Erfolgsmodell überbetriebliche Ausbildung: Warum sich Investitionen lohnen – für Jugendliche und den Staat

28. Mai 2014

Die Wirtschaft klagt permanent über Fachkräftemangel. Trotzdem sinkt die Ausbildungsbereitschaft der österreichischen Betriebe seit langer Zeit. Es ist vor allem der öffentlichen Investition in die überbetriebliche Ausbildung zu verdanken, dass Jugendliche – gerade in Zeiten der Krise – eine Berufsausbildung abschließen können.

Die österreichische Lehrausbildung ist dual aufgebaut. Um berufsspezifische praktische Fertigkeiten und theoretische Fachkenntnisse bestmöglich zu vermitteln, werden die Lehrlinge an zwei Lernorten ausgebildet – in einem anerkannten Ausbildungsbetrieb und in der Berufsschule (ca. im Verhältnis 80:20). In regelmäßigen Abständen bekunden Arbeitgeberverbände öffentlichkeitswirksam ihre Sympathien für das duale Ausbildungssystem. Dem entgegenlaufend ist der Lehrstellenmarkt jedoch seit Langem durch einen deutlichen Rückgang der Ausbildungsbereitschaft gekennzeichnet. Die Zahl der Lehrverträge im ersten Lehrjahr ist allein zwischen 2008 und 2014 um ca 8.700 Lehrlinge, also fast ein Viertel (23%) zurückgegangen – trotz flächendeckender Basisförderung und zahlreicher ergänzender Förderungen für Ausbildungsbetriebe.

Der demografische Wandel und eine – nicht zuletzt aufgrund der stark schwankenden Ausbildungsqualität der Lehrbetriebe – zunehmende Präferenz der Jugendlichen und deren Eltern für vollschulische Ausbildungen haben dazu beigetragen, dass die Zahl der LehranfängerInnen kontinuierlich abnimmt. Dennoch wird es für interessierte Jugendliche immer schwieriger, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu finden.

Schon Ende der 1990er Jahre wurden angesichts der stetig steigenden Anzahl Lehrstellensuchender ohne Ausbildungsplatz erste überbetriebliche Ausbildungsangebote eingerichtet. Ziel dieser Angebote war es, die teilnehmenden Jugendlichen beim Umstieg in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis und in Folge bei der Erlangung eines Lehrabschlusses zu unterstützen.

Im Jahr 2008 wurde eine staatliche Ausbildungsgarantie für Jugendliche bis 18 Jahre geschaffen. Diese umfasst ein Bündel unterschiedlicher Angebote, die Jugendliche dabei unterstützen sollen, (schwierige) Übergänge leichter zu meistern und einen Berufsabschluss zu erlangen. Herzstück der Ausbildungsgarantie ist die überbetriebliche Lehrlingsausbildung (ÜBA), die sich an alle beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkten Lehrstellensuchenden richtet, welche ihre Schulpflicht absolviert haben und trotz Suche keinen betrieblichen Lehrplatz finden.

Das Angebot der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung (ÜBA) soll Jugendlichen entweder eine betriebliche Lehrstelle vermitteln oder ihnen im Rahmen einer ÜBA-Einrichtung eine Ausbildung zur Facharbeiterin/zum Facharbeiter ermöglichen. Ebenfalls im Rahmen der ÜBA wird auch die sogenannte Integrative Berufsausbildung (IBA) angeboten, die Jugendlichen den Zugang zu einer Teilqualifizierung oder einer verlängerten Lehrzeit eröffnet.

Überbetriebliche Ausbildung bringt dem Staat mehr Geld als sie kostet

Das österreichische Modell der dualen Ausbildung bzw. der Ausbildungsgarantie ist mittlerweile zu einem international diskutierten good practice-Beispiel avanciert. Trotz dieser Entwicklung lagen zur volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeit dieser investiven Maßnahme bislang keine detaillierteren Forschungen vor. Im Rahmen von Modellberechnungen wurde nun versucht, diese Lücke zu schließen und, basierend auf Durchschnittswerten, realistische Entwicklungsszenarien über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der österreichischen Ausbildungsgarantie in Form der überbetrieblichen Ausbildung zu zeichnen. Dabei ist vorauszuschicken, dass die Berechnungen nur jene positiven monetären Effekte abbilden, die auf Basis des gegenwärtig vorhandenen Datenmaterials ermittelt werden konnten. Obwohl sämtliche Annahmen bewusst niedrig angesetzt wurden, konnte durch diese Berechnung nachgewiesen werden, dass sich Investitionen in die Berufsausbildung – neben ihren bekannten positiven gesellschaftlichen und sozialen Effekten – auch monetär rentieren.

