Immobilienvermögen und Hypothekarverschuldung in Europa

19. August 2015

In der einen oder anderen Art verfolgen die meisten Länder eine Politik, die auf die Förderung des Eigenheimerwerbs – und damit dem Aufbau privaten Immobilienvermögens – abzielt. Die dezidierte Förderung einer Eigentümergesellschaft ist in vielen Fällen ideologische motiviert. Ökonomisch zeigt sich, dass der Preis für eine bewusst herbeigeführte Eigentümergesellschaft hoch ist, da sie oft mit makroökonomischen Ungleichgewichten – in Form von höherer Einkommensungleichheit, geringerer Wettbewerbsfähigkeit und stärkerer Verschuldung – einhergeht.

Ownership society vs. risk sharing society

Der Begriff der Eigentümergesellschaft („ownership society”) wurde unter anderem vom ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush propagiert. Die zugrunde liegende Idee, dass eine breite Eigentümergesellschaft Individuen dazu verhilft, im weitesten Sinne frei zu sein, ist allerdings nicht neu. Zuvor schon hatte das spanische Regime unter Diktator Francisco Franco die Idee verfolgt, aus Proletariern Eigentümer zu machen, um nach dem blutigen Bürgerkrieg der 1930er-Jahre die linksgerichtete Arbeiterschaft langfristig zu befrieden.

Während in Spanien 1950 der Anteil der Eigenheimbesitzer noch bei unter 50% lag, wurde dieser Anteil auf rund 90% gegen Ende der 2000er-Jahre gesteigert. Die daraus entstandene Immobilienblase platzte schlussendlich als Folge der jüngsten Weltwirtschaftskrise. Ähnlich wie Spanien weisen auch andere Länder an der europäischen Peripherie neben einem unterentwickelten Wohlfahrtsstaat und einer weitgehend unkoordinierten Lohnsetzung auch hohe Anteile an Eigenheimbesitzern und eine eingeschränkte öffentliche Wohnungspolitik auf.

Im Gegensatz zu diesen Ländern ist beispielweise Österreich durch eine fragmentierte Wohnungspolitik gekennzeichnet, wobei ein hoher Anteil an sozial gefördertem Wohnraum und Mietwohnungen zur Verfügung steht. Die sozial orientierte Wohnungspolitik ist vor allem in Wien historisch geprägt. Bereits in den 1920er-Jahren wurden im „Roten Wien“ unter anderem bessere Wohn- und Lebensbedingungen für die Arbeiterklasse gefördert. Noch heute ist die Hälfte des Wohnungsbestandes sozial geförderter Wohnraum.

Der historische Vergleich Spaniens und Österreichs verdeutlicht, dass über Jahrzehnte gewachsene signifikante Unterschiede in der konkreten Ausprägung von Wohnungspolitik zwischen den europäischen Ländern vorherrschen.

Immobilienvermögen in der Eurozone

Auf Basis des „Household Finance and Consumption Survey“ (HFCS) aus dem Jahr 2010 lassen sich Ländervergleiche mit Immobilienvermögen und Hypothekarschulden der Haushalte in der Eurozone anstellen. Soweit bekannt ist, scheint es bisher kaum vergleichenden Studien zum Thema Immobilienbesitz und Haushaltsverschuldung auf der Basis von Mikrodaten zu geben, obwohl sie einen wesentlichen Teil des Privatvermögens darstellen. Realvermögen macht wiederum den größten Anteil vom Gesamtvermögen aus, und Erbschaften sind der bestimmende Faktor hinter Immobilienvermögen. Gleichzeitig kann eine Analyse der Wohnform aber auch für die Verteilung der Einkommen, die Qualität des Sozialstaates oder die private Verschuldung in einer Volkswirtschaft wichtig sein. Gerade in der jetzigen Krise spielten Einkommensungleichheit und Vermögenskonzentration eine wichtige Rolle. Diesbezüglich identifiziert Stockhammer vier Kanäle, durch welche eine höhere Ungleichheit bei Einkommen zur jüngsten Weltwirtschaftskrise beigetragen hat, wobei einer dieser Kanäle die angestiegene Verschuldung der Arbeiterklasse betrifft.

Beim Vergleich über die Länder müssen neben den methodischen auch institutionelle und historische Unterschiede beachtet werden. So können Massenprivatisierungen, wie sie in den Transformationsländern erfolgt sind (in diesem Fall in der Slowakei und Slowenien), einen enormen Einfluss auf die Ausprägung der Eigenheim- bzw. Immobiliengesellschaft ausüben. Darüber hinaus müssen Unterschiede in den Sozialsystemen (insbesondere Pensionssystemen), staatlichen Subventionen, Demografien und auch Haushaltsstrukturen bei einem Ländervergleich Berücksichtigung finden.

