Eine europäische Arbeitslosenversicherung – nur unter bestimmten Bedingungen sinnvoll!

21. Mai 2014

Angesichts der krisenhaften Entwicklung seit 2009 und des damit verbundenen Anstieges der Arbeitslosigkeit wird in der EU wieder vermehrt über die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung (EURO-ALV) diskutiert. Diese könnte dann positive wirtschaftliche Effekte haben, wenn sie klug umgesetzt wird, d. h. sie müsste die folgenden Bedingungen erfüllen: Erstens müssten mit der Einführung dieser EURO-ALV deutlich konjunkturstabilisierende Wirkungen verbunden sein, was nichts anderes bedeuten würde als ein deutlich höheres Wachstum für den EURO-Raum insgesamt. Zweitens darf diese Versicherung zu keinen permanenten Transfers von Ländern mit niedriger zu Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit führen (denn dafür sind Strukturfonds da). Und Drittens muss verhindert werden, dass die Finanzminister in Europa die Einführung einer EURO-ALV zum Anlass nehmen für weitere Einsparungen bei den Arbeitslosen und damit ein „race to the bottom“ losgetreten wird. Eine Variante, bei der diese Versicherung durch nationale ALV-Beiträge finanziert werden würde, erfüllt diese Bedingungen nicht. Werden hingegen andere Finanzierungsquellen wie beispielsweise eine Finanztransaktions-, eine Kerosin- oder eine CO2-Steuer herangezogen, so ließen sich zumindest die ersten beiden Ziele erreichen.

Unzureichende Begründung für einen Stabilisierungsmechanismus

In einer Währungsunion mit einheitlicher Geldpolitik kann die Zentralbank nur auf durchschnittliche, nicht jedoch auf länderspezifische Entwicklungen reagieren. Daher werden auf europäischer Ebene schon seit längerem zusätzliche automatische Stabilisatoren diskutiert, um Länder, die von besonderen negativen Entwicklungen (so genannten „asymmetrischen Schocks“) betroffen sind, zu unterstützen. Wie die Abbildung unten zeigt, weichen die Wachstumsraten in der Währungsunion nach wie vor stark voneinander ab. Ein europäischer Konjunkturzyklus bildet sich offensichtlich nicht heraus (Breuss 2009). Andererseits wird deutlich, dass es bis zur Krise zu einer gewissen Konvergenz kam. Im Jahr 2009 verzeichneten alle Länder negative Wachstumsraten („symmetrischer Schock“), dieser Einbruch hatte allerdings sehr ungleiche Auswirkungen, insbesondere auf die Arbeitslosigkeit. Diese Entwicklung in der Vergangenheit kann daher nur bedingt zur Begründung einer EURO-ALV herangezogen werden, weil die entscheidende Voraussetzung (d.h. Vorherrschen von asymmetrische Schocks) fehlt.

Symmetrische oder asymmetrische Schocks im Euroraum (EURO-12)?

Dekoratives Bild © A&W Blog
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 Sehr große institutionelle Unterschiede

Da für die Einführung einer EURO-ALV ein gewisses Mindestmaß an Harmoni­sierung der bestehenden Versicherungssysteme notwendig sein wird (etwa bei den Anspruchsvoraussetzungen), muss wohl oder übel auf die große Heterogenität der bestehenden Systeme hingewiesen werden. Angleichungsschritte drohen dadurch extrem schwierig zu werden. Spanien gab etwa 2011 2,79% des BIP für Arbeitslosenunterstützung aus, die Slowakei 0,28% (OECD 2013). Die Nettoersatzquote liegt in Slowenien bei 0,75%, in Irland hingegen bei 0,35%. Die Mindestversicherungszeiten zum Erwerb eines Arbeitslosenversicherungsanspruches betragen in Frankreich 4 Monate in einem Referenzzeitraum von 28 Monaten, in den Niederlanden 6 Monate im Zeitraum von 8 Monaten. Die maximale Bezugsdauer von Arbeitslosengeld, die in vielen Ländern vom Alter und der Vorkarriere abhängt, beträgt in Belgien 47 Monate, in der Slowakei 6 Monate.

Bisherige Beiträge zu einer EURO-ALV

Sebastian Dullien (2007, 2008, 2012, 2013) hat mehrere Vorschläge zur Finanzierung von Kurzzeitarbeitslosigkeit über eine EURO-ALV gemacht. Er kommt zu maximalen Stabilisierungseffekten von 1/3 des Abschwunges, Länder mit niedriger Arbeitslosigkeit, wie Deutschland und die Niederlande, wären dabei jedoch beinahe in allen Jahren Nettozahler. Ein wesentlicher Nachteil dieser Überlegungen ist darin zu sehen, dass es sich nur um einfache Überschlagskalkulationen handelt.

