Lehrlingsmonitor: Ausbildungsqualität messen, vergleichen und ausbauen

29. Januar 2016

Einen guten Lehrling zu finden sei schwierig, sagen WirtschaftsvertreterInnen immer wieder. Aber gibt es auch genug gute Lehrbetriebe? – Jein, zeigt der Lehrlingsmonitor von AK und ÖGB – die größte Lehrlingsbefragung, die es in Österreich bisher gegeben hat.

Face the facts: Ausbildungsqualität ist entscheidend

Das österreichische Ausbildungsmodell mit seinem starken Fokus auf die betriebliche Praxis genießt eine hohe gesellschaftliche Anerkennung. Gleichzeitig steht es jedoch zunehmend strukturellen Herausforderungen gegenüber. Die demografische Entwicklung führt dazu, dass die relevanten Alterskohorten schrumpfen. Immer mehr Jugendliche entscheiden sich zudem für vollschulische Ausbildungswege. Die Bereitschaft der Betriebe, Lehrlinge auszubilden, sinkt und die Qualität der Lehrlingsausbildung unterliegt starken Schwankungen auf Branchen- und Lehrberufsebene.

Trotzdem gibt es nach wie vor kein System zur Sicherung der Ausbildungsqualität wie es für andere Lernorte (z.B. Schulen) bereits existiert. Und das, obwohl engagierte Lehrbetriebe – etwa bei den Berufsweltmeisterschaften – deutlich vorführen: Eine hohe Ausbildungsqualität macht sich mittelfristig für die Betriebe bezahlt, weil die Facharbeit selbst wesentlich von den Potenzialen und Talenten ihrer Nachwuchskräfte profitiert.

In Österreich gibt es, anders als etwa in Deutschland mit dem Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), keine systematische repräsentative Erhebung zur Situation von Lehrlingen in der betrieblichen Ausbildung. Die laufende Evaluierung von Ausbildungsprozessen bildet jedoch die zentrale Grundlage für die Sicherung und den Ausbau ihrer Qualität. Mit dem Lehrlingsmonitor haben Arbeiterkammer (AK) und Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB) ein Format geschaffen, das erstmals darüber Aufschluss gibt, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht. 2014/15 wurden dafür bundesweit Lehrlinge im letzten Ausbildungsjahr befragt und rund 6.500 Fragebögen ausgewertet.

Stärken und Schwächen transparent machen

Um die Ausbildungsqualität verschiedener Lehrberufe und Branchen vergleichen zu können, wurde ein Kriterienkatalog wesentlicher betrieblicher Ausbildungsbedingungen erstellt. Diese clustern sich um die drei zentralen Qualitätsdimensionen von Ausbildungsprozessen:

  • Input-Qualität: Einhaltung der Ausbildungsordnung, Einhaltung des Lehrlingsschutzes (Arbeitszeit, Krankenstand, Lehrlingsentschädigung), Mitbestimmung im Betrieb
  • Prozess-Qualität: Eignung und Präsenz der AusbilderInnen, Rahmenbedingungen von Lernen im Prozess der Arbeit, Konfliktkultur, Belastungsfaktoren, Unterstützung bei der Vorbereitung zur Lehrabschlussprüfung, Entwicklungsmöglichkeiten
  • Output-Qualität: Vorbereitungsgrad zur Lehrabschlussprüfung (LAP), berufliche Handlungsfähigkeit, Verbleib im Beruf, Verbleib im Betrieb, Zufriedenheit

Die Zusammenschau der einzelnen Qualitätsdimensionen ergibt dabei ein Bild von der Lehre, das sowohl Stärken als auch Schwächen aufzeigt: Die höchsten Werte erringt das allgemeine soziale Klima, das in Ausbildungsbetrieben herrscht. Ebenfalls positiv wird auch die Bereitschaft der Lehrbetriebe beurteilt, den Lehrlingen verantwortungsvolle und umfassendere Arbeitsaufgaben zu übertragen. Ein weiteres Qualitätskriterium mit hohen Zustimmungsraten ist der konstruktive Umgang mit Fehlern, den immerhin 44 Prozent in jedem Fall, und weitere 27 Prozent zumindest ausreichend in ihrem Lehrbetrieb als gegeben sehen.

Die geringsten Werte auf der Qualitätsskala erhält die Feedbackkultur. Ein weiterer Mangel betrifft die unzureichenden Zeitressourcen beim Ausprobieren und Erlernen neuer Arbeitsschritte. Ebenfalls kaum die Hälfte (47 Prozent) gibt an, dass in der Arbeit gut oder zumindest ausreichend auf die eigenen Interessen und Neigungen eingegangen wird.

