Frauenvolksbegehren 2.0: Wirtschafts- und sozialpolitische Dimensionen

02. Oktober 2017

Nirgendwo auf der Welt ist die Gleichheit der Geschlechter eine Realität: „no country in the world has achieved total equality between the sexes both in law and in practice“ (CEDAW-Komitee). Fast überall ist sie ein normatives Gebot oder Ziel. Mancherorts ist das Ringen um sie leichter, vieles scheint schon gesichert und erreicht zu sein, andernorts scheint es aussichtsloser. In Österreich scheint trotz vereinzelter Bemühungen, frauen- und gleichstellungspolitischer Stillstand zu herrschen. Das Frauenvolksbegehren 2.0 ist ein Versuch, dies zu ändern.

Was bisher geschah

Nach dem Weltfrauentag 1996 hatte sich eine Gruppe engagierter Frauen zusammengefunden und innerhalb eines Jahres ein Volksbegehren mit elf Forderungen entworfen. Trotz über 644.000 geleisteter Unterschriften konnten letztlich nur symbolische und unbedeutende legistische Veränderungen erreicht werden.

Die andauernde strukturelle ökonomische, kulturelle und politische Benachteiligung von Frauen und der sich im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der Präsidentschaftswahlen 2016 verschärfende Sexismus hat eine Gruppe von Frauen 20 Jahre später veranlasst, das Frauenvolksbegehren 2.0 zu initiieren. Bei einer Pressekonferenz im April 2017 wurden 15 Forderungen präsentiert und mittels Crowdfunding 175.000 Euro für eine politische Kampagne gesammelt.

Wie es weitergeht

Mittlerweile gibt es viele neue Mitstreiter*innen, die an der inhaltlichen Fundierung und Neuordnung der Forderungen arbeiten und es wurden und werden professionelle Organisationsstrukturen aufgebaut. Nach der Nationalratswahl 2017 werden die notwendigen 8.400 Unterstützungserklärungen gesammelt; die Eintragungswoche soll im Mai 2018 stattfinden.

Was gefordert wird

Die Forderungen des Frauen*volksbegehrens berühren das Leben von Frauen auf unterschiedlichen Ebenen. Dazu gehören ökonomische Unabhängigkeit genauso wie körperliche und sexuelle Autonomie und politische Repräsentation.

Zur ökonomischen Dimension gehört die Forderung nach einer Umverteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit. Das bedeutet, dass Frauen durch Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit gegenüber Männern nicht länger doppelt- oder gar mehrfachbelastet werden.

Zur körperlichen und sexuellen Autonomie gehört es, dass Frauen frei von rechtlichen Einschränkungen darüber entscheiden können, ob sie schwanger werden oder sein wollen. Außerdem sollen Frauen an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen nachhaltig teilhaben können, wenn sie dies wollen und alle Menschen die Möglichkeit haben, sich frei von Stereotypen und Rollenfixierungen – etwa in der Werbung und Erziehung – entfalten zu können. Voraussetzung dafür ist nicht zuletzt, dass Menschen sozial abgesichert sind und sich sicher fühlen – es sind also viele sozialpolitische Weichenstellungen notwendig, damit Gleichstellung in Politik und Wirtschaft erreicht werden kann.

Ein Volksbegehren?

Von Anfang an war den Initiator*innen klar, dass ein Volksbegehren kein unproblematisches Instrument ist. Es handelt sich schließlich bei einem Volksbegehren um ein von mächtigen Männern konstruiertes und neuerdings von populistischen, oft reaktionären politischen Kräften vereinnahmtes Instrument. Nichtsdestotrotz ist ein Volksbegehren auch ein Vehikel, über öffentliche Debatten und demokratische Mobilisierung strukturelle Veränderungen zu bewirken, wenn auch über Umwege. Umso mehr gilt dies, wenn ein Volksbegehren so offen, inklusiv und partizipativ angelegt ist und so progressive wirtschafts- und sozialpolitische Ziele wie das Frauenvolksbegehren 2.0 verfolgt. Diese Ziele werden in der Folge näher erläutert.

