Europäische Kapitalmarktunion - ein Schritt in die falsche Richtung

14. Januar 2016

Der EU-Präsidentenbericht behauptet eine Kapitalmarktunion würde zur Finanzmarktstabilität beitragen, Wachstum schaffen, und Krisen vorbeugen. Tatsächlich bedeuten die Pläne jedoch eine Stärkung von Spekulation und kurzfristiger Profitorientierung und nützen vor allem großen Banken. Stabilität und nachhaltiges Wachstum lassen sich nicht durch weitere Liberalisierung der Finanzmärkte erreichen.

Liberalisierung von Finanzmärkten soll Stabilität fördern

Der von Kommissionspräsident Juncker im Juni 2015 vorgelegte Präsidentenbericht zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion fordert eine rasche Einführung der Europäischen Kapitalmarktunion, zu deren Umsetzung bereits detaillierte Pläne von der Europäischen Kommission vorliegen. Der freie Kapitalverkehr zwischen Mitgliedsstaaten soll erleichtert werden, um einen Kapitalbinnenmarkt aus den derzeit noch eher national fragmentierten Kapitalmärkten in Europa zu schaffen. Davon verspricht sich die Kommission nicht nur zusätzliches Wachstum durch erhöhte Investitionen, sondern auch eine größere Widerstandsfähigkeit nationaler Volkswirtschaften gegen Finanzkrisen. Bezüglich der möglichen Auswirkungen der Kapitalmarktunion sind die europäischen Institutionen jedoch im marktliberalen Denken verfangen. Der Präsidentenbericht verspricht sich von einer weiteren Öffnung der Kapitalbilanzen der Mitgliedsstaaten erhöhte Finanzmarktstabilität und Widerstandsfähigkeit gegen Krisen. Er erwartet, dass integrierte Kapitalmärkte „einen Puffer gegen systemische Schocks im Finanzsektor bilden und die private Risikoteilung über Ländergrenzen hinweg stärken“ und dass im Falle einer Krise „die grenzüberschreitenden Ströme den EinwohnerInnen dieses [Krisen-] Landes die Aufnahme und Vergabe von Krediten ermöglichen, um diesem Schock entgegenzuwirken.“ (siehe Seite 14 des Präsidentenberichts).

Die Kapitalmarktunion wird Krisenstaaten nicht nützen

Beide Behauptungen sind in hohem Maße fragwürdig. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass höhere Intergation dazu führt, dass sich Schocks im Finanzsektor schneller und weiter verbreiten. Internationale Kapitalströme sind in hohem Maße prozyklisch. Das bedeutet, dass diese während Aufschwüngen zunehmen und sich in Abschwüngen umkehren, sodass Kapital aus Krisenstaaten abfliesst. Dies steht im direkten Widerspruch zu der Behauptung des Präsidentenberichts, die Kapitalmarktunion würde es der Wirtschaft in Krisenländern ermöglichen, Rezessionen durch Kreditaufnahme entgegenzuwirken. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Kapitalmarktunion diese prozyklischen Tendenzen noch verstärken würde. Generell ist die Vorstellung, die Privatwirtschaft könnte und würde gerade während einer Krise zusätzliche Kredite aus dem Ausland aufnehmen, um einem Abschwung etwa durch erhöhte Ausgaben entgegenzuwirken, vollkommen realitätsfern. Wie sich gezeigt hat, gefriert im Fall einer Finanzkrise vielmehr die Liquidität auf den privaten Märkten wodurch zusätzliche Risiken generiert werden. Zur besseren Risikoteilung ist die Kapitalmarktunion daher ungeeignet.

Gerade die Integration der europäischen Kapitalmärkte im Zuge der WWU hat makroökonomische Ungleichgewichte verstärkt, so etwa über die Zunahme von transnationalen Kapitalflüssen wesentlich zum Aufblähen der Immobilienblasen in Spanien und Irland beigetragen. Eine Forcierung durch die Kapitalmarktunion würde die Entwicklung von Finanzblasen begünstigen, wenn nicht gleichzeitig durch dafür gesorgt wird, dass makroökonomisch sinnvolle und nachhaltige Investitionen getätigt werden. Die Kommission scheint jedoch hauptsächlich auf die Steuerung durch freie Märkte zu setzen. So wird behauptet, die Förderung europäischer Verbriefungsmärkte wäre ein wichtiger Baustein der Kapitalmarktunion, um für nachhaltiges Wachstum zu sorgen. Solche Märkte werden hauptsächlich zur Verbriefung von Hypothekendarlehen genutzt, also genau jener Finanzprodukte, die die Krise in den USA verursacht hatten. Diese stellen vor allem eine alternative Finanzierungsquelle für Banken dar, sodass dem Trend der Banken sich über den Schattenbankensektor zu finanzieren weiter Vorschub geleistet wird.

