Ganze Schule anstatt Halber Sachen

21. September 2017

Ganztagsschulen stehen für Ganzheitlichkeit: Jedes Kind soll einen abwechslungsreichen Schulalltag mit Lernen, Erlebnissen und Erholung über den Tag verteilt erleben. Die optimale Förderung und Entwicklung in einem angenehmen Lernumfeld stehen im Fokus. Die Schultasche bleibt in der Schule, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird gewährleistet. Dafür braucht es ein qualitätsvolles Angebot auf Basis eines pädagogischen Konzeptes mit motivierten multiprofessionellen PädagogInnenteams.

 

Was bedeutet Qualität in Ganztagsschulen?

  • Bessere Vereinbarkeit für berufstätige Eltern
  • Engagierte multiprofessionelle PädagogInnenteams
  • Gut ausgestattete Arbeitsplätze für das PädagogInnenteam
  • Schlüsselfaktor Autonomieerleben
  • Stärkung von Beziehungen zwischen Kind, LehrerIn und Eltern

Den Tag gemeinsam erleben

So eine Ganztagsschule gibt es zum Beispiel in Wien. Hier ist der Tagesablauf projektorientiert und mit reformpädagogischen Elementen gestaltet. Unterricht und Freizeit verschränken sich quasi von selbst.

Als Voraussetzung für das Gelingen dieser Arbeit sieht die Direktorin stabile Teams, in denen nicht nur alle LehrerInnen, sondern auch FreizeitpädagogInnen an der Konzeption und Durchführung der Arbeit in und mit der Klasse gleichberechtigt beteiligt sind. Zusätzlich gibt es modulares und klassenübergreifendes Arbeiten. Dieses findet in einer Kurs- bzw. Förderschiene an zwei Tagen in der Woche statt. Hier kann es sich in Kreativkurse, Sprachkurse oder spezielle Förderkurse einwählen.

Fußball, Töpfern, Tanzen… aber für alle!

Gerade die Gestaltung der Freizeit und Ferienzeiten unterscheiden sich stark abhängig von den Ressourcen der Eltern und Bezugspersonen. Während die einen Kinder Zugang zu außerschulischen Freizeitangeboten bekommen, gehen andere Kinder leer aus. Weiters leiden viele berufstätige Eltern und ihre Kinder unter dem Stress und Organisationsaufwand zwischen Schule und außerschulischer Freizeitbetreuung. Ziel muss es daher sein, dass außerschulische Freizeitanbieter an die Schulen kommen und jedes Kind Zugang zu Freizeitangeboten abhängig vom Interesse der Kinder bekommt – und nicht abhängig vom Engagement der Eltern.

Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit als Schlüsselfaktor

Entscheidungsfreiheit fördert die intrinsische Motivation beim Lernen. So zeigen Untersuchungen aus Deutschland, dass Förderangebote per se nicht wirksam sind. Während beispielsweise von SchülerInnen freiwillig gewählte Lesekurse große Effekte erzielen konnten. Und genau das passiert in der genannten Wiener Schule. Die SchülerInnen wählen möglichst unabhängig von ihren Eltern, ihrer Klasse, ihren LehrerInnen aus den angebotenen Freizeitkursen aus, was sie im kommenden Semester ausprobieren möchten. Dazu gehören kreative Kurse genauso wie Sprachkurse oder Kurse, die sich mit der Schulgemeinschaft beschäftigen, wie etwa in diesem Semester einen Kurs zusammen mit dem Hausmeister. Diese eigenverantwortlich gewählten Freizeitangebote sind ideal um die unterschiedlichen Talente und Interessen der Kinder zu wecken und zu fördern.

Verschränkung von Konzentrationsphasen und Entspannungsphasen

Bei der verschränkten Ganztagesschule wird der Schulalltag in einer Rhythmisierung, dh dass Lern-, Freizeit-, Interessens- und Begabungsförderung abwechseln, organisiert. Durch die Verschränkung über den Tag hinweg können die pädagogischen Konzepte zeitlich und räumlich flexibler gestaltet werden. Methoden wie individualisierte Lernzugänge, peer education, Projektunterricht sowie eine generell offenere zeitliche und räumliche Pädagogik werden möglich.

Halbtagsformen mit und ohne Nachmittagsbetreuung können diesen Ansprüchen auch bei entsprechendem pädagogischen Konzept kaum gerecht werden: Aufgrund der fehlenden Rhythmisierung finden sie schwierigere Rahmenbedingungen vor (räumlich, zeitlich, personell). Da nur ein Teil der SchülerInnen Nachmittags in der Schule ist, kann beispielsweise der Vormittagsunterricht und Nachmittagsbetreuung nicht in aufeinander aufbauenden inhaltlich-konzeptionellen Zusammenhang gesetzt werden.