Umverteilung und Neubewertung von Arbeit

Aktuell werden Arbeitszeiten hauptsächlich den betrieblichen und marktlichen Erfordernissen angepasst: Sie sind variabel, allzu flexibel, umfassen ständige Erreichbarkeit und Durchrechnungszeiträume, die fast ein halbes Jahrhundert umfassen. All diese Entwicklungen sind keine Erweiterungen, sondern Beschränkungen von Handlungsräumen. Sie verhindern nicht nur, dass Menschen ihre Freizeit sinnvoll strukturieren können und sich so Zeit für ihre Familien, Freund*innen und Partner*innen, für Bildung, Kultur, Kunst und Politik nehmen können, sondern dass sie schlechter erholt arbeiten, weniger kreativ sind und öfter krank werden. Die Arbeitsmarktrealität sieht gegenwärtig so aus, dass Arbeitszeitverkürzung real entweder über Arbeitslosigkeit, Rationalisierung und Digitalisierung von Arbeit oder über Teilzeitarbeitsverhältnisse privat organisiert wird. Öffentliche Gestaltungsspielräume werden nicht genutzt, politische Diskussionen weisen sogar in Richtung mehr Flexibilisierung und Entgrenzung.

Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden

Konkret fordert das Frauenvolksbegehren daher eine demokratisch organisierte, schrittweise Arbeitszeitverkürzung bei Personal- und Lohn- bzw. Gehaltsausgleich, um bezahlte und unbezahlte Arbeit umzuverteilen und neu zu bewerten. Dabei handelt es sich eigentlich nicht nur um eine gleichstellungspolitische, sondern um eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit, denn in der Eurozone sind aktuell vier von fünf neuen Erwerbsarbeitsplätzen nur auf Teilzeitbasis oder befristet zu haben und sind niedrig entlohnt. Ein Angleichen von rechtlichen Erwartungen an Normerwerbsarbeitsverhältnisse und entsprechende Sozialversicherungsbiographien wäre insofern nicht nur notwendig für Frauen, die in Österreich zu fast 48 Prozent in Teilzeit tätig sind (die anderen 52 Prozent der Frauen sind mitnichten kontinuierlich in Vollzeit tätig, Karenzzeiten und andere Ereignisse in weiblichen Biographien sorgen dafür, dass nur zwei Prozent der Frauen überhaupt 45 Versicherungsjahre ansammeln können, hingegen schaffen dies etwa 50 Prozent der Männer), sondern auch für junge Menschen, nachfolgende Generationen und die Allgemeinheit. Eine Volkswirtschaft ist produktiver, wenn Menschen gesünder und innovativer sind, sichere Jobs und gute Löhne haben, denn dann können und wollen sie mehr konsumieren und investieren.

Neue Normarbeitszeiten, neue Rollenbilder

Wären 30 Erwerbsarbeitsstunden die Norm, würden weibliche und prekäre Arbeitsverhältnisse nicht nur aufgewertet, sondern Gender Pay Gap (in Österreich aktuell etwa 22 Prozent) und Gender Pension Gap (in Österreich aktuell etwa um die 50 Prozent) automatisch abnehmen. Begleitet durch weitere politische und rechtliche Maßnahmen würde die Umsetzung dieser Forderung außerdem dafür sorgen, dass Männer mehr Haus- und Sorgearbeit leisten und mehr an der Erziehung ihrer Kinder teilhaben, da die Verhandlungsposition von Frauen gestärkt und freiwerdende Zeitressourcen gerechter verteilt werden könnten.

Umfassendes sozialpolitisches Angebot

Zu diesen weiteren Maßnehmen, die das Frauenvolksbegehren fordert, gehört neben einer Reform des Unterhaltsvorschussrechts etwa ein Rechtsanspruch auf einen ganztätig und ganzjährig zur Verfügung gestellten, guten Kinderbetreuungsplatz sowie das Gebot innerbetrieblicher Lohn- und Gehaltstransparenz. Ein solches Gebot muss Unternehmen in die Pflicht nehmen, bei festgestellten Entgeltdifferenzen entsprechende Abbaumaßnahmen zu setzen. Zu einer gerechten Bewertung von Erwerbsarbeit auf Betriebs- wie auf Branchenebene gehört außerdem, dass tatsächliche Anforderungen und Belastungen nach objektiven Kriterien geprüft werden.

