Herausforderungen 2017: Arbeitslosigkeit senken, in die Zukunft investieren

30. Dezember 2016

Nach fünf Jahren steigender Arbeitslosigkeit ist 2017 eine Trendwende möglich. Die Zahl der Arbeitslosen kann allerdings nur dann markant sinken, wenn die Wirtschaftspolitik dieses Ziel in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen rückt. Die konjunkturellen Voraussetzungen haben sich verbessert, Industrieproduktion, Investitionen und Konsumnachfrage ziehen an. Allerdings bestehen schwierig zu meisternde Hürden durch fehlendes wirtschaftliches Verständnis in der Politik, etwa was die Notwendigkeit von Investitionen in die Zukunft betrifft.

Im November 2016 ist erstmals seit Herbst 2011 die Arbeitslosigkeit gesunken: Die Zahl der registrierten Arbeitslosen ging gegenüber dem Vorjahr um 3.600 zurück. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der unselbständig Beschäftigten um gut 60.000, das war der höchste Zuwachs seit fünf Jahren. Der Arbeitsmarkt erweist sich heute als deutlich robuster als noch vor einem Jahr. Das wird durch die Zunahme der Vollzeitjobs ebenso wie der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden unterstrichen, auch die Beschäftigung von InländerInnen und jene in der Industrie drehten in den letzten Quartalen ins Plus. Erschwert wird die Herausforderung durch den anhaltend kräftigen Zustrom von ausländischen Arbeitskräften und die notwendige Integration der Flüchtlinge.

Beschäftigung: Vollzeit und Teilzeit im Vergleich zum Vorjahresquartal

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: Eurostat © A&W Blog
Quelle: Eurostat

Insgesamt scheint eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt erreichbar. Sie ist dringend notwendig, denn die Zahl der registrierten Arbeitslosen liegt heute um fast 150.000 höher als zu Beginn der Finanzkrise 2008. Dies bringt enorme Kosten mit sich: Für die Betroffenen und ihre Familien, die erhebliche Einkommensverluste hinnehmen und unter Abstiegsängsten leiden; für die Gesamtwirtschaft, die die fehlende Kaufkraft spürt; für den Staatshaushalt, dem durch arbeitslosigkeitsbedingten Einnahmenentfall und Ausgabensteigerung bis zu vier Mrd. Euro im Jahr fehlen; für den sozialen Zusammenhalt, weil Arbeitslosigkeit die Probleme von Ungleichheit, Armut und soziale Ausgrenzung verstärkt.

Finanzkrise kostete hunderttausende Jobs

Die markante Zunahme der Arbeitslosigkeit hatte zwei wesentliche Ursachen, bei denen eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik ansetzen muss. Sie ist zunächst eine direkte Folge der bremsenden Wirkungen der europäischen Finanzkrise auf das reale Bruttoinlandsprodukt. Zwar übertraf dieses 2016 das Niveau von 2008 um etwa 6%, es blieb aber um bis zu einem Fünftel unter einer hypothetischen Fortschreibung des Wachstumstrends 1988-2008, was nach den ökonomischen Faustregeln das Entstehen von etwa 300.000 neuen Jobs verhindert hat. Die Schwäche der Arbeitskräftenachfrage spiegelt sich weniger in der Zahl der Beschäftigten, die um gut 6% über dem Niveau von 2008 liegt, sondern in jener der geleisteten Arbeitsstunden, die erst 2016 das Vorkrisenniveau überschritten hat.

Ohne eine Erholung der Konjunktur kann keine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt gelingen. Hier haben sich in Österreich die Voraussetzungen verbessert, denn die aktuellen Indikatoren weisen nach oben: Industrieproduktion und Ausrüstungsinvestitionen ziehen bereits seit fast zwei Jahren langsam aber stetig an, seit einem halben Jahr zeigen sich auch positive Effekte der Lohnsteuersenkung auf die Konsumnachfrage. Doch ein kräftiger Aufschwung nach dem Muster vergangener Konjunkturzyklen ist ohne wirtschaftliche Erholung bei den Handelspartnern nicht möglich, denn 37% der Endnachfrage stammt aus dem Export.

Jetzt die öffentlichen Investitionen in der gesamten Eurozone ausweiten!

Die wirtschaftliche Lage in der Eurozone hat sich zuletzt infolge des Lockerns der Bremswirkung der Fiskalpolitik, der Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar und den steigenden Löhnen in Deutschland stabilisiert. Doch das Niveau des realen BIP liegt 2016 kaum über dem Niveau von 2008 und expansive Nachfrageimpulse fehlen, weil die Unternehmen angesichts anhaltender Unterauslastung ihre Investitionen zurückhalten und die Haushalte bei schwachem Einkommenswachstum wegen hoher Arbeitslosigkeit zum Vorsichtssparen neigen. Die überwiegende Mehrheit der US- und der europäischen ÖkonomInnen, der Internationale Währungsfonds und die OECD fordern einen öffentlichen Konjunkturimpuls.

