EU-Kommission im Kampf gegen Steuervermeidung: Licht und Schatten

06. Juli 2015

Nationale Steuersysteme sind teils stark veraltet und in Folge des gestiegenen grenzüberschreitenden Handels, der zunehmenden Digitalisierung  oder auch der zunehmenden Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter (Patente, Lizenzen, etc.) den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Das gibt transnational tätigen Unternehmen die Möglichkeit ihre Gewinne dorthin zu verschieben, wo sie besonders niedrig oder gar nicht besteuert werden. Transnationale Unternehmen zahlen im Schnitt 30% weniger Gewinnsteuern als deren national agierende Pendants. Die EU-Kommission hat nun einen “Aktionsplan” vorgelegt.

Vorgestellt wurde der „Aktionsplan für eine fairere und effizientere Unternehmensbesteuerung in der EU“ am 17. Juni 2015. Am Vorabend wurde im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung in Brüssel eine AK-Studie präsentiert, die den erheblichen Handlungsbedarf im Kampf gegen unternehmerische Steuervermeidung und Gewinnverschiebung ganz deutlich darlegt. Hinsichtlich der Problemanalyse, die mittlerweile auch über Europa hinaus (etwa innerhalb der OECD und der G20) relativ konsensual verläuft, zeigen sich klare Überschneidungen und ein relativ stringentes Bild.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind unzureichend

Hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen bleiben jedoch nach wie vor scheinbar unüberwindbare Differenzen zwischen den Maßnahmen, wie sie von einer breiten Zivilgesellschaft und eben auch im Rahmen der AK-Studie eingefordert werden und dem von der EU-Kommission vorgetragenen Aktionsplan. Zwar finden sich auch im Aktionsplan der EU-Kommission begrüßenswerte Elemente. In den wesentlichen Fragen blieb der Aktionsplan jedoch weit hinter den Forderungen zurück.

Insgesamt erweckt der Aktionsplan den Anschein, als ziele er primär auf Vereinfachungen für international tätige Unternehmen ab. So wird etwa konstatiert, dass die fehlende Koordination bei der Unternehmensbesteuerung der Schaffung eines robusten und wettbewerbsfähigen Binnenmarkts entgegensteht, weil sie zu Rechtsunsicherheiten, erhöhtem Verwaltungsaufwand und hohen Erfüllungskosten für Unternehmen und Investoren führt. Obwohl zwar auch die eigentliche Problematik des Status Quo in der internationalen Unternehmensbesteuerung erkannt wird, nämlich die massive Schieflage zwischen der effektiven Besteuerung von multinationalen Konzernen und den meisten anderen SteuerzahlerInnen, allem voran ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und KMUs, ist der Fahrplan des Aktionsplans doch weniger darauf ausgerichtet zu allererst mehr Fairness und höhere Beiträge von Konzernen für die Budgets der Mitgliedsstaaten zu lukrieren, als vielmehr eine Kostenersparnis für transnational agierende Unternehmen herbei zu führen. Es sollen durch das unternehmerfreundliche Konzept Investitionen in den Binnenmarkt für Unternehmen effizienter werden.

GKKB ohne Konsolidierung? Am Ziel vorbei!

Und auch das „race to the bottom“, also der massive Steuerwettbewerb zwischen Mitgliedstaaten, wird im Aktionsplan zwar erkannt. Jedoch wird gerade der Steuerwettbewerb durch den Fahrplan der Kommission mit dem ersten Schritt zusätzlich befeuert. Denn das Kernelement des Aktionsplans, die Einführung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuer Bemessungsgrundlage (GKKB), soll stufenweise erfolgen. Der erste Schritt soll die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage (also einheitliche Regelungen und Vorschriften zur Berechnung der Bemessungsgrundlage) umfassen und erst ein zweiter Schritt soll – zu einem unbestimmten Zeitpunkt – auch die Konsolidierung bringen. Im Zuge der Konsolidierung sollen alle Gewinne bzw. Verluste in den Konzernteilen aller Mitgliedsstaaten zu einem EU-weiten Ergebnis verrechnet werden können und – basierend auf einer festgelegten Formel (etwa bestehend aus der Beschäftigtenzahl oder dem Umsatz im jeweiligen Land) – an die Mitgliedsstaaten zur Besteuerung verteilt werden. Welcher Gewinn wo anfällt spielt dann keine Rolle mehr.

