Für eine zeitgemäße Anerkennung von Berufskrankheiten

14. Mai 2014

Die Berufskrankheiten sind im § 177 ASVG geregelt. In Österreich werden Berufskrankheiten üblicherweise nur als solche anerkannt, wenn sie in der Berufskrankheitenliste im 1. Anhang zum ASVG angeführt sind. Derzeit sind 53 Krankheiten in der Liste angeführt. Es handelt sich dabei um Krankheiten, welche auf die Verwendung eines bestimmten Arbeitsstoffes zurückzuführen sind (z.B. Blei, Chrom, Asbest usw.) oder die aufgrund bestimmter Tätigkeiten bzw. Arbeitsabläufe entstehen (z.B. Erkrankungen durch Arbeiten unter Druckluft, Gelenksschäden aufgrund ständiger Erschütterungen usw.). Verbreitete arbeitsbedingte Gesundheitsprobleme wie Muskel-Skelett Erkrankungen oder psychische Krankheiten sucht man in der Liste allerdings vergeblich.

Schwerer Weg zur Anerkennung

In 1.233 Fällen wurden 2012 von der AUVA eine Berufskrankheit anerkannt (Jahresbericht AUVA 2012, S. 35). Die häufigsten Erkrankungen waren Lärmschwerhörigkeit, Hauterkrankungen und Atemwegs- und Lungenerkrankungen. Das Anerkennungsverfahren ist ein für Betroffene oft schwer durchschaubarer Prozess. Manche Krankheiten werden beispielsweise nur dann anerkannt, wenn sie bei einer bestimmten Tätigkeit bzw. in einer bestimmten Branche auftreten. So ist beispielsweise die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 46 „Durch Zeckenbiss übertragbare Krankheiten (z.B. FSME)“ auf „Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft sowie auf Tätigkeiten in Unternehmen bei denen eine ähnliche Gefährdung besteht“ begrenzt. Im Falle einer/eines Haustechnikerin/-technikers, welche/-r gelegentlich den Rasen rund um das Firmengelände mäht, wäre die Anerkennung zumindest eine Streitfrage. Bei den meisten Berufskrankheiten besteht die Begrenzung auf eine bestimmte Branche allerdings nicht – sie werden in allen Unternehmen anerkannt (z.B. Lärmschwerhörigkeit). Wesentlich schwieriger ist nachzuweisen, dass die Krankheit auf die berufliche Tätigkeit an sich zurückzuführen ist. Für den Versicherungsträger muss ein Zusammenhang mit der Tätigkeit natürlich nachvollziehbar sein. Hier sind die Arbeitnehmer/-innen darauf angewiesen, dass die/der Arbeitgeber/-in ihrer/seinen Aufzeichnungspflichten nachkommt. Wenn nie korrekt dokumentiert wurde, dass Betroffene bestimmten Stoffen oder spezifischen Belastungen ausgesetzt waren, fällt der Nachweis schwer. Beispielsweise ist es für den/die Einzelne/-n quasi unmöglich ohne betriebliche Aufzeichnungen eine jahrelange berufliche Lärmexposition zu belegen.

Monokausalität

Eine weitere Hürde stellt dar, dass die Krankheit monokausal auf die Arbeit zurückführbar sein muss. Für eine Anerkennung muss nachvollziehbar sein, dass praktisch ausschließlich die Belastungen aus der beruflichen Tätigkeit zur Erkrankung geführt haben. Hier wird deutlich, weshalb das bestehende System arbeitsbedingte Krankheiten wie Muskel- Skelett Erkrankungen oder psychische Krankheiten nicht berücksichtigen kann. Eine ausschließliche Rückführung eines Bandscheibenvorfalles oder einer Depression auf die Arbeit ist kaum möglich und nur schwer nachweisbar.

Generalklausel

Das Gesetz räumt über eine Generalklausel theoretisch die Möglichkeit ein, auch andere Krankheiten als jene in der Berufskrankheitenliste anzuerkennen. (§ 177 Abs. 2 ASVG). Allerdings muss auch hier aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse festgestellt werden, „dass die Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist“. Auch hier macht schon die Formulierung deutlich, dass eine Anerkennung nur schwer möglich ist, bzw. Muskel- Skelett Erkrankungen oder psychische Krankheiten auch auf diesem Weg nicht anerkannt werden können.

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Berufskrankheitenliste erweitern

Im Unterschied zu anerkennbaren Berufskrankheiten, spricht man bei sonstigen Erkrankungen, welche aufgrund der beruflichen Tätigkeit bestehen, von „arbeitsbedingten Krankheiten“. Darunter fallen auch die bereits mehrfach erwähnten Muskel- Skelett Erkrankungen und psychischen Krankheiten. Diese Diagnosegruppen sind deshalb so wesentlich, weil sie massiv das Krankenstandsgeschehen und die Zugänge zur Invaliditätspension beeinflussen. Würde es gelingen bei den Krankheiten weitgehend vorzubeugen, würden, neben der Verhinderung von menschlichem Leid, auch erhebliche betriebliche und gesamtgesellschaftliche Einsparungen erzielt werden.

