Equal Pay Day: Über 82 Brücken musst du gehen?

11. Oktober 2016

Am 11. Oktober ist wieder einmal Equal Pay Day. Ab dann arbeiten Frauen statistisch gesehen bis zum Jahresende, also 82 Tage, gratis. Im EU-Durchschnitt liegt Österreich seit Jahren am unteren Ende, nur Estland hat noch schlechtere Werte. Zwar schrumpft der Gender Pay Gap (GPG), aber nur äußerst langsam und das, obwohl Maßnahmen auf verschiedensten Ebenen gesetzt werden. Eine umfassende Strategie zur Bekämpfung der Einkommensschere fehlt jedoch, sowohl in Österreich als auch in der EU. Internationale Beispiele zeigen, was getan werden könnte.

 

Einige Gründe für den Gender Pay Gap

Ursachen für die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede sind vielfältig und erklären sich zumeist aus einem Zusammenwirken verschiedener Faktoren. Diese sind sowohl im Arbeitsmarkt, als auch in der Sozial- und Familienpolitik und in der Wirtschaft der einzelnen Staaten begründet. Welches Gewicht die einzelnen Faktoren haben und wie sie ineinandergreifen, ist sehr unterschiedlich. In Österreich zum Beispiel wirkt sich die hohe Konzentration von Frauen im Niedriglohnbereich ungünstig auf die Gehälter und auch auf die Pensionen von Frauen aus.

Zu den Niedriglohnbeschäftigten zählt, wer brutto pro Stunde weniger als zwei Drittel des Medianlohns verdient. Ca. ein Viertel der erwerbstätigen Frauen zählt dazu (siehe auch den Blogbeitrag Trotz Vollzeit unter 1.500 Euro). Dazu kommt die besonders hohe Teilzeitrate von Frauen von 46%.

In Polen und in Italien wiederum ist der Gender Pay Gap eher niedrig, geht aber auch mit einer (sehr) niedrigen Beschäftigungsquote von Frauen einher. Innerhalb der EU zählt Slowenien zu den Ländern mit dem geringsten GPG – hier wirken sich eine hohe Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen gepaart mit einer langen Tradition flächendeckender Kinderbetreuung und -bildung besonders günstig aus.

Geringer Wert von Frauenarbeit

In den meisten Ländern ist die schlechtere Bewertung typischer Frauenarbeit eine zentrale Ursache für den Gender Pay Gap. Österreich zählt innerhalb der EU zu den Ländern in denen die Teilung in typisch männliche und typisch weibliche Berufe (horizontale Segregation) sehr ausgeprägt ist. Aber auch die vertikale Segregation ist mit einem Anteil von nur 12% von Frauen in Führungspositionen im EU-Durchschnitt sehr hoch.

Strategien der Arbeitsmarktpolitik, die sich mehr Frauen und Mädchen in technischen Berufen wünschen, greifen hier jedoch zu kurz, da sich die derzeitige Form der Arbeitsbewertung zumeist zu Ungunsten von Frauen auswirkt. So werden traditionell weibliche Tätigkeitsfelder wie Pflege und Betreuung trotz einer sehr hohen Verantwortung für Menschen monetär geringer eingestuft als traditionell männliche Tätigkeitsfelder, die beispielsweise das Bedienen von Maschinen inkludieren. Oder die körperliche Arbeit einer Supermarktkassiererin, die täglich mehrere Tausend Kilo an Ware bewegt, wird „übersehen“, während sie etwa bei Bauarbeitern honoriert wird.

Was erklärt den Gender Pay Gap?

Trotz vieler Gründe, die zur Entstehung des Lohngefälles beitragen, ist bei weitem nicht alles „erklärbar“. So wurde für Österreich unter Einbezug objektiver Faktoren über die Arbeitszeit hinaus (Geisberger und Glaser 2014) festgestellt: Der erklärbare  Anteil der Lohndifferenz liegt bei 38%. Das bedeutet, dass der größere Teil der Verdienstunterschiede, nämlich 62%, unerklärt bleibt. Zu den erklärbaren Faktoren zählen dabei die Bildung, Beruf, Branche, die Region des Standortes oder Größe des Unternehmens, die Art des Arbeitsvertrages und die Dauer der Firmenzugehörigkeit.

Fleckerlteppich statt Strategie

Nicht zuletzt angesichts des enormen Handlungsbedarfes, der in Österreich besteht, haben eine Vielzahl von Akteur_innen dem Gender Pay Gap den Kampf angesagt – besonders häufig rund um „einschneidende“ Tage wie dem Equal Pay Day oder dem Frauentag.

Allerdings muss in Österreich eher von einem „Fleckerlteppich“ an Kampagnen und Initiativen gesprochen werden, es fehlt eine gesamthafte, abgestimmte Strategie. Aber immerhin gibt es Ansatzpunkte zum Weiterkommen. Einige davon sollen hier vorgestellt werden – ergänzt um weiterführende Ideen, die in anderen EU-Ländern bereits umgesetzt werden.