Schattenbanken und Spekulation sollen gefördert werden

Stattdessen wäre es notwendig, den Schattenbankensektor stärker zu regulieren. In wichtigen Aspekten der Regulierung komplexer Finanzprodukte herrscht derzeit noch Unklarheit und es besteht die Gefahr, dass sich bei der Konstruktion eines einheitlichen regulatorischen Rahmens Brancheninteressen durchsetzen. Tatsächlich spiegeln die derzeitigen detaillierteren Pläne der Kommission hauptsächlich die Vorschläge der Finanzlobby wider. Diese konzentrieren sich erwartungsgemäß nicht darauf, wie Kapitalmärkte die Finanzierung von nachhaltigem Wachstum verbessern könnten. Vielmehr geht es darum, ein Wiederaufleben eben jener Praktiken zu ermöglichen, die zur Finanzkrise von 2007 geführt haben. Die Verbriefung von Hypotheken soll erleichtert und Mindestkapitalanforderungen gesenkt werden. Die Vorschläge der letzten Kommission zur sektoralen Abgrenzung von Risiken des Investmentbanking von jenem der Geschäftsbanken und der Lösung des Problems des “too big to fail”, sind hingegen von der Prioritätenliste verschwunden. Dies ist besonders bedenklich, da die Kapitalmarktunion ja angeblich zu größerer Finanzmarktstabilität beitragen soll. Unerwähnt bleibt hierbei die Tatsache, dass gerade diese großen Universalbanken natürlich an einem großen Teil der Geschäfte nicht nur in Kreditmärkten, sondern eben auch in Kapitalmärkten beteiligt sind, sodass ihre Größe und ‚Systemrelevanz‘ durch die Kapitalmarktunion in ihrer jetzigen Form eher weiter zunehmen würde. Tatsächlich verschafft der vorgeschlagene neue Regulationsrahmen für ‚einfache, transparente und einheitliche Verbriefung‘ (STS) einen Wettbewerbsvorteil für große Banken die über mehr analytische Resourcen verfügen als andere MarktteilnehmerInnen.

Für nachhaltiges Wachstum sind andere Maßnahmen nötig

Obwohl die Verbesserung der Investitionsbedingungen für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) angeblich ein Hauptziel der Kapitalmarktunion sein soll, liegen keinerlei konkrete Vorschläge zur Ankurbelung von Investitionen vor. Es wird nicht klar, inwiefern eine breitere Palette an Finanzierungsmöglichkeiten vor allem in den Krisenländern zu mehr Wachstum führen soll, deren derzeitige wirtschaftliche Schwäche vor allem auf eine unzureichende gesamtwirtschaftliche Nachfrage zurückzuführen ist. Selbst während des Aufschwungs, welcher der Krise vorrausging, war die Verfügbarkeit von Finanzmitteln kein begrenzender Faktor. Um nachhaltiges Wachstum in Europa zu erreichen, müssen nachfrageorientierte Maßnahmen auch längerfristig im Mittelpunkt stehen.

Die Kapitalmarktunion wird als Wachstumsmotor für die Realwirtschaft beworben, wird jedoch in ihrer jetzigen Form vor allem dem Finanzsektor und der Förderung von Instrumenten außerhalb der Bankbilanzen (Schattenbanken) nützen. Die Reformen, die für wirtschaftliche und finanzielle Stabilität am wichtigsten wären, werden nicht in Angriff genommen oder so weit wie möglich aufgeschoben. Europa braucht eine europäische Fiskalpolitik, die die Wirtschaft in den Krisenländern ankurbelt. Europa braucht eine Bankenreform, die das ‚Too Big To Fail‘-Problem angeht, der kurzsichtigen, spekulativen Profitorientierung Einhalt gebietet und eine Trockenlegung des Schattenbankensektors sicherstellt. Die vorgeschlagene Kapitalmarktunion erreicht keines dieser Ziele und ist daher ein Schritt in die falsche Richtung.