Das Neue Magische Viereck nachhaltiger Wirtschaftspolitik

08. Januar 2015

Geld allein macht nicht glücklich – und auch für die Wirtschaftspolitik gilt es, nicht nur ökonomische, sondern gleichermaßen soziale und ökologische Effekte im Auge zu behalten. Das Neue Magische Viereck bietet einen Ansatz, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

Wohlstand: mehr als Ökonomie

Gesellschaftlicher Wohlstand geht weit über die materielle, ökonomische Dimension hinaus, umfasst ebenso Aspekte der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit, die simultan gewährleistet sein müssen: In diesem Punkt herrscht mittlerweile ein weitreichender Konsens, der insbesondere durch die Ergebnisse der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission und der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestags dokumentiert wird. An Vorschlägen, wie dieser breit definierte Wohlstand zu messen ist, mangelt es nicht. Bisherige Ansätze kranken jedoch an zwei Problemen:

  1. Der verwendete Indikatorenwald erweist sich als im öffentlichen Diskurs nur schwer kommunizierbar. Die Nachhaltigkeitsstrategie der deutschen Bundesregierung etwa stützt sich derzeit auf nicht weniger als 38 Indikatoren. Auch der Versuch der Statistik Austria, ein breiteres Verständnis der Wohlstandsentwicklung zu fördern, umfasst bereits in der Basisvariante 31 Indikatoren.
  2. Die einzelnen Wohlstandsdimensionen stehen bisher nicht gleichberechtigt nebeneinander. Vielmehr kommt fiskalischen Aspekten ein auf nationaler wie europäischer Ebene mit Verfassungsrang kodifiziertes Primat zu (Schuldenbremse, Fiskalpakt).

Vom Alten zum Neuen Magischen Viereck

Vor diesem Hintergrund haben Dullien und van Treeck bereits 2012 eine Fortentwicklung des deutschen Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes vorgeschlagen, das seit 1967 das sogenannte Magische Viereck als wirtschaftspolitischen Zielkatalog vorschreibt: Bund und Länder haben demnach Maßnahmen zu ergreifen, die „im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“.

An die Stelle dieses bisher rein ökonomischen Konzepts tritt im „Neuen Magischen Viereck“ ein multidimensionaler Ansatz, der als Oberziele neben der ökonomischen soziale, ökologische und fiskalische Nachhaltigkeit setzt. Grundsätzlich sind dabei auch alternative, differenziertere Abgrenzungen von Zielkategorien im Sinne eines „Magischen Vielecks“ denkbar, wie zuletzt von Markus Marterbauer dargelegt.

Das Neue Magische Viereck nachhaltiger Wirtschaftspolitik

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: Dullien und van Treeck (2012)

Synergien und Zielkonflikte aufzeigen

Die Definition von Oberzielen ermöglicht nicht nur die Formulierung langfristiger Politikziele, sondern auch die Identifikation und öffentliche Diskussion von Interdependenzen, Synergien und Zielkonflikten. Die Umsetzung einer strategischen Wirtschaftspolitik wird dadurch erleichtert. Wirtschaftspolitische Maßnahmen gewinnen in diesem Kontext gesellschaftliche Legitimation. Die Oberziele müssen freilich durch konkrete Indikatoren unterlegt werden, um ein Monitoring der Zieleinhaltung praktikabel zu machen. Dennoch spricht einiges dafür, das Indikatorenset nicht in Stein zu meißeln:

  • So kann eine sehr enge und rigide Abgrenzung dazu führen, dass zwar Zielwerte für einzelne Indikatoren erreicht werden, nicht jedoch die eigentlichen Oberziele („Goodhart’s Law“).
  • Ferner sollte die Indikatorwahl regelmäßig evaluiert werden. Diese Aufgabe könnte – wie die Beobachtung der Zielerreichung – durch einen Beirat übernommen werden.

Vom Konzept zur Politikempfehlung

Ein Neues Magisches Viereck kann nicht zuletzt zum Zweck einer gesellschaftlichen Bestandsaufnahme genutzt werden. So besteht in Deutschland bei allen Zielfeldern Handlungsbedarf, auf dessen Grundlage sich klare Politikempfehlungen formulieren lassen:

  • Ungleichheit reduzieren, soziale Nachhaltigkeit steigern: Neben der bereits begonnenen Einführung des allgemeinen Mindestlohns sollten die Geringfügigkeitsgrenze bei Minijobs auf 100 Euro monatlich gesenkt sowie gleicher Lohn für gleiche Arbeit im Rahmen von Leiharbeitsverhältnissen festgeschrieben werden. Um die Chancengleichheit unabhängig vom sozialen Hintergrund zu erhöhen, sollten die Bildungsausgaben insbesondere zum Ausbau hochwertiger frühkindlicher Betreuungsangebote gesteigert, aber auch die Schnittstellen zwischen Berufsausbildungs- und Hochschulsystemdeutlich verstärkt werden.
  • Kommunales Investitionsprogramm auflegen: Ein gesamtwirtschaftlicher Investitionsstau konzentriert sich vor allem auf die kommunale Ebene, die für Daseinsvorsorge von der Verkehrsinfrastruktur bis hin zur Kinderbetreuung zuständig ist. Um den Ersatzbedarf in Höhe von gut 50 Milliarden Euro zu decken, müssen die kommunalen Investitionen von derzeit rund 0,75 Prozent auf 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Hierzu sollten die Kommunen stärker im Bereich der Sozialausgaben entlastet werden und ferner Finanzhilfen seitens des Bundes erhalten. Zur Gegenfinanzierung ist unter den Vorgaben der Schuldenbremse dort, wo Gebührenmodelle nicht praktikabel sind, eine Erhöhung der Steuereinnahmen unumgänglich, die sich mit Blick auf die soziale Nachhaltigkeit, aber auch auf konjunkturelle Erfordernisse, auf höhere Einkommensklassen und Vermögen konzentrieren sollte.
  • Energieversorgung nachhaltig gestalten: Im laufenden Jahrzehnt müssen massive Investitionen in die Erzeugungskapazität erneuerbarer Energieträger erfolgen. Dies ist nur realistisch, wenn ihre Schaffung weiterhin hinreichend gefördert wird. Um zweitens neben der erneuerbaren Energieerzeugung auch ihre Bereitstellung zu gewährleisten, muss der Netzausbau On- wie Offshore vorangetrieben werden. Vieles spricht dafür, dass sowohl die Koordination als auch die Finanzierung der hierzu benötigten Investitionen durch die Gründung einer öffentlichen Netz AG erleichtert würden. Drittens ist eine Effizienzrevolution erforderlich: Zur deutlichen Steigerung der Energieeffizienz muss insbesondere die energetische Gebäudesanierung wie bereits angekündigt steuerlich sowie durch einen ausreichend und verlässlich dotierten Energie- und Klimafonds flankiert werden.

Während das Neue Magische Viereck grundsätzlich auf einzelstaatlicher Ebene angesiedelt und umgesetzt werden sollte, existieren Handlungsfelder, für die nur auf supranationaler Ebene sinnvolle Ziele definiert und wirksame Maßnahmen ergriffen werden können. Ein auf die europäische Ebene übertragenes Konzept müsste demnach allem voran dem Ziel der Finanzmarktstabilität Rechnung tragen, indem es etwa die Rückwirkungen der verschiedenen Projekte im Rahmen der Europäischen Bankenunion, aber auch der Geldpolitik im Euroraum auf die fiskalische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit nachzeichnet.

Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung wieder.