Neues Leak deckt auf: ISDS-Klausel für EU-Binnenmarkt in Diskussion

13. Juli 2016

In einem neuen vertraulichen Papier fordern mehrere EU-Regierungen Investitionsschutzabkommen auch für den Binnenmarkt. Europäischen InvestorInnen soll damit die Möglichkeit eingeräumt werden, bei innereuropäischen Streitfällen die nationale Gerichtsbarkeit zu umgehen. Wie bei den geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP sollen InvestorInnen dann auf ein Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) zurückgreifen können. Der Vorstoß konterkariert nicht nur die offizielle Linie der nationalen Parlamente, die mehrheitlich ein Ende der Sonderjustiz für Konzerne fordern. Er untergräbt auch die Politik der EU-Kommission. Unter den VerfasserInnen des geleakten Papiers findet sich unter anderem auch Österreich wieder.

Großteil der ISDS-Klagen europäischer InvestorInnen auf Intra-EU-BITs zurückzuführen

Die Bedeutung des geleakten Papiers ist vor dem Hintergrund der bestehenden 190 so genannten Intra-EU-BITS zu sehen. Um deren Bestand feilschen die Mitgliedstaaten mit der Kommission seit Jahren. Die meisten „alten“ Mitgliedstaaten haben noch vor den EU-Erweiterungsrunden mit den damaligen COMECON-Staaten die umstrittenen bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) abgeschlossen. Sie beinhalten die stark unter Kritik geratenen Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) durch private Schiedsgerichte.

Für die Exportwirtschaft im Binnenmarkt haben die Intra-EU-BITs eine große Bedeutung: Denn zwei Drittel der insgesamt 110 ISDS-Klagen gegen die neuen Mitgliedstaaten gehen auf die Intra-EU-BITs zurück. Europäische Konzerne gehen gegen neue Umwelt-, Gesundheits-, Fiskal- und Sozialgesetze etc. vor, wenn diese ihre Firmengewinne schmälern. In frivol anmutenden Klagen haben die Kläger Recht bekommen: im Fall Miculan muss Rumänien 250 Mio. Euro Entschädigung für zukünftige Beihilfen zahlen, die wegen dem EU-Beitritt rechtswidrig wurden und Tschechien wurde in der Klage des Medienkonzerns Lauder zu Entschädigungszahlungen verurteilt, die der Höhe des jährlichen Sozialbudgets entsprechen.

Von den 62 BITs, die Österreich mit Drittstaaten unterzeichnet hat, sind 12 der VertragspartnerInnen heute EU-Mitglieder, nämlich all jene Länder, die seit 2004 der EU beigetreten sind. Die Intra-EU-BITs sind keinesfalls „totes Recht“, denn die österreichischen InvestorInnen machen von ihren privilegierten Klagerechten, Staaten wegen wirtschaftlich nachteilige Regulierungen zu verklagen, durchaus Gebrauch. Allein 7 der insgesamt 17 bekannt gewordenen ISDS-Klagen österreichischer InvestorInnen berufen sich auf Intra-EU-BITs. Darunter finden sich die Klagen von EVN AG versus Bulgarien, Austria Airlines versus Slowakei und Saubermacher DienstleistungsAG versus Kroatien. Aber auch die traditionsreiche österreichische Meinl Bank hat sich das BIT mit Malta zu Nutze gemacht, um Österreich zu verklagen. Die Summe der Entschädigungsforderungen liegt über 1 Mrd. Euro. Die österreichischen InvestorInnen setzten ihre profitmaximierenden Interessen auch mit Klagedrohungen, die die BITs ermöglichen, durch. Schweighofer Holz AG hat wiederholt Rumänien gedroht zu klagen, sollte ein Gesetz zur nachhaltigen Forstwirtschaft verabschiedet werden.

Fünf Mitgliedstaaten fordern privilegierten Investitionsschutz im Binnenmarkt

In dem geleakten Diskussionspapier fordern Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Finnland und Österreich den Abschluss eines Abkommens unter allen Mitgliedstaaten, das die 190 Intra-EU-BITs ablösen soll. Europäische InvestorInnen bräuchten in der EU die privilegierten Schutz- und Klagebestimmungen, weil sonst die europäischen Unternehmen gegenüber kanadischen oder US-amerikanischen InvestorInnen bei Enteignungen (direkt oder indirekt durch neue Gesetze, Regulierungen, etc.) im Binnenmarkt schlechter gestellt wären. In CETA oder TTIP sind die weitreichenden Investitionsschutzbestimmungen und privilegierten Klagerechte vorgesehen. Ein und dieselben BeamtInnen argumentieren aber auch, dass der Investitionsschutz in TTIP oder CETA voll und ganz dem Investitionsschutz entsprechen würde, den die Mitgliedstaaten in ihren Verfassungen und in der Grundrechtscharta ihren BürgerInnen und Unternehmen gewähren würden. Was jetzt? Werden hier die Argumente so gedreht, wie sie gerade gebraucht werden?