Beziehung und Bindung als essentielle Umfeldfaktoren

Beziehungen und Bindungen sind für Förderung und Lernen im Allgemeinen essentielle Faktoren. Verschränkte Ganztagesschulen können hier in dreierlei Hinsicht punkten. Erstens stärkt der gemeinsame Tag mit Lern und Freizeitphasen die Klassen- bzw. Schulgemeinschaft unter den SchülerInnen. Zweitens kann durch Ausflüge, Erlebnisse und Freizeitaktivitäten mit den LehrerInnen auch die SchülerInnen-LehrerInnen-Beziehung gefördert werden. Drittens profitiert auch die Eltern-Kind-Beziehung, wenn die Lernziele und die dafür benötigte zusätzliche Förderung in der Schule erledigt wird. Eltern sind keine PädagogInnen, die gelernt haben wie verschiedene Kompetenzen vermittelt und erklärt werden können. Vielmehr sollen Familien Zeit haben, das zu machen, was sie gerne zusammen machen und ihr Familienleben auszeichnet.

Dekoratives Bild © A&W Blog
Erfolgsfaktoren und Umfeldfaktoren der Ganztagsschule. Eigene Darstellung © A&W Blog
Erfolgsfaktoren und Umfeldfaktoren der Ganztagsschule. Eigene Darstellung

Wie erreichen wir Qualität in Ganztagsschulen?

Nachdem in den letzten Jahren der Schwerpunkt auf den quantitativen Ausbau gelegt wurde, ist nun der Fokus auf ein qualitätsvolles Angebot an den Standorten von besonderer Bedeutung. Das Angebot einer ganztägigen Schule ist ein umfassender Schulentwicklungsprozess, der ein pädagogisches Konzept implementiert, mit dem Kinder einen abwechslungsreichen Schulalltag mit Lernen, Erlebnissen und Erholung über den Tag verteilt erleben. Dafür braucht es Zusammenarbeit und die Offenheit, Neues zu entwickeln. Damit Ganztagesschulen in hoher Qualität jedem Kind zur Verfügung stehen braucht es etwa:

  • Unterstützung der Schulstandorte bei der Umstellung und Weiterentwicklung
  • Flexiblere Rahmenbedingungen für PädagogInnenteams
  • Gerechte transparente Finanzierung der Schulstandorte
  • Kostenlose Ganztagsschule für alle Familien
  • Ausbau und Weiterentwicklung der Kommunikation mit den Eltern
  • Vereine und außerschulische Angebote als PartnerInnen
  • Ferienangebote schaffen

Gute Begleitung bei Umstieg

Schulstandorte brauchen entsprechende Unterstützung bei der Umstellung bzw der Weiterentwicklung ihres ganztägigen Angebotes. Notwendig sind schulinterne Fortbildungen, in dem die PädagogInnenteams aus LehrerInnen, ErzieherInnen und FreizeitpädagogInnen gemeinsam das Konzept erarbeiten, das zu ihrem Standort und den SchülerInnen passt und dass sie schlussendlich auch mittragen müssen. Das wäre ein gelungener Start für einen umfassenden Schulentwicklungsprozess. Die Schulaufsicht und Pädagogische Hochschule sollten eine wichtige Rolle in der Begleitung spielen. Die pädagogischen Hochschulen müssen sich dementsprechend fit machen, um ihr Angebot in diese Richtung zu ergänzen und das Thema ganztägige Schulformen schon in den Curricula der Ausbildung zu verankern.

Vielfältiges Angebot und Flexibilität

Um über den Tag verteilt Angebote zu setzen, braucht es flexible Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, dass die verschiedenen PädagogInnen in einem Team zusammenarbeiten. Das bedeutet einerseits gemeinsame Stunden mit den Kindern, also Teamteaching, und andererseits regelmäßige Teamstunden, um zu reflektieren und kommende Angebote zu planen. Ermöglicht würde dies durch eine/n FreizeitpädagogIn die pro Klasse zur Verfügung steht. So können Ausflüge, Exkursionen den Unterricht bereichern und die Kinder bekommen die Erlebnisse – wie Biologieunterricht im Wald oder Sachkunde im Museum.

Infrastruktur am Unterrichtsalltag orientiert

Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen an den Bedürfnissen der Kinder orientiert zum Einsatz kommen. Es braucht ausreichend Lern-, Freizeit-, Bewegungs- und Rückzugsräume. Dafür müssen auch kreative Lösungen ermöglicht werden. Die Umgestaltung von Gangbereichen schafft zum Beispiel zusätzliche Flächen, die den Kindern weitere Aktionsräume verschaffen. PädagogInnen brauchen entsprechende Arbeitsräume, in denen sie in Ruhe den Unterricht, die Lernzeit und die Freizeit für die Kinder vorbereiten können. Im Idealfall ein Freizeitraum für zwei Klassenräume und ein PädagogInnenzimmer für vier Klassen.