Sogar die Europäische Kommission hat jüngst der Eurozone einen öffentlichen Impuls von 0,5% des BIP empfohlen. Doch die neokonservativen Finanzminister in allen Parteien – vom deutschen Christdemokraten Wolfgang Schäuble über den österreichischen Konservativen Hansjörg Schelling bis zum niederländischen Sozialdemokraten Jeroen Dijsselbloem – wollen das offensichtliche Scheitern der Sparpolitik nicht eingestehen und beharren stur auf der Priorität der Fiskalregeln. Doch genau diese verhindern trotz hohem Investitionsbedarf, hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Finanzierungskosten das ökonomisch Vernünftige: Die koordinierte Ausweitung der öffentlichen Investitionen.

Hoher Bedarf an sinnvollen Infrastrukturinvestitionen

Die Einführung einer goldenen Investitionsregel, die die Kreditfinanzierung von Infrastrukturinvestitionen ermöglicht, wäre der wirtschaftlich vernünftige Weg zur kurzfristigen Erhöhung der effektiven Nachfrage und langfristigen Verbesserung des Angebotspotenzials der Wirtschaft. Dem Drängen nach einer Ausweitung der öffentlichen Investitionen wird oft mit dem Bild von Straßenbrücken begegnet, die irgendwo in Süditalien ins Leere führen. Ohne Zweifel gibt es ineffiziente Investitionen. In Österreich fallen einem die aktuelle Aufrüstung des militärischen Flugparks oder der nahezu gleichzeitige Bau von zwei neuen Fußballstadien in wenigen Kilometern Entfernung in Wien ein.

Es ist eine unverzichtbare Aufgabe von Politik und Verwaltung sozial und wirtschaftlich sinnvollen Staatsausgaben Vorrang zu verschaffen. Denn angesichts der rasch wachsenden Bevölkerung und der Herausforderung von Digitalisierung und Klimawandel besteht enormer Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur, etwa in den Bereichen sozialer Wohnbau, öffentlicher Verkehr, Schulen und Kindergärten, Energienetze, Elektromobilität, Breitbandnetze und Forschung und Entwicklung.

Höheres Angebot an Arbeitskräften trug zum Anstieg der Arbeitslosigkeit bei

Die zweite grundlegende Ursache des Anstiegs der Arbeitslosigkeit ist die enorme Zunahme der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Sie betrug seit 2008 nahezu 250.000 Personen (+4,4%) und war vor allem eine Folge der starken Zuwanderung aus Deutschland, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und anderen osteuropäischen Länder. Dazu kommt ein merklicher – und auch wünschenswerter – Anstieg der Erwerbsquoten: Der Anteil der über 55-jährigen Erwerbstätigen hat sich innerhalb eines Jahrzehnts von 30% auf 45% erhöht, auch die Frauenerwerbstätigkeit steigt weiter.

Der Angebotsdruck muss auf vernünftige Weise verringert werden, wenn die Arbeitslosigkeit sinken soll. Ein möglicher Ansatzpunkt für die heimische Politik besteht darin, alles für eine wirtschaftliche Erholung in den Quellländern der Migration zu tun. Österreich müsste zum Beispiel vehement darauf drängen, dass sich die EU endlich um die wirtschaftliche Stabilisierung Kroatiens kümmert, für das der heimische Arbeitsmarkt 2020 geöffnet wird. Auch höhere Löhne in den Herkunftsländern würden den Migrationsdruck verringern. Die teils kräftige Erhöhung der Mindestlöhne zum Beispiel in Deutschland und Ungarn helfen den ArbeitnehmerInnen und der Konjunktur in diesen Ländern, entlasten aber gleichzeitig den österreichischen Arbeitsmarkt.

Mehr Ausbildungsplätze und kürzere Arbeitszeiten

In Österreich selbst muss die Zahl der Aus- und Weiterbildungsplätze kräftig erhöht werden, wenn zu wenige Arbeitsplätze für junge Menschen vorhanden sind und Qualifizierungsmängel bestehen. Hier wurden jüngst politische Einigungen erzielt, die es rasch in die Realität umzusetzen gilt: Etwa die Ausbildungsgarantie bis 25 oder die Aufstockung der Studienplätze in Fachhochschulsektor. Die Wiedereinführung des Fachkräftestipendiums stellt einen wichtigen Fortschritt in der Qualifizierungspolitik dar, die kurzfristig und langfristig den Arbeitsmarkt entlasten wird.

Großes Potential für eine fortschrittliche Verringerung des Arbeitskräfteangebots besteht in einer Nutzung des Produktivitätsfortschritts für eine Verkürzung der Arbeitszeit. Eine besonders innovative Form der Arbeitszeitverkürzung wird seit 2013 in den Kollektivverträgen der Industrie umgesetzt, die Freizeitoption. In der Herbstkollektivvertragsrunde konnte sie neuerlich in einigen Branchen verankert werden. Besonders bedauerlich ist, dass diese Chance im Rahmen der jüngsten Gehaltsrunde des öffentlichen Dienstes trotz bestehenden Angebots nicht ergriffen wurde.

Fazit

Wenn Konjunktur und Politik zusammenspielen, kann 2017 eine Senkung der Arbeitslosigkeit gelingen. Dies könnte den gelungenen Auftakt für eine deutliche Verringerung der Zahl der Arbeitslosen in der mittleren Frist bilden. Dafür bedarf es zusätzlicher Maßnahmen in Österreich (Infrastruktur ausbauen, Zahl der Ausbildungs- und Qualifizierungsplätze erhöhen, Arbeitszeit verkürzen), vor allem aber eines wirtschaftspolitischen Kurswechsels in der Eurozone.