Basierend auf statistischem Material von Arbeitsmarktservice und Sozialministerium wurde zunächst ermittelt, wie viele Jugendliche zwischen 2014 und 2024 eine überbetriebliche Ausbildung für einen begrenzten Zeitraum besuchen oder absolvieren werden. Unter Berücksichtigung dieser empirischen Datenlage sowie individueller und arbeitsmarktbezogener Faktoren wurden die möglichen Beschäftigungswege identifiziert: Hilfstätigkeit, Facharbeit oder Arbeitslosigkeit. Aufbauend darauf wurde berechnet, welche Gesamteinkommen die ehemaligen TeilnehmerInnen oder AbsolventInnen der überbetrieblichen Ausbildung zwischen 2014 und 2024 erwirtschaften – und welche Abgabenleistungen daraus resultieren. Diese Investition hat auch direkte Beschäftigungseffekte, so arbeiten in der überbetrieblichen Ausbildung derzeit etwa 650 AusbildnerInnen und 70 Administrativkräfte (ihre Zahl wird ab 2016 etwas sinken).

Die Rückflüsse aus den gesamten Abgabenleistungen (TeilnehmerInnen/AbsolventInnen der überbetrieblichen Ausbildung plus Ausbildungskräfte) wurden den Kosten für die Ausbildungsgarantie gegenübergestellt. Das überraschend positive Ergebnis: Im Idealfall liegt die Höhe der Rückflüsse bereits nach fünf Jahren über der Höhe der Kosten. Selbst in einem pessimistischen Szenario rechnet sich die überbetriebliche Ausbildung, wenn auch erst nach sieben Jahren.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Gesellschaftliche Leistungen der ÜBA im Spiegel ihrer TeilnehmerInnen

Neben den dargestellten Rückflüssen in Form von Steuern und Abgaben gibt es eine Reihe weiterer, jedoch schwer bzw gar nicht quantifizierbarer Effekte.

  • Verringerung und Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit

Österreich hat mit 9,4% (nach Eurostat) eine vergleichsweise niedrige Jugendarbeitslosigkeit (EU-28: 23,7%). Für die Lebensrealität der Betroffenen ist diese statistische Kenngröße jedoch irrelevant: Aufgrund ihrer spezifischen Situation sind sie der Mehrfachbelastung durch unterschiedliche finanzielle, soziale und psychologische Negativfaktoren ausgesetzt.

Die Investition in ein effektives Berufsausbildungssystem, das – wie die überbetriebliche Ausbildung – möglichst keinen Jugendlichen zurück lässt, ist deshalb nicht nur als sozialpolitische Maßnahme zur Stabilisierung der Betroffenen zu verstehen, sondern vielmehr als grundlegende Präventivarbeit zur Abfederung systemisch bedingter Problematiken wie der verfestigten (Jugend-) Arbeitslosigkeit und all ihrer unerwünschten Folgen.

  • Verringerung und Vermeidung von Jugendarmut und sozialer Ausgrenzung

Jugendliche, die heute nicht adäquat auf die veränderten Anforderungen der Arbeits- und Lebenswelten vorbereitet werden, unterliegen zukünftig der Gefahr von sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Die ÜBA bietet nicht nur die Möglichkeit, eine Berufsausbildung bzw. einen Lehrabschluss zu erwerben. Sie gibt betroffenen Jugendlichen Ziele und Perspektiven und liefert damit einen maßgeblichen Beitrag zur persönlichen Stabilisierung in einer Situation oft quälender Unsicherheit.

