,2% liegen.
  9. Es ist schlicht falsch, defizitfinanzierte Staatsausgaben allein als Bürde für kommende Generationen darzustellen, wie es regelmäßig von konservativer Seite getan wird. Öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung schaffen vielmehr Vermögenswerte (Assets), deren Früchte auch zukünftigen Generationen zugute kommen, indem sie dazu beitragen, langfristig den Wohlstand anzuheben.
  10. Wie die Ökonomin Mariana Mazzucato gezeigt hat, spielen staatliche Investitionen – insbesondere in den Bereichen Forschungsinfrastruktur, Grundlagenforschung und Entwicklung – eine wichtige Rolle bei der Förderung von Innovationen, die zu technischem Fortschritt und steigendem materiellen Wohlstand führen. Eine Verschränkung von öffentlichen und privaten Investitionsinitiativen eröffnet heute die aussichtsreichsten Möglichkeiten für einen Produktivitätsschub, der die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft anhebt.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Zusammenfassend drängt sich eine Frage auf: Wann soll der Staat investieren, wenn nicht jetzt? Eine umfassende Initiative für öffentliche Investitionen ist unter den derzeit vorherrschenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ebenso günstig wie dringend geboten. Die Möglichkeiten zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung werden jedoch durch das EU-Fiskalregelwerk beeinflusst, das in Österreich ebenso wie in den anderen EU-Ländern das strukturelle Defizit des Gesamtstaates auf 0,5% begrenzt. Die damit einhergehende, einseitige Einengung des budgetären Spielraumes ist überschießend und kontraproduktiv, vor allem in schlechten konjunkturellen Zeiten.

Die Staaten Europas müssen alles daran setzen, ihre gesellschaftlichen Zukunftsinvestitionen nicht nur zu verteidigen, sondern zu steigern. In Österreich ist dies bspw. angesichts der wachsenden Bevölkerung in den Städten (insbesondere in Wien) und aufgrund anderer gesellschaftlicher Problemlagen (Stichworte: Integration von Flüchtlingen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft, Kinderbetreuung und Altenpflege) eine ganz zentrale Aufgabe. Auf europäischer Ebene geht es für Österreich darum, mit anderen europäischen Ländern Allianzen zu schmieden, um sinnvolle Regeländerungen durchzusetzen, die den Regierungen Europas mehr budgetpolitischen Handlungsspielraum einräumen, vor allem in Zeiten hoher unfreiwilliger Arbeitslosigkeit. Der Druck sollte sowohl auf ExpertInnenebene als auch auf MinisterInneneben erhöht werden.

So wäre das Drängen auf die Umsetzung der „goldenen Regel der Budgetpolitik“ sinnvoll, derzufolge öffentliche Neuverschuldung stets im Ausmaß der öffentlichen Investitionen erlaubt sein muss. Weil sinnvolle Änderungen des EU-Fiskalregelwerks nicht von heute auf morgen umsetzbar sind, muss es kurzfristig um die volle Ausreizung des budgetpolitischen Handlungsspielraumes für investive Ausgaben des Staates gehen; etwa durch weitere außerbudgetäre Finanzierungen von öffentlichen Investitionen, oder durch die stärkere Nutzung des Europäischen Fonds für strategische Investitionen.