Gesetzliche Maßnahmen zu Equal Pay

So wurde in Österreich beispielsweise 2011 das Gleichbehandlungsgesetz novelliert und durch die Gesetze für Einkommenstransparenz erweitert. Seither sind Betriebe über 150 Mitarbeiter_innen dazu verpflichtet, jährliche Einkommensberichte zu erstellen. Das ist ein wichtiger Schritt, um das hartnäckige Tabu in Österreich rund um das Thema Einkommen abzubauen.

Allerdings bräuchte es auch eine Verpflichtung, erkannte Ungleichheiten auch tatsächlich zu beheben. Wichtig wäre auch eine obligate Aufschlüsselung der Gehaltsbestandteile, wie z.B. Grundgehalt, Überzahlung und Zulagen. Schweden ist mit seinem Modell der Einkommensberichte deutlich weiter: Dort müssen bereits Betriebe ab 25 Mitarbeiter_innen Bericht legen. Aus gleichstellungspolitischem Blickwinkel besonders bedeutsam ist, dass die Betriebe auf Basis der Erhebungen Aktionspläne erstellen müssen, in denen konkrete Schritte anzugeben sind, wie die Einkommensunterschiede abgebaut werden sollen.

In Belgien wiederum, wo Betriebe ab 50 Mitarbeiter_innen Berichte vorlegen müssen, wurde ein spezifisches Klassifikationssystem für alle Berufe entwickelt, welche Betriebe dabei unterstützen soll, herauszufinden, ob ihre Arbeitsbewertung „gerecht“ ist. Zudem wurden als Begleitung zur Erstellung der Einkommensberichte, vor allem aber zur Weiterarbeit mit diesen, „BetriebsmediatorInnen“ etabliert. Es zeigte sich schlicht, dass es mit einem Aufruf, Einkommensberichte zu erstellen alleine nicht getan ist.

Tools zur Einkommensgerechtigkeit

Zusätzlich gibt es in Österreichverschiedene Tools, die mehr Transparenz für den/die Einzelne schaffen sollen. Der Gehaltsrechner des Arbeitsmarktservice (AMS) zeigt das Monats,- Jahres- und Lebenseinkommen für verschiedene Berufe. Dabei werden jeweils typisch männliche und typisch weibliche Berufsfelder einander gegenüber gestellt.

Mit dem Gehaltsrechner des Frauenministeriums lässt sich überprüfen, ob das eigene derzeitige Gehalt angemessen ist. Wie hoch die Pension voraussichtlich einmal wird, berechnet ein von der Kammer für Arbeiter und Angestellte (AK) entwickelter Pensionsrechner und berücksichtigt dabei auch individuelle Faktoren wie Elternkarenz oder Teilzeitbeschäftigung.

Wiewohl die Rechner wichtig sind, um für den/die Einzelne_n Transparenz zu schaffen, sind derartige Instrumente in ihrer Wirkung doch sehr begrenzt. Wenn sie nicht in andere unternehmenseinbeziehende Strategien eingebettet sind, setzen sie bestenfalls auf individuelles „Empowerment“.

Einige aktuelle Initiativen zu Equal Pay

Mit der länderübergreifenden Programmschiene PROGRESS hat die EU in den letzten Jahren einen Schwerpunkt auf Equal Pay gelegt. Auch in Österreich wurden bzw. werden einige PROGRESS Projekte umgesetzt.

Das Projekt Gender Pay Gap. New solutions for an old problem. Developing transnational strategies together with trade unions and gender equality units to tackle the gender pay gap konzentriert sich auf die Gender Pay Gaps im Finanz- und Versicherungssektor und im Gesundheitssektor. In Belgien, Deutschland, Estland, Kroatien, Österreich und Spanien arbeiteten Wissenschafter_innen, Gewerkschafter_innen und Gleichstellungsakteur_innen gemeinsam daran, Ursachen für die Gender Pay Gaps zu erkennen und vor allem Lösungen für deren Schließung vorzuschlagen. Projektpartner_innen in Österreich sind L&R Sozialforschung, der ÖGB sowie die Gleichbehandlungsanwaltschaft.

Der branchenspezifische Blick zeigt sehr unterschiedliche Ursachen für den Gender Pay Gap. Verkürzt gesagt handelt es sich um ein ungünstiges Zusammenwirken von Boni- und Leistungssystemen im Finanz- und Versicherungssektor, die Frauen benachteiligen. Im Gegensatz dazu liegt das Problem im Gesundheitssektor in systematischen Finanzierungsschwierigkeiten und daraus resultierend, einer Unterbewertung weiblich konnotierter Care-Tätigkeiten (siehe auch http://www.genderpaygap.eu bzw. den Beitrag auf diesen Blog: Die ewige Einkommenssschere).