  • Finanzielle und psychische Entlastung der betroffenen Familien

Erwerbslose Menschen sind durch ihre Situation zahlreichen Problemen und Herausforderungen unterschiedlicher Art ausgesetzt. Gerade bei jungen arbeitslosen Menschen ist auch das soziale Nahumfeld besonders in Mitleidenschaft gezogen, weil es aufgrund der spezifischen Beziehungskonstellation häufig einen Großteil der finanziellen und emotionalen Unterstützungsarbeit leistet. Die daraus resultierende finanzielle Mehrbelastung für den (oft gemeinsamen) Haushalt sowie der situativ bedingte psychische Druck (Sorgen um die Zukunftschancen der/des Jugendlichen, etc.) stellen eine Belastung für die betroffenen Jugendlichen und ihre Familien dar. Die überbetriebliche Ausbildung bietet daher nicht nur mehrfache Entlastung für junge arbeitslose Menschen, sondern auch für deren Familien.

  • Kosten des Nichthandelns

Nicht berücksichtigt wurden in den Berechnungen jene Kosten, die entstehen würden, wenn die Jugendlichen an keiner Ausbildung, wie sie die ÜBA bereitstellt, teilnehmen würden, sondern langfristige Arbeitslosigkeit die Folge wäre. Das Entstehen solcher Kosten ist unbestritten, über die Dauer einer solchen Erwerbsferne und der Höhe der Transferleistungen gibt es für Österreich allerdings keine verlässlichen Daten. Längerfristige Panelstudien europäischer Länder, wie z.B. Dänemark, belegen jedoch klar die massiven sozialen und ökonomischen Folgen verfestigter Jugendarbeitslosigkeit.

Die ÜBA – staatlicher Beitrag im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit

Die Ausbildungsgarantie gibt Jugendlichen, die am angespannten heimischen Lehrstellenmarkt keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, die Möglichkeit einen Beruf zu erlernen. So bietet sie den Betroffenen Hoffnung und Halt, verringert Jugendarbeitslosigkeit und hat einen nachhaltigen positiven Einfluss auf die Erwerbskarrieren der TeilnehmerInnen. Sie führt zu höherer Erwerbsbeteiligung und einer Steigerung der Abgabenleistung. Damit leistet sie einen Beitrag zur Finanzierung des Sozialstaats.

Mittlerweile hat sich die überbetriebliche Ausbildung zu einem eigenen Ausbildungszweig entwickelt und wirkt positiv auf die Absicherung des Wirtschaftsstandorts Österreich, der nicht zuletzt auf gut qualifizierte Fachkräfte setzt. Dass sich die ÜBA „auszahlt“, zeigen nicht zuletzt die jüngsten Berechnungen der AK: Im optimistischsten angenommenen Szenario rechnet sich die ÜBA nach fünf Jahren, im mittleren nach sechs und im pessimistischen nach sieben Jahren.

Ausbildungspflicht? – Nur bei Angebotssicherung und ausreichender Qualität!

Vergleicht man die – dank Investitionen in die ÜBA und ähnliche Angebote – relativ gute Situation am hiesigen Arbeits- und Ausbildungsmarkt mit jener in vielen europäischen Ländern, so zeigt sich, dass die Offensiv-Strategie der öffentlichen Hand erheblich zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit beigetragen hat.

In Hinblick auf die bis dato vage formulierten Pläne der österreichischen Bundesregierung, eine Ausbildungspflicht bis zum 18 Lebensjahr zu installieren, muss das Augenmerk zukünftig umso mehr auf eine leistungsstarke und qualitativ hochwertige Ausbildung gelegt werden. Eine gesetzliche Ausbildungspflicht ohne ausreichende Ausbildungsangebote in ausreichender Qualität ist nicht denkbar.

Im Interesse der Lehrlinge wäre die längst überfällige flächendeckende gesetzliche Verankerung eines professionellen Qualitätsmanagements mit verbindlichen Standards für betriebliche und überbetriebliche Ausbildungsformen. Ziel muss es sein, die Ausbildungsqualität messbar zu machen und weiter zu steigern, um die Potenziale des hiesigen Ausbildungssystems vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen und zukünftiger Standortsicherung bestmöglich zu nutzen.