Reality Check: Gesetzliche Theorie und betriebliche Praxis

Gemäß Berufsausbildungsgesetz (BAG) dürfen Lehrlinge nur für Tätigkeiten herangezogen werden, die mit dem Wesen der Ausbildung vereinbar sind. Dennoch gibt weniger als die Hälfte der befragten Lehrlinge an, ausschließlich für ausbildungsbezogene Tätigkeiten eingesetzt zu werden. Jeder dritte Lehrling gibt sogar an, häufig bis sehr häufig für ausbildungsfremde Tätigkeiten herangezogen zu werden.

Ernüchternd fällt auch der Blick auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Mindeststandards aus: Obwohl Überstunden für Lehrlinge unter 18 Jahren verboten sind, gibt jeder dritte Lehrling unter 18 Jahren an, regelmäßig selbige zu leisten – und das nicht immer freiwillig. Das Ergebnis im Bereich Tourismus sticht dabei besonders hervor: 27 Prozent der Lehrlinge geben an, unfreiwillige Überstunden leisten zu müssen. Weitere 30 Prozent müssen Überstunden leisten, die manchmal freiwillig, aber auch manchmal unfreiwillig sind.

Ein weiteres Merkmal von Ausbildungsqualität betrifft die fachlich-didaktische Kompetenz und die regelmäßige Präsenz der AusbilderInnen. Aufgaben- und Verantwortungsbereiche der AusbilderInnen sind gesetzlich klar geregelt. Aktuell geben jedoch nur etwas mehr als die Hälfte der Lehrlinge (56 Prozent) an, dass ihre AusbilderInnen regelmäßig im Betrieb anwesend sind.

Zu den qualitätsförderlichen Rahmenbedingungen zählt neben der Einhaltung der rechtlichen Grundlagen auch das Ineinandergreifen der Inhalte, die an den beiden Lernorten Betrieb und Schule vermittelt werden. Diese gegenseitige fachliche Ergänzung ist in etwa zwei Dritteln der Lehrverhältnisse ausreichend bis sehr gut gegeben.

Hinsichtlich der Vorbereitung auf die LAP lässt sich dieser Befund leider nicht teilen: Weniger als die Hälfte der befragten Lehrlinge sieht sich zum Befragungszeitpunkt auf die LAP (eher) gut vorbereitet. Mehr als jede/r Fünfte schätzt den eigenen Vorbereitungsgrad sogar als (eher) schlecht ein.

Handlungsfelder sind branchen- und berufsspezifisch

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse durchwachsen sind. Die Analyse legt jedoch auch etwas anderes nahe, das Hoffnung weckt: Mängel in der Ausbildungsqualität sind kein flächendeckendes Phänomen. Vielmehr treten sie auf einzelne Lehrberufe oder Branchen bezogen auf – dort jedoch meist in erheblicher Ausprägung.

Besonders deutlich zeigt sich das am Beispiel der Tourismus- und Gastronomie-Berufe. Sämtliche Berufe im Gastgewerbe finden sich im untersten Drittel, wenn es um die Ausbildungsqualität geht. Auffällig ist die Dominanz der Tourismus-Berufe auch bei den offenen Lehrstellen – 39 Prozent aller offenen Lehrstellen im Jahresdurchschnitt 2015 entfielen auf die Lehrberufe dieser Branche. Die große Anzahl an offenen Lehrstellen im Tourismus zeigt, dass in manchen Wirtschaftsbereichen der Bedarf an Lehrlingen nicht mehr gedeckt werden kann. Um wieder vermehrt junge Menschen für den Berufsbereich zu begeistern, müssten diese Branchen vor allem an den Rahmenbedingungen der Lehrausbildung etwas verändern.

Dass eine qualitativ gute bis sehr gute betriebliche Ausbildung möglich ist, zeigt das Gesamtbild: Zwei von drei Lehrlingen (64 Prozent) fühlen sich durch die Lehre gut bis ausreichend auf die zukünftige Arbeit als Fachkraft vorbereitet. Ein ähnlich hoher Anteil (68 Prozent) blickt seiner individuellen beruflichen Zukunft im Wesentlichen zuversichtlich entgegen. Wer das duale System mit seinen oft genannten Vorteilen also für die zukünftigen Herausforderungen wappnen will, sollte sich an der Ausbildungsqualität der besten Branchen und Lehrberufe orientieren. Die praktischen betrieblichen Beispiele und die Vorschläge zur technischen Umsetzung liegen auf dem Tisch. Worauf es jetzt ankommt, ist der politische Wille.