It’s the Economy - Geflüchtete und Arbeitsmarkt

10. Juni 2016

Die Situation am österreichischen Arbeitsmarkt ist nicht gerade erfreulich: hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende Prekarisierung sind bedenkliche Entwicklungen. Doch der Ausschluss von Flüchtlingen vom Arbeitsmarkt ist kein Erfolgsrezept dagegen. Es braucht einen grundlegenden politischen Kurswechsel.

 

Keine Frage, die Arbeitsmarktsituation in Österreich ist angespannt: höchste Arbeitslosigkeit seit den 1950er-Jahren, Zunahme atypischer, oft prekärer Beschäftigungsverhältnisse, steigende Arbeitsmigration aus dem EU-Ausland und daraus resultierende Verdrängungseffekte. Neu hinzu kamen 2015 Zehntausende Flüchtlinge. Allein in Österreich haben 2015 fast 90.000 Menschen Asyl beantragt. Im Dezember 2015 waren 21.154 Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte beim AMS gemeldet, für 2016 rechnen AMS und Sozialministerium mit weiteren 30.000 Flüchtlingen, die dem österreichischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Die Integration Zehntausender Arbeitssuchender in den Arbeitsmarkt ist eine enorme Herausforderung, ohne Zweifel. Allerdings verleitet sie nur allzu schnell zu populistischen Schnellschüssen. Da wurde das Aussetzen der Personenfreizügigkeit in der EU als Lösung für die Arbeitsmarktprobleme gefordert. Oder man meint, den Arbeitsmarkt vor neuen Arbeitskräften „schützen“ zu können, indem man auf alten Zugangsbarrieren beharrt oder neue aufzieht.

Arbeitslosigkeit als Folge der Austeritätspolitik

Alle diese Maßnahmen sind hinsichtlich Rechtmäßigkeit, Durchführbarkeit, aber auch tatsächlicher Wirkung hoch umstritten. Insbesondere setzen sie nicht an den Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit an. Arbeitsmarktprobleme entstehen nämlich nur bedingt am Arbeitsmarkt selbst, sondern haben tiefer liegende Gründe: Sie sind Folge einer verfehlten Wirtschaftspolitik. Im Falle Europas und Österreichs ist es eine Politik, die auf rigoroses Sparen setzt. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 waren in Österreich 212.000 Menschen arbeitslos gemeldet. In den ersten Krisenjahren wurde noch gegengesteuert – mit Kurzarbeit, Konjunkturpaketen, der Steuerreform I. Die kräftige Lohnerhöhung im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen 2008 stabilisierte die gesamtgesellschaftliche Nachfrage. Die automatischen Stabilisatoren – insbesondere das Arbeitslosengeld, aber auch die in der Krise eingeführte Mindestsicherung – trugen zusätzlich dazu bei.

In den ersten Jahren der Krise gelang es so, den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen zu halten – dank einer entsprechenden Wirtschaftspolitik. Von 2008 bis 2012 stiegen die Arbeitslosenzahlen auf 260.600 Personen, ein Plus von knapp 49.000 innerhalb von vier Jahren. Danach sollte sich die Entwicklung beschleunigen: In den folgenden zwei Jahren stieg sie um 60.000 Personen. Zuletzt erreichte sie im Mai 2016 einen Wert von 334.389 Arbeitslosen.

Die Gründe für diesen massiven Anstieg sind in den restriktiven Budgetvorgaben auf europäischer Ebene zu suchen. Milliardenschwere Bankenrettungspakete sowie steigende Sozialausgaben bei rückläufigen Steuereinnahmen als Folge der Krise ließen Budgetdefizite wie auch öffentliche Schuldenstände ansteigen. 2009 brach die „Eurozonen-Krise“ aus, Griechenland war zahlungsunfähig geworden und ein erstes „Rettungspaket“ – tatsächlich ein brutales Sanierungspaket, das massive Einschnitte in soziale Sicherungssysteme, Löhne, öffentliche Ausgaben brachte – wurde geschnürt.

Immerwährende Austerität?

Spätestens dann fand eine Umdeutung der Krise statt: Statt von einer Finanzkrise war nun zunehmend von einer Staatsschuldenkrise die Rede. Primäres Ziel europäischer Wirtschaftspolitik wurde nun der Rückbau der Budgetdefizite und der öffentlichen Schuldenstände – und das ausgerechnet mitten in der Krise! Insbesondere Deutschland erhöhte den Druck auf die Sanierung der öffentlichen Haushalte. Auf europäischer Ebene wurden entsprechend strenge Budgetregeln verabschiedet und ein strikter Konsolidierungskurs vorgegeben. Mit dem 2012 beschlossenen „Fiskalpakt“ wurde das Sparkorsett schließlich endgültig zugezogen und „austerity forever“, immerwährende Austerität, auch in der österreichischen Gesetzgebung festgeschrieben.