Im Rahmen des Projekts Zero Gender Pay Gap (projektverantwortlich in Österreich: Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen) wurden mittels Fragebogen Mitarbeiter_innen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu ihrem Arbeitsplatz befragt – und zwar in fünf Staaten (Bulgarien, Griechenland, Italien, Österreich und Tschechien). Auch Haltungen und Meinungen in Bezug auf Frauen, Männer, bezahlte und unbezahlte Arbeit und Einkommen wurden erhoben.

Auf Grundlagen der Auswertung dieser Befragungen wurde ein Software-Tool entwickelt, das es Betrieben ermöglichen soll, ihrer eigenen Einkommensstruktur auf den Gender-Zahn  zu fühlen. KMU können so ihre Lohnpolitik durchleuchten und mögliche Ursachen von Ungleichheit zwischen Frauen und Männern evaluieren. Darüber hinaus können  Arbeitnehmer_innen überprüfen, ob sie in Bezug auf ihre Fähigkeiten und Qualifikationen fair entlohnt werden. Das Tool wird in Kürze über die Website http://zerogpg-project.eu abrufbar sein.

Das ebenfalls vom Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen koordinierte EU-Projekt Faires Einkommen – Faire Pension versucht, ein Bewusstsein für die eklatanten Unterschiede zwischen Frauen- und Männerpensionen und die Hintergründe dafür zu schaffen. Die Plakataktion in Straßenbahnen zeigt die unten stehende Abbildung. Das Sujet der unterschiedlich gefüllten Gläser wurde nach Abschluss des Projekts vom Frauenministerium als Leitbild für den Gehaltsrechner übernommen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: Netzwerk österreichischer frauen- und Mädchenberatungsstellen i.R. des PROGRESS Projekts „Faires Einkommen – Faire Pension“. Grafik: Bettina Frenzel

Das Thema der fairen Pensionen wird außerdem derzeit auch von den ÖGB Frauen in Form einer Kampagne mit dem Aufhänger gleiches Taschengeldes für Mädchen und Burschen behandelt:

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: www.ögb.at

Bewusstseinsarbeit gibt es also rund um das Thema Einkommensunterschiede – mal humorvoller, mal seriöser. Das Thema ist angekommen in Österreich. Trotzdem lassen breite Ansätze und Strategien zum Abbau der eklatanten Einkommensunterschiede noch auf sich warten.  Und auch auf EU-Ebene ist unklar, ob es nach Auslaufen von Progress eine neue Finanzierungsschiene geben wird.

Maßnahmen von Arbeitgeber_innen

In Österreich noch zum Einsatz gekommen sind Ansätze, wo ganze Regionen Schritte zum Abbau der Gehaltsschere setzen. Ein interessantes Good Practice Beispiel stammt aus Island. Dort wurden von der Bezirksverwaltung von Akureyri 2004 nicht nur die Grundgehälter genau untersucht, sondern auch Zulagen genau zu entsprechenden Tätigkeiten zugeordnet. Es zeigte sich, dass Überstunden vorwiegend an Männer ausbezahlt wurden. Also wurden sowohl Extrazahlungen als auch Überstundenzahlungen stark eingeschränkt mit einem erfreulichen Ergebnis: Die geschlechtsspezifische Lohnschere verringerte sich deutlich (Siehe: How to close the Gender Pay Gap).

Nächste Schritte in Richtung Equal Pay

Wie aber können alle Einsichten über die kurze mediale Aufmerksamkeitsspanne rund  den Equal Pay Day genutzt werden für eine langfristige breite Strategie?  Wieder einmal ist Schweden hier ein Beispiel: Dort hat sich in den letzten Jahren eine starke unabhängige Bewegung unter dem Titel “15:57” gebildet, die sich ausschließlich dem Gender Pay Gap widmet. „15:57“ steht dabei für die Uhrzeit am Equal Pay Day, aber der schwedische Frauen gratis arbeiten ).

Die „15:57“-Bewegung setzt sich aus privaten und institutionellen Frauenorganisationen, Gewerkschaften und Wissenschafter_innen zusammen und übt mittels regelmäßiger Treffen, Kampagnen, Konferenzen   Druck auf die Regierung und Unternehmen aus, damit diese etwas gegen die Einkommensunterschiede unternehmen.

Die Erfahrung der Aktivist_innen zeigt, dass das ständige „Dranbleiben“ nur an diesem einen Thema und die jährliche Verabschiedung konkreter Aktionspläne  zentral ist, damit das Thema nicht untergeht. Teil der Arbeit ist es, finanzielle Mittel zu fundraisen, damit die Arbeit nicht im Ehrenamt stattfinden muss. Angesichts der vielen Einzelprojekte in Österreich erscheint ein breiter langfristiger Zusammenschluss lohnenswert, um gemeinsam mehr Kraft im Kampf gegen die Einkommensunterschiede zu entwickeln.