In erster Instanz werden demnach ausschließlich für Unternehmen massive Vereinfachungen geschaffen, denn sie werden sich hierdurch unmittelbar Verwaltungsaufwand und Steuerberatungskosten sparen. Erst in einem zweiten Schritt soll schließlich auf die eigentliche Problemlage (der beliebigen Verschiebung von Gewinnen zwischen Mitgliedsstaaten) reagiert werden, der nur durch eine Konsolidierung beizukommen ist. Problematisch ist aber, dass der erste Schritt ohne den zweiten dazu führen wird, dass die steuerlichen „Angebote“ der einzelnen Mitgliedstaaten besser verglichen werden können. Es kann demnach nicht ausgeschlossen werden, dass dies die Länder dazu veranlasst ihre Steuersätze (weiter) zu senken, um Gewinne in ihr Land zu locken. Denn ohne eine Konsolidierung werden Gewinnverschiebungen immer noch eine Rolle spielen und vermutlich sogar noch weiter verschärft. Unternehmen können also immer noch Einfluss darauf nehmen, welchen Teil ihres Gewinns sie in welchem Land, und damit mit welchem Steuersatz, versteuern möchten. Es bleibt ohne der Konsolidierung bei der bestehenden Entkoppelung von Wertschöpfung und Steuerleistung.

Erst durch die Einführung der Konsolidierung werden Gewinnverschiebungen innerhalb der EU obsolet, da nunmehr der gesamte EU-Gewinn, egal aus welchem EU-Land ermittelt (und unter den Mitgliedsstaaten zur Besteuerung verteilt) werden würde. Ein Indikator der tatsächlichen Wertschöpfung würde folglich die Basis für die Besteuerung sein, nicht der strategisch manipulierbare Gewinn. Der Steuersatz bliebe weiterhin Angelegenheit der Mitgliedsstaaten. Die Steuerleistung (bzw. die Steuerbasis) wäre jedoch an die Wertschöpfung im jeweiligen Land gekoppelt.

Mindeststeuersätze und Unitary Taxation fehlen gänzlich

Aber auch in der Endausführung der GKKB würden zwei wesentliche Probleme bestehen bleiben. Erstens bliebe die Konsolidierung auf jene Konzernteile beschränkt, die sich innerhalb der EU befinden. Gewinnverschiebungen in Drittstaaten blieben immer noch wirksam und würden wahrscheinlich enorm zunehmen. Die Frage, wie sich die EU vor der Gewinnverlagerung in Drittstaaten schützen will, ist nicht geklärt. Bloß ein geschlosseneres Auftreten gegenüber Drittstaaten – wie vorgesehen – anzudenken, um etwa unisono beherrschte ausländische Unternehmen davon abzuhalten, Gewinne in kooperationsunwillige Steuerländer zu verschieben, wird nicht ausreichen. Eine „Unitary Taxation“ wäre hier als Lösung notwendig.

Zweitens ist von Seiten der Kommission kein Mindestsatz für die Gewinnbesteuerung vorgesehen. Nur mittels einer Mindestbesteuerung könnte aber der schädliche Steuerwettbewerb tatsächlich ausgehebelt werden. Selbst im Vollausbau der GKKB bliebe es den Unternehmen freigestellt, deren Produktion (bzw. Wertschöpfung) in Länder mit besonders niedrigen Sätzen zu verlagern – obgleich natürlich die Verlagerung der tatsächlichen Wertschöpfung, zumindest im Fall von Produktionsstätten u. dgl. bereits um einiges schwieriger ist, als die fiktive Verlagerung von Gewinnen, etwa durch unrealistische Transferpreise (konzerninterne Preise für Güter und Dienstleistungen). Ebenso schwierig ist die Verlagerung von Umsätzen. Ein Mindestsatz der Körperschaftssteuer (etwa in der Höhe von 30 %) würde den verbleibenden Anreiz erheblich schmälern und wäre damit die weitreichendste und vernünftigste Lösung.