Um den ansonsten sehr komplexen Ländervergleich zu vereinfachen, werden die fünfzehn Länder in zwei ungefähr gleich große Gruppen eingeordnet. Dazu wurde die Grenze bei 75% für die Anteile der Immobilienbesitzer unter den Haushalten gewählt. Daraus ergibt sich eine geografisch zentrale Gruppe mit geringem Immobilienbesitz (AT, BE, DE, FI, FR, IT, LU, NL) mit Werten zwischen 49% in Deutschland, 52% in Österreich und knapp unter 75% in Luxemburg. Die Gruppe mit hohem Immobilienbesitz liegt vornehmlich an der Peripherie der Eurozone (CY, ES, GR, MT, PT, SI, SK) und weist Werte von knapp über 75% in Portugal bis hin zu 86% in Spanien und 90% in der Slowakei aus.

Anteil der Immobilienbesitzer nach Einkommenshöhe in % (Quintile der Bruttohaushaltseinkommen)

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Quelle: HFCS, eigene Berechnungen. © A&W Blog
Quelle: HFCS (2010), eigene Berechnungen.

Verschuldung, Einkommen- und Vermögensverteilung

Um einen Überblick über die Verteilung der Immobilien innerhalb der Länder als auch zwischen den Ländern zu bekommen, werden die Haushalte zunächst in Fünftel gemäß ihrem Bruttohaushaltseinkommens aufgeteilt, die sogenannten Quintile. Dann wird der Anteil der Immobilienhalter je Quintil berechnet. Wenig überraschend gilt für alle Länder, dass der Anteil der Immobilienbesitzer desto größer ist, je höher das Haushaltseinkommen ist.

Zwischen den Ländern gibt es jedoch erhebliche Niveauunterschiede. Der Anteil der Immobilienhalter im ersten Quintil reicht von etwa 20% in Deutschland bis fast 60% in Italien, wobei sich der Anteil im fünften Quintil zwischen knapp 70% und 95% befindet. Des Weiteren zeigt sich in den Ländern mit hohem Immobilienbesitz auch ein vergleichsweise flacher Anstieg des Besitzanteils über die Quintile. Darüber hinaus ist bei Portugal, Slowenien und der Slowakei anzumerken, dass sich in diesen Ländern zum Teil sogar ein Sinken bei den Anteilen der Immobilienhalter über die Quintile der Bruttohaushaltseinkommen ergibt – vermutlich bedingt durch Pensionisten, die oft einen höheren Immobilienanteil bei gleichzeitig niedrigerem Haushaltseinkommen aufweisen und zumindest im Falle Sloweniens und der Slowakei nach der Wende zu symbolischen Preisen ihre Wohnung im Rahmen der Privatisierungen erstehen konnten.

Eine Vermögensakkumulation steht in vielen Fällen in Verbindung mit einem Kapitalbedarf, der oftmals fremdfinanziert ist. Eine für Haushalte wichtige Möglichkeit, Fremdkapital aufzunehmen, stellt ein Hypothekarkredit dar, da durch die Besicherung Kapital in einem höheren Ausmaß zur Verfügung gestellt wird. Analog zum Anstieg des Immobilienbesitzes ergibt sich somit ein ähnlicher Anstieg bei den Hypothekarhaltern über die Einkommensquintile, auch wenn es unterschiedliche Muster in den einzelnen Staaten gibt. Bei Belgien, Finnland und Luxemburg ist ein relativ hoher Anstieg über die fünf Quintile zu beobachten. In Österreich und vor allem in Italien steigt der Anteil der Hypothekarhalter über die Quintile nur in einem kleinen Ausmaß. Einigermaßen überraschend ist der in den Ländern mit höherem Immobilienbesitz im Vergleich zum Immobilienbesitzeranteil generell recht niedrige Anteil an Hypothekarhalter in den beiden unteren Quintilen.

Auch anhand eines archetypischen Vergleiches von Österreich und Deutschland (als klassische Vertreter von Mietergesellschaften) mit Spanien und Portugal (typische Eigentümergesellschaften) lässt sich auf einen positiven Zusammenhang zwischen Immobilienhaltern und Hypothekarhaltern schließen. Ab Mitte der 1990er-Jahre haben spanische Banken mit staatlichen Anreizen sogar aktiv die Kreditvergabe an potenzielle Eigenheim- bzw. Immobilienbesitzer gefördert und dabei selbst verstärkt in Immobilienvermögen investiert.