DIW-Studie schätzt die Effekte

Bisher erstmalig, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, 2014) die makro- und mikroökonomischen Wirkungen einer EURO-ALV mit Hilfe von Modellen (NiGEM, EUROMOD) berechnet. Es wurden verschiedene Varianten in einer Ex-post-Simulation (1999-2012) betrachtet, auf zwei wird nachfolgend eingegangen:

(1) Die umfangreichste Variante (A3) geht davon aus, dass die EURO-ALV Arbeitslosigkeit bis zu 12 Monaten Dauer finanziert, mit einer Ersatzquote von 70%. Annahmegemäß finanzieren die Mitgliedstaaten darüber hinausgehende Leistungen national. Sollte das nationale Leistungsniveau jedoch niedriger sein, dann erhöht die EURO-ALV dieses Niveau. Zur Finanzierung der EURO-ALV werden 1,33% der Brutto-Lohn- und Gehaltssumme abgezogen.

(2) Eine weitere Variante nimmt einen „Top-up“ von ca. 10% des Durchschnitts-Einkommens (für Österreich etwa € 200) an, der in der Krise (schrumpfendes BIP im Vorquartal) an alle Arbeitslosen in gleicher Höhe ausbezahlt wird. Finanziert wird diese Variante durch eine Einkommenssteuer. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen; Österreich und Spanien sollen als Beispiele dienen:

a)  Österreich würde bei der Variante A3 jährlich mit ca. 0,24% des BIP (ca. € 750 Mio.) netto (Einzahlungen minus Auszahlungen) belastet, Spanien dafür mit  0,27% des BIP entlastet. Bei der „Top-up“-Variante (wie sie vom DIW gewählt wurde) liegt das Finanzierungsvolumen auf Niveaus von etwa 1/10-1/20 der Variante A3. Permanente Transfers von Ländern mit niedriger Arbeitslosigkeit und hohen Einkommen zu Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Einkommen lassen sich offensichtlich schwer verhindern. Denkbar wäre allerdings eine Art „experience rating“, bei dem jene Länder, die höhere Arbeitslosigkeit verursachen, auch höhere Beiträge zahlen müssten. In diesem Fall würden aber wohl die Stabilisierungs­effekte niedriger ausfallen.

b)  Die größten Stabilisierungswirkungen in der Variante A3 entstehen in Spanien 2009: Ein EURO-ALV hätte den Abschwung um 19% reduzieren können (siehe Abbildung 2). In Österreich wird das Wachstum über den gesamten Zeitraum leicht gebremst (ca. 0,1% des BIP). Für den EURO-Raum entstehen keine zusätzlichen Stabilisierungs- und Wachstumseffekte. Wäre bei der „Top-up“-Variante ein ähnlich hohes Finanzierungsvolumen vorgesehen und unter der Annahme, dass die Effekte proportional wirken, dann hätte in Spanien der wirtschaftliche Einbruch sogar um etwa 50% abgefedert werden können. Würde dieser Transfer über eine Vermögensabgabe, die mit geringen Entzugseffekten verbunden wäre, finanziert, dann wären die Stabilisierungswirkungen möglicherweise noch größer.

Simulierung des realen BIP in Spanien bei einer Euro-ALV 
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Euro-ALV: Ersatzquote 70%, maximale Bezugsdauer von 12 Monate

c)  Die Verteilungseffekte einer EURO-ALV wären leicht progressiv: In Österreich würden die 10% mit den niedrigsten Haushaltseinkommen mit € 2 jährlich, die obersten 10% mit € 379 belastet, entsprechend würden in Spanien die unteren Einkommensgruppen stärker entlastet als die oberen (Tabelle). Arbeitslose in Österreich würden netto ca. € 236 von einer EURO-ALV zusätzlich erhalten, das sind 1,23% ihres Haushaltseinkommens.

Entlastung der Privathaushalte in Österreich nach Einkommensgruppen

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Euro-ALV: Ersatzquote 70%, maximale Bezugsdauer von 12 Monate

Schlussfolgerung

Eine europäische Arbeitslosenversicherung macht (politisch) nur Sinn, wenn nicht nur Abgaben auf Arbeit zwischen den Mitgliedstaaten umverteilt werden. Können andere Finanzierungsvarianten gefunden werden, wie etwa Vermögenssteuern, dann könnte genauer über verschiedene Implementierungsformen, die die zusätzlichen Stabilisierungswirkungen maximieren, nachgedacht werden. Die Wahrscheinlichkeit für eine derartige sinnvolle Lösung geht jedoch angesichts der gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen gegen Null. Denn die Wirtschaftspolitik in der EU wird seit Jahrzehnten von den Finanzministern dominiert, die fixiert sind auf Defizit- und Schuldenquoten und alle sinnvollen Überlegungen einzig aus diesem Blickwinkel beurteilen.