Gerechte Finanzierung orientiert am Förderbedarf

Die unterschiedlichen Schulstandorte haben unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen. Die Ausstattung der verschiedenen Standorte sollte transparent und nachvollziehbar gestaltet werden. Die Arbeiterkammer schlägt dafür das Modell Chancenindex vor. Dieses Modell beinhaltet eine Basisfinanzierung, zu der jeder Standort abhängig von der Zusammensetzung der SchülerInnen zusätzliche Mittel für den zusätzlichen Förderbedarf erhalten soll. Diese Förderung lässt sich natürlich am effektivsten in Ganztagsschulmodellen realisieren.

Selektionsfreier Zugang

Nicht für alle ist die ganztägige Schule aber auch leistbar. Der Betreuungsbeitrag stellt für mache Eltern eine unüberwindbare Barriere dar, wie auch die Kosten für das Essen. Nachdem ganztägige Schulen eben Schulen sind, sollten diese im Sinne der Schulgeldfreiheit deshalb nichts kosten. Ein warmes Mittagessen für jedes Kind in Österreich, auch im Sinne der Gesundheitsförderung, wäre wünschenswert.

Eltern mit an Bord

Wenn die Ganztagsschule zum Erfolg werden soll, müssen auch die Eltern von diesem pädagogischen Konzept überzeugt sein. Dies erfordert verstärkte Kommunikation mit ihnen: Was hat ihr Kind gemacht, welche Entwicklung macht es gerade in der Schule durch und wo können sich Eltern und LehrerInnen gegenseitig unterstützen? Regelmäßige Informationen an die Eltern und die Möglichkeit zum persönlichen Austausch sind wichtig. Angebote, bei denen sich die Eltern, sofern sie das wollen, beteiligen können, erhöhen die Zustimmung und bauen Vertrauen auf.

Viele Eltern sind berufstätig und mit der Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung gefordert. Die Art der Informationen und Angebote für Eltern sollen sich an den Möglichkeiten und Bedürfnisse von berufstätigen Eltern orientieren. So könnte beispielsweise dem gemeinsamen Hobby als Freizeitangebot in der Schule nach 16 Uhr nachgegangen werden, oder die Informationen der Schule via Email an die Eltern verschickt werden.

Vereine und außerschulische Angebote werden PartnerInnen

Der Anspruch auf umfassende Förderung ist oft nicht an jedem Standort durch die vorhandenen PädagogInnen umsetzbar. Deswegen sollte die Freizeit durch Angebote von Vereinen oder Musikschulen ergänzt werden. So können bereits bestehende Angebote in den Schulalltag integriert werden und Kinder können ihre Talente entwickeln und zB ein Musikinstrument lernen oder Volleyball spielen. Bei entsprechender Nachfrage kann das Angebot pro Schulstandort, in Ballungsräumen aber auch standortübergreifend, umgesetzt werden.

Erlebnisse durch Ferienangebote

Für viele Eltern stellen vor allem die unterrichtsfreien Zeiten eine Herausforderung bei der Betreuung ihrer Kinder dar. Vierzehn Wochen unterrichtsfreie Zeit bei fünf bis sechs Wochen Urlaubsanspruch der berufstätigen Eltern sind privat für viele kaum organisierbar. Für etliche Kinder ist es eine Frage der finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern oder der großfamiliären Strukturen, ob sie schöne und erholsame Ferien verbringen können.

Damit die Ganztagsschule für berufstätige Eltern eine gute Variante wird, muss diese auch in den Ferienzeiten attraktive Angebote für die Kinder bieten. Diese müssen sich stark vom schulischen Lernalltag unterscheiden und sollten in Form von Erlebnis- und Themenwochen auf die Schwerpunktsetzungen des Freizeitteils fokussieren.

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Maßnahmenbündel für Qualitätsausbau an Ganztagsschulen © A&W Blog
Maßnahmenbündel für Qualitätsausbau an Ganztagsschulen. Eigene Darstellung

Conclusio: Ganztagsschule hoher Qualität durch gemeinsame Anstrengungen

In Ganztagsschule mit Qualität werden also Rahmenbedingungen geschaffen, die das Kind mit seinen Talenten und Interessen in den Mittelpunkt stellen. Und das begeistert auch die Kinder. Jasmin aus einer Wiener Ganztagsschule sieht für sich viele Vorteile: „Da haben wir den ganzen Tag Zeit um viel zu erleben. Ich kann da mit meinen Freunden auch spielen und muss nicht nur lernen. Und wenn ich Heim geh, hab ich keine Hausübung mehr. Da kann ich dann was mit Mama und Papa unternehmen. Und die sind auch entspannter, weil sie nicht so viel Stress haben.“ Nicht nur Jasmin sondern jedes Kind soll eine Ganztagsschule mit einem abwechslungsreichen Schulalltag mit Lernen, Erlebnissen und Erholung über den Tag verteilt erleben. Damit das gelingt braucht es gemeinsame Anstrengungen die Qualität an jedem Standort sicherstellen und ein Umfeld zu schaffen, indem multiprofessionellen PädagogInnenteams gerne arbeiten und Eltern ihre Kinder überzeugt von der hohen Qualität begleitet wissen.