Die jeweilige Ausgestaltung einer GKKB entscheidet also erheblich darüber, ob die Maßnahmen nur Vereinfachungen für die Unternehmen bringen oder auch wirksam gegen Steuervermeidung, Gewinnverlagerung und schädlichen Steuerwettbewerb sein werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die EU Kommission scheinbar nicht davon ausgeht den zweiten Schritt der Einführung durchzuringen. Dies verdeutlicht auch die Tatsache, dass sie eine Verlustverrechnung innerhalb der EU bereits im ersten Schritt ermöglichen will, obwohl sie sich im zweiten Schritt automatisch ergeben würde – die Konsolidierung bringt für Unternehmen ohnehin den Vorteil alle Verluste von Gruppenmitgliedern innerhalb der EU mit den Gewinnen gegenzurechnen. Im Vergleich zur jetzigen Situation in den meisten EU-Ländern wird die Verlustverrechnung damit erheblich ausgedehnt. Ein sehr lukratives zusätzliches Geschenk an Konzerne ohne ihnen die Möglichkeit der Gewinnverlagerung zu nehmen. Und letztlich ein vergebenes Argument gegenüber der Konzernlobby für die Einführung des zweiten Schritts der GKKB.

„Country by country reporting“ wenig ambitioniert

Aber auch abseits der GKKB bleibt der Aktionsplan der Kommission zu wenig ambitioniert. So hätte z.B. das so genannte „country by country reporting“ (CBCR) – als Transparenzmaßnahme –relativ einfach eingeführt werden können. Diese länderweise Berichterstattungspflicht für Konzerne umfasst die Offenlegung der Steuerzahlungen nach Geschäftsländern. Damit böte sie eine wesentliche (Informations-)Grundlage zum Vorgehen gegen Gewinnverschiebungen in Drittstaaten. Im Rat der Mitgliedsländer können derartige Transparenzvorschriften mit einer einfachen Mehrheit beschlossen werden. Darauf wird verzichtet. Stattdessen wird lediglich eine öffentliche Konsultation durchgeführt, ob und in welchem Umfang Unternehmen zu bestimmten steuerlichen Informationen verpflichtet werden sollen. Letztlich fließen die Ergebnisse in künftige Maßnahmen erfahrungsgemäß lediglich als Empfehlungen der Kommission ein.

Keine EU-Doppelbesteuerungsabkommen mit Drittstaaten

Hinsichtlich der Doppelbesteuerungsabkommen setzt man weiterhin auf bilaterale Verträge und will kein EU-weites Instrument schaffen. Die Problematik liegt hier darin, dass Bestimmungen, die eine doppelte Besteuerung verhindern sollen, ungewollt zu einer doppelten Nichtbesteuerung führen, wenn etwa von beiden Ländern dieselben Erträge steuerfrei gestellt werden. Multilaterale Verträge könnten diese Herausforderungen elegant lösen, wenn z.B. eine steuerliche Begünstigung, die im ersten Land besteht, in anderen Ländern nicht mehr gewährt werden darf. Zahlreiche Länder haben in ihren bilateralen Abkommen auch Verfahren zur Streitbeilegung vorgesehen. Die Kommission wird für diesen sensiblen Bereich im Jahr 2016 Vorschläge bringen, die insbesondere für Unternehmen Vereinfachung und Verkürzung der Verfahren bringen sollen. Gleichzeitig ist aber ein klares Regelwerk, das die nationalen Gesetzgebungen nicht aushebeln kann, unabdingbar.

Patent Boxen – devil in disguise

Und auch hinsichtlich des Umgangs mit Patentboxen wird im Vorschlag der Kommission kein ausreichendes Zeichen gesetzt. Der „Nexus Approach“, welcher für die begünstigte Besteuerung von Einkünften aus Patenten und Lizenzen lediglich eine Verbindung der zugrundeliegenden FuE-Aktivitäten mit dem Land, in dem eine Steuervergünstigung gewährt wird, voraussetzt, ist nicht ausreichend und viel zu schwammig formuliert, um diese Form der Steuervermeidung durch die Hintertür zu unterbinden. Zudem ist keine bindende Wirkung vorgesehen. Dabei geht von „Patent- und Lizenzboxen“ eine besondere Gefahr aus. Angesichts der öffentlichen Bedrängnis des aktuell bestehenden Steuervermeidungssystems, scheinen sich Patentboxen immer mehr zu etablieren und als Instrument für schädlichen Steuerwettbewerb benutzt zu werden. Dabei wird ein neuer Weg bzw. eine neue Begrifflichkeit geschaffen, die es ermöglicht die Systematik unter anderem Vorzeichen weiterzuführen. Es gibt auch andere Wege, Innovationen durch Forschung und Entwicklung zu fördern. Der Verdacht, es handelt sich hierbei um ein trojanisches Pferd zur Fortführung von Steuervermeidungspraktiken liegt nahe. Ein klares Zeichen der EU-Kommission wäre wünschenswert gewesen.