Die Folgen waren europaweit fatal: Die öffentliche Investitionstätigkeit ging zurück, infolge von Sparmaßnahmen und Ausgabenkürzungen stiegen die Arbeitslosenzahlen an und liegen nach wie vor deutlich über dem Vorkrisenniveau. Zusätzlich wurde das ohnehin nur zaghafte Wachstum abgewürgt. Damit biss sich die Katze in den Schwanz: Weil das Wachstum einbrach, kam es tatsächlich zu einem Anstieg der Staatsschuldenquoten. Die wirtschafts- und sozialpolitisch desaströsen Ergebnisse der Austeritätspolitik ließen selbst den Internationalen Währungsfonds (IWF) Ende 2014 Abstand von der Sparpolitik nehmen. Den EU-Staaten empfahl er, die öffentliche Investitionstätigkeit wieder aufzunehmen.

Für eine Wende am Arbeitsmarkt – weg von steigenden Arbeitslosenzahlen hin zu mehr Beschäftigung – braucht es also einen grundlegenden Kurswechsel: eine Abkehr von der Spar- hin zu einer expansiven Fiskalpolitik (ohne die übrigens auch die derzeit von der EZB betriebene Null-Zins-Geldpolitik nicht greift) mit einer deutlichen Ausweitung öffentlicher Investitionstätigkeit. Arbeitsmarktpolitik – von Qualifizierung und Weiterbildung bis hin zu Integrationsmaßnahmen und insbesondere Arbeitszeitverkürzung – kann dabei unterstützen. Auch kann sie die Chancen von „Risikogruppen“ wie SchulabbrecherInnen oder Niedrigqualifizierten erhöhen, einen stabilen, qualitativ hochwertigen und entsprechend bezahlten Arbeitsplatz zu finden. Ansonsten drohen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen allerdings zu verpuffen.

Integration in den Arbeitsmarkt ist möglich

Zurück zu den Flüchtlingen: Die Integration Zehntausender Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt ist nicht leicht, aber bewältigbar. Dazu braucht es arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Arbeitszeitverkürzung. Vor allem aber ist eine verstärkte öffentliche Investitionstätigkeit auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene nötig: Investitionen in öffentliche Infrastruktur, in Bildung, in soziale Dienste, in öffentliche Verkehrsmittel, in den Wohnbau, in Klimaschutzmaßnahmen und so weiter. Kurzum, es braucht Investitionen, die Beschäftigung und Wachstum schaffen. Ja, und Investitionen in Flüchtlinge selbst – in Integration, in ihre Ausbildung, aber auch in ihre soziale Absicherung und ihre Versorgung.

So eigenartig es klingen mag: Die Flüchtlingsbewegungen des letzten Jahres führen tatsächlich – gemessen an den Ausgaben – zu einem ganz ordentlichen Wachstumsschub. Nationalbank (OeNB), IHS und WIFO sehen in ihren Wachstumsprognosen für 2016 positive Effekte, die aus der „Flüchtlingskrise“ entstehen. Die Rechnung an sich ist einfach: Grundversorgung, Wohnungen, Lebensmittel, Deutschkurse, Mindestsicherung und Ähnliches kosten den Staat natürlich Geld. Sie bringen aber gleichzeitig Beschäftigung, weil eben Wohnraum geschaffen werden muss, Lebensmittel verkauft und DeutschlehrerInnen eingestellt werden und weil die ausbezahlte Mindestsicherung praktisch vollständig in den Konsum fließt und so die Nachfrage stabilisiert.

Die OeNB hat für das erste Halbjahr 2016 einen Wachstumseffekt von 0,2 Prozent des BIP errechnet, wobei die direkt veranschlagten Mehrausgaben des Bundes für Flüchtlinge bei rund 613 Millionen Euro liegen. Zum Vergleich: Das entspricht jenem Wachstumsimpuls, den sich die OeNB von der Steuerreform erwartet, die sich 2016 mit einem Entlastungseffekt von 3,975 Milliarden Euro niederschlagen soll.

Ähnlich sehen es IHS und WIFO: Die Ausgaben für Betreuung und Grundversorgung von Flüchtlingen sowie für die Mindestsicherung würden eine Steigerung des privaten wie öffentlichen Konsums nach sich ziehen – mit dem entsprechend positiven Konjunkturimpuls. Ausgaben, die zwar über eine höhere Staatsverschuldung getätigt werden, aber zu mehr Wachstum führen. Vorsicht ist bei dieser Prognose jedoch geboten: Denn werden anderswo Ausgaben gekürzt, wäre der Wachstumseffekt ungleich geringer.

Widersinniger Sparkurs

Womit einmal mehr bestätigt wäre: So lange am Spar- und Kürzungskurs festgehalten wird, droht auch die Beschäftigungskrise zu bleiben. Nicht Flüchtlinge, nicht Migration sind für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich, sondern eine verfehlte Krisenpolitik in Europa, die auf Sparen statt Investitionen setzt – und das ausgerechnet zu einer Zeit, wo angesichts der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank Kredite so günstig zu haben wären wie noch nie …

Dieser Beitrag ist eine leicht adaptierte Form des in der Arbeit&Wirtschaft Nr. 3/2016 erschienen Artikels.