Ein weiteres Argument dieser BeamtInnen: es wäre ein negatives Signal gegenüber den Drittstaaten, mit denen die Europäische Kommission Freihandels- und Investitionsabkommen verhandelt, wenn sich die Mitgliedstaaten im Binnenmarkt nicht dem privilegierten Investitionsschutz verpflichten würden. Last but not least würde das Investitionsklima im Binnenmarkt ohne diese BITs stark leiden. Die europäischen InvestorInnen sollen ISDS-Klagen beim Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag, beim Europäischen Gerichtshof oder beim Patentgericht unter Umgehung der nationalen Gerichtsbarkeit einreichen können. Hiermit zeigen die ProponentInnen explizit, dass sie die rechtsstaatlichen Strukturen und Justiz in den anderen Mitgliedstaaten in Frage stellen.

Intra-EU-BITs sind EU-rechtswidrig

Aus der Sicht der Europäischen Kommission sind Intra-EU-BITs EU-rechtswidrig. Es gelte der Anwendungsvorrang des EU-Rechts und daher sind die Abkommen unverzüglich zu beenden. Wobei aber die Entscheidung und Vorgangsweise allein Sache der Mitgliedstaaten ist. Die Kommission ist mittlerweile tätig geworden und hat im Juni 2015 gegen Österreich und vier weitere Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Diese Staaten wurden aufgefordert, die BITs zu beenden. Auch die anderen Mitgliedstaaten sollen diese Abkommen kündigen. Nur Irland und Italien haben die betreffenden BITs bereits 2012 bzw. 2013 gekündigt.

Gerade erst im Mai hat die Slowakei den EuGH wegen dem slowakisch-niederländischen BIT angerufen. Die Slowakei hinterfragt dabei, ob dieses BIT EU-rechtskonform ist. Hintergrund ist der ISDS-Fall Achmea vs Slowakei, bei der die slowakische Republik zu einer Entschädigungszahlung verurteilt wurde. Die Slowakei hofft dadurch der Strafzahlung entgehen zu können.

Österreichisches Wirtschaftsministerium vertritt einseitig die Interessen der Exportwirtschaft

Die Forderung des Wirtschaftsministeriums steht im krassen Gegensatz zu den Positionen des österreichischen Nationalrats und der Landeshauptleute. Diese haben Entschließungen verabschiedet, in denen sie sich gegen eine Sonderjustiz für Konzerne aussprechen. Auch halten sie fest, dass in entwickelten Rechtsstaaten ein Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) nicht notwendig sei. Österreich hat diese Position auch bei den Europäischen Räten geäußert. Wie kann es sein, dass das Ministerium jedoch weiterhin für den Investitionsschutz und deren Ausweitung auf alle Mitgliedstaaten eintritt?

Die Forderung des Wirtschaftsministeriums soll nicht nur die bestehenden Intra-EU-BITs absichern, sondern den Investitionsschutz von derzeit 12 auf die restlichen 15, also alle Mitgliedstaaten ausweiten. Als Argument wird der Erhalt der Rechtssicherheit für die österreichische Exportwirtschaft gebracht. Eine gleichzeitige Diskriminierung inländischer Unternehmen, die die Stütze der österreichischen Wirtschaft sind, ist kein Thema. Auch wird vom Wirtschaftsministerium nicht das Risiko gesehen, , dass bei neuen Gesetzen und Regulierungen im Interesse des Gemeinwohls Österreich von allen europäischen Konzernen verklagt werden kann. Dies kann den SteuerzahlerInnen sehr teuer kommen, aber wirft auch große demokratiepolitische Bedenken auf, wenn ein so machtvolles Instrument der Wirtschaft ganz grundsätzlich zugestanden wird.

Das Ablenkungsmanöver dürfte auch diesmal glücken

Die in den Medien aufgegriffene Diskussion über die Intra-EU-BITs hat sich auf die Schiedsgerichtsbarkeit konzentriert. Die wahre Chuzpe, nämlich dass die ProponentInnen eine Entschädigungspflicht von Staaten bei neuen Umwelt-, Sozial-, Gesundheits-, etc. -gesetzen im Binnenmarkt einführen wollen, wurde einmal mehr übersehen. Das Ablenkungsmanöver hat schon in der Diskussion um das Investitionsschiedsgericht bei TTIP oder CETA funktioniert. Dort wurde der Reformansatz der Europäischen Kommission als ein ganz neues Investor-Staat-Streitverfahren vorgestellt. Das täuscht aber darüber hinweg, dass die privilegierten Schutzrechte unverändert sind und nur das Streitverfahren teilweise neu gestaltet ist. Bei den Intra-EU-BITs droht die öffentliche Diskussion in die gleiche Falle zu tappen: Denn um ein Schiedsgericht – wie auch immer es heißen mag (ICS, CETA-Tribunal, Ständiger Schiedsgerichtshof in Den Haag, …) – anrufen zu können, bedarf es der privilegierten Investitionsschutzbestimmungen. Und diese gilt es, zu verhindern!