Wirtschaftliche Teilhabe

Frauen sind mittlerweile überdurchschnittlich gut ausgebildet, dennoch beträgt ihr Anteil in Vorständen von börsennotierten Unternehmen in Österreich aktuell nur sieben Prozent (in der Industriebranche sind es sogar nur vier Prozent) und in den entsprechenden Aufsichtsräten 18 Prozent. Es handelt sich bei der Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen daher weniger um feministische Gesellschaftspolitik als um ein Gebot der Fairness und der Wirtschaftlichkeit: Einerseits sollte es selbstverständlich sein, dass Frauen entsprechend ihrer Qualifikationen und ihrer Leistungen in solche Verwaltungsgremien geholt werden (Quoten heben also das Ausbildungsniveau und den Kompetenzgrad automatisch an, weil Frauen eben durchschnittlich gebildeter und qualifizierter sind), andererseits haben homosoziale und männerbündisch besetzte Gremien auch nachteilige betriebs- und volkswirtschaftliche Konsequenzen. Divers besetzte Gremien arbeiten nachhaltiger, ausgewogener und erfolgreicher. Eine Studie von der Boston Consulting Group kommt für Deutschland sogar zu dem Ergebnis, dass eine stärkere Beteiligung von Frauen Wertschöpfungseffekte in Milliardenhöhe bewirken würde.

Männerquoten schaden allen

Quoten in der Privatwirtschaft schaden also nur mittelmäßig qualifizierten Männern; qualifizierte und motivierte Frauen und Männer sowie die Allgemeinheit profitieren von diesen. Die neu beschlossene 30-prozentige Geschlechterquotenregelung ist ein Schritt in die richtige Richtung, ist aber aufgrund ihrer Beschränkung auf Aufsichtsräte von Großunternehmen nicht in der Lage, wirkliche Parität herzustellen. Damit Karriereverläufe von hochqualifizierten Frauen* also nicht länger an gläsernen Decken enden, fordern wir eine paritätische Besetzung von Leitungs- und Kontrollgremien von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften unabhängig von der Größe der Gremien und wirksame Sanktionen bei Nichtbeachtung bzw. Nichterfüllung. Eine solche wirksame Sanktion könnte in der Unwirksamkeit der Bestellung eines nicht paritätisch besetzten Gremiums bestehen.

Role Models für die Demokratie

Das Frauen*volksbegehren fordert darüber hinaus auch mehr Parität in österreichischen Parlamenten – so sind im Nationalrat zurzeit nur etwa 30 Prozent der Abgeordneten Frauen. Der Anteil von Frauen an der österreichischen Bevölkerung beträgt über 51 Prozent; dies sollte sich in einer repräsentativen Demokratie auch in den Wahllisten und Vertretungskörpern wiederspiegeln. Es geht, wie bei der Besetzung von Leitungs- und Kontrollgremien, darum, weibliche Role Models in Wirtschaft und Politik sichtbar zu machen, an denen sich junge Frauen und Männer orientieren können – und es besteht die Hoffnung, dass Führungsgremien und Parlamente im Interesser aller arbeiten, wenn diese alle besser repräsentieren.

Ausblick

Das Frauen*volksbegehren 2.0 will die Strukturen der österreichischen Gesellschaft so verändern, dass es für Frauen und Männer mehr Entfaltungschancen und mehr Möglichkeiten gibt, gleichermaßen daran teilzuhaben. Dafür muss an vielen Stellschrauben gedreht werden, aber es müssen auch einige Pflichten, Lasten, Ressourcen und Rechte umverteilt werden. Auf den ersten Blick ist es nicht immer ganz leicht zu erkennen, wie die wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen des Frauenvolksbegehrens das Leben von Frauen und Männern beeinflussen würden. Doch bei genauerem Hinsehen stehen sie alle für einen grundlegenden Abbau von Hierarchien und eine Anerkennung und Aufwertung von unterschiedlichen, von einer prototypisch-männlichen Norm abweichenden Biographiekonzepten.