Hypothekarschulden in % des Bruttoeinkommen (der Quintile der Bruttohaushaltseinkommensverteilung) in Haushalten mit Immobilienkrediten

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Quelle: HFCS (2010), eigene Berechnungen. © A&W Blog
Quelle: HFCS (2010), eigene Berechnungen.

In den meisten Fällen stehen mit Krediten laufende Zins- und Tilgungszahlungen in Verbindung. Besonders Halter von Hypothekarkrediten in den unteren Einkommensschichten sind einer hohen Schuldenbelastung und damit einem höheren Risiko von Zwangsräumungen bei Zahlungsunfähigkeit ausgesetzt als jene in höheren Einkommensschichten. Beim Vergleich der Länder mit geringem und hohem Immobilienvermögen fällt auf, dass im untersten Quintil jene Länder mit höherem Immobilienbesitz auch höhere Verhältniszahlen von Hypothekarschulden zu Haushaltseinkommen aufweisen.

Sozialstaatsindikatoren, Immobilienvermögen und Hypothekarschulden

Oft wird argumentiert, dass Immobilienvermögen bis zu einem gewissen Grad einen individuellen Ersatz für mangelnde kollektive soziale Absicherung darstellt. Insofern müsste hier eine Korrelation feststellbar sein. Betrachtet man jedoch die Arbeitslosenversicherungsleistung in Dauer und Höhe, so ergibt sich kein sonderlich klarer Zusammenhang, auch wenn tendenziell die Länder mit hohen Immobilienbesitzanteilen auch jene mit niedrigen Ersatzraten sind.

In jenen Ländern, in denen es an angemessener öffentlicher Alterssicherung mangelt, wird Immobilienerwerb als alternatives Instrument zur Sicherung des Lebensstandards nach der Pensionierung eingesetzt, verbunden mit entsprechendem Überschuldungsrisiko. Ein weiterer Abbau öffentlicher Pensionssysteme in Europa könnte demnach zu einer weiteren Verbreitung nichtnachhaltigen Immobilienbesitzes führen.

Um den negativen Folgen der Eigentümergesellschaft entgegenzuwirken, sollte der soziale und genossenschaftliche Wohnbau aktiver gefördert werden. Durch die Bereitstellung von öffentlich gefördertem Wohnraum könnte dem Bedürfnis nach leistbarem Wohnen der unteren und mittleren Einkommensschichten nachgekommen werden, ohne diese einer hohen und damit riskanten Schuldenbelastung auszuliefern. In diesem Sinne sollte auch die Finanzierung öffentlicher Pensionskassen sichergestellt werden, um den Einzelnen besser vor den langfristigen Risiken des Alterns zu schützen. Dem Konzept der Eigentümergesellschaft (ownership society), mit dem auch hohe Risiken für den Einzelnen einhergehen, sollte verstärkt ein Entwurf einer die Risiken teilenden Wohlfahrtsgesellschaft (risk sharing society) entgegengehalten werden, in welcher dem öffentlichen Wohnbau eine tragende Rolle zukommt.

Fazit

In den Ländern der Eurozone können signifikante Unterschiede in der Vermögenshaltung der Haushalte festgestellt werden. Während in einigen Ländern, wie beispielsweise Österreich und Deutschland, der soziale Wohnbau und das Mieten von Privatwohnungen von großer Bedeutung sind, wurde in anderen Ländern, wie zum Beispiel den „Eigentümergesellschaften“ Spanien und Portugal, der individuelle Besitz von Immobilien intensiv gefördert. Vor allem die mittleren und unteren Einkommensgruppen sind in den Eigentümergesellschaften hohen finanziellen Belastungen ausgesetzt. Neben den Funktionen als Wohnsitz und Schuldsicherheit dienen Immobilien auch als Absicherung gegen kurz- und langfristige Risiken, wie etwa Arbeitslosigkeit und Alter, vor allem in jenen Ländern welche über nur schwache wohlfahrtsstaatliche Institutionen verfügen.

Dieser Beitrag basiert auf Nr. 141 der AK Working Paper Series „Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft“ bzw. einem gemeinsam mit Stefan Jestl und Sebastian Leitner verfassten Artikel in der – seit kurzem zur Gänze online verfügbaren – Ausgabe 1/2015 der Zeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“.