Dass Muskel- Skelett Erkrankungen oder psychischen Krankheiten durch schlechte Arbeitsbedingungen mitverursacht werden können, gilt mittlerweile als wissenschaftlich gesichert. Eine Aufnahme in die Berufskrankheitenliste wäre nur der logische nächste Schritt. Um dies zu ermöglichen, bräuchte es aber einige grundsätzliche Änderungen in der Anerkennungspraxis.

Teilverantwortung der Betriebe

Zunächst müsste das Prinzip der „Monokausalität“ aufgehoben und eine Art Teilverantwortlichkeit des Betriebes ermöglicht werden. Dabei wäre dann im Einzelfall zu klären, welchen Anteil die berufliche Tätigkeit am Ausbruch der Krankheit hatte und dementsprechend der Leistungsumfang der Unfallversicherung zu berechnen. Neben einer (teilweisen) Kostenübernahme für die Heilbehandlung durch die Unfallversicherung würde sich dies auch im Hinblick auf etwaige Verrentungen auswirken. Analog zum Arbeitsunfall müssten Geschädigte eine Minderung ihrer Arbeitsfähigkeit in Form einer Rente abgegolten bekommen. Kann die Schädigung nur teilweise auf die berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden, werden neben der Unfallversicherung jene Organisation (GKK, PVA, AMS), die dies jetzt ohnehin schon tun, Leistungen erbringen müssen.

Beweislastumkehr

Man kann natürlich einwenden, dass die Abbildung der Realität bei der Ermittlung einer Teilverantwortlichkeit durch den Betrieb nur schwer möglich ist. Allerdings wäre ein solches Vorgehen jedenfalls eine bessere Abbildung der Realität als der Status Quo, wo eine Arbeitsbedingtheit leistungsmäßig gänzlich negiert wird. Außerdem muss es zu einer Beweislastumkehr kommen. Nicht der Betroffene sollte beweisen müssen, dass die Krankheit von der Arbeit kommt, sondern die/der Arbeitgeber/-in sollte beweisen müssen, dass die Krankheit eben nicht von der Arbeit kommt.

Diese Änderungen würden dazu führen, dass betroffene Beschäftigte wesentlich besser als bisher Zugang zu Leistungen aufgrund arbeitsbedingter gesundheitlicher Schädigungen erhalten. Wesentlich ist aber auch der zu erwartende Effekt auf die Prävention. Unternehmen die beweisen müssen, dass Krankheiten nicht arbeitsbedingt sind, werden wesentlich mehr Maßnahmen setzen und diese auch umfassend dokumentieren. Insbesondere dann, wenn, wie bei den Arbeitsunfällen auch, bei grober Fahrlässigkeit ein Regress der Unfallversicherung droht. Die AUVA hingegen würde ihre bereits beachtlichen Bemühungen für die Prävention von arbeitsbedingten Erkrankungen weiter intensivieren. Erwartbare Mehrausgaben der AUVA müssten durch eine Anhebung der Mittel (und nicht etwa einer Senkung, wie aktuell erfolgt) abgedeckt werden. Außerdem könnten zusätzliche Mittel durch die Einsparung von eigentlich AUVA-fremden Aufgaben (z.B. das Krankengeld für Selbstständige) freigemacht werden. Zwei der wesentlichsten Diagnosegruppen in der Krankenstands- und Invaliditätspensionsstatistik könnten so zurückgedrängt werden. Neben der Verhinderung von menschlichem Leid wären wohl auch die Einsparungen für Betriebe und das Sozialsystem durchaus beachtlich.

Zusammenfassung

Die aktuelle Berufskrankheitenliste spiegelt die Realität der durch Erwerbsarbeit verursachten Gesundheitsbeeinträchtigungen nur unzureichend wider. Arbeitsbedingte Muskel-Skelett Erkrankungen oder psychische Krankheiten sind zwei Beispiele dafür. Um einen zeitgemäßen Versicherungsschutz für Berufskrankheiten zu erreichen, braucht es folgende Maßnahmen.

–          Eine Erweiterung der Berufskrankheitenliste.

–          Eine Abkehr von Prinzip der Monokausalität hin zu einer möglichen Teilverantwortlichkeit.

–          Daraus folgend eine teilweise Kostenübernahme durch die Unfallversicherung.

–          Eine Beweislastumkehr im Feststellungsverfahren.

–          Eine Erhöhung der Mittel der AUVA um die zu erwartenden steigenden Leistungen aus dem Versicherungsfall auch schultern zu können.

Broschüre „Rat und Hilfe – Aufgaben und Leistungen der AUVA“