Ein Teilkrankenstand löst keine Probleme

18. November 2015

Schwere gesundheitliche Schäden sind für die Betroffenen ein hartes Schicksal. Doch nicht nur die Erkrankten, auch deren Umfeld, die Gesellschaft und die Betriebe werden dadurch erheblich herausgefordert. Neben den medizinischen Maßnahmen stellt sich vor allem die Frage, wie man den Betroffenen die Teilhabe am Arbeitsleben wieder ermöglichen kann. Ein Konzept, welches in letzter Zeit verstärkt in der Diskussion auftaucht, ist der Teilkrankenstand (fallweise auch als „Teilzeitkrankenstand“ bezeichnet). Der folgende Beitrag wirft einen kritischen Blick auf dieses Thema und zeigt auf, welche Konzepte tatsächlich die Rückkehr von Langzeiterkrankten in die Arbeitswelt begünstigen könnten.

„Krank gemeldet“ und „Gesund geschrieben“

Die Forderung nach einem Teilkrankenstand geht oftmals einher mit einer Kritik am österreichischen System der Krankmeldung. Der Vorwurf lautet, dass Menschen, die während des Genesungsprozesses bereits wieder teilweise leistungsfähig sind, durch ein quasi bevormundendes System im Krankenstand gehalten werden. Das aktuelle System kenne nur entweder gesund oder krank, berücksichtige jedoch die feinen Abstufungen dazwischen nicht.

Bei näherer Betrachtung kann dieser Kritik jedoch nicht gefolgt werden. Der Zeitpunkt der Gesundmeldung ist nur sehr bedingt ein Indikator für den tatsächlichen Gesundheitszustand. Grundsätzlich definiert es vielmehr den Zeitpunkt, ab dem gewisse medizinisch-therapeutische Maßnahmen abgeschlossen sind bzw. eine Rückkehr an den Arbeitsplatz, aus Sicht des behandelten Arztes, wieder möglich ist. Zur Verdeutlichung einige Beispiele: Personen, welche an schweren Depressionen litten, sind bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz selten komplett geheilt. Bandscheibenleiden werden die Betroffenen möglicherweise ein Leben lang verfolgen. Ein/-e Multiple Sklerose Patient/-in kann nach dem Abklingen eines Schubes kaum als gesund bezeichnet werden. Dennoch werden sie alle arbeitsfähig gemeldet und kehren in den Betrieb zurück, sofern sie nicht schon gekündigt wurden. Das vorliegende System trifft also weniger eine strikte Abgrenzung zwischen gesund und krank, als das es vielmehr rechtliche Aspekte regelt (Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit an den Betrieb, Entgeltfortzahlungspflicht und dessen Ende usw.).

In der Praxis ermöglicht das herrschende System also durchaus eine Rückkehr an den Arbeitsplatz, selbst wenn man nicht von vollkommener Gesundheit sprechen kann. Es ist sogar möglich, dass Beschäftigte, gegen den ausdrücklichen Rat ihres Arztes, vorzeitig an den Arbeitsplatz zurückkehren oder erst gar keinen Krankenstand antreten (Präsentismus). Der Vorwurf eines zu starren Systems geht daher ins Leere.

Teilkrankenstand

In der Auseinandersetzung mit politischen und betrieblichen Akteuren/-innen sowie Vertretern/-innen der Sozialversicherung wird augenscheinlich, dass es eine Bandbreite von Interpretationsmöglichkeiten gibt, was denn nun ein Teilkrankenstand ist. Sie reicht von einem erbarmungslosen Auspressen der Restleistungsfähigkeit von Erkrankten bis hin zu finanziell unterstützten Arbeitsversuchen von Genesenen. Die Forderung nach einem Teilkrankenstand wird besonders laut von Vertretern/-innen der Arbeitgeberseite gefordert, wobei regelmäßig auf herrschende Systeme in unseren Nachbarländern verwiesen wird.

Beispielshaft sei hier das deutsche Modell der stufenweisen Wiedereingliederung herausgegriffen (auch als „Hamburger Modell“ bekannt). Hierbei fällt auf, dass der betreffende Gesetzestext (§ 74 SGB V) den Begriff „Teilkrankenstand“ nicht kennt. Vielmehr muss eine „ärztliche Feststellung“ vorliegen, dass die „bisherige Tätigkeit teilweise“ verrichtet werden kann. Es handelt sich also faktisch um eine bedingte Meldung der Arbeitsfähigkeit. Anders als der Begriff des „Teilkrankenstandes“, der tendenziell einen Zugriff auf die Arbeitskraft von Erkrankten suggeriert, geht es bei stufenweiser Wiedereingliederung um die geplante, und aus medizinischer Sicht ratsame, Rückkehr von Genesenen.

Die Begrifflichkeit scheint hier durchaus relevant. Der Zugriff auf die Arbeitskraft von Menschen, welche von Ärzten/-innen als nicht arbeitsfähig eingestuft wurden – ein „Teilkrankenstand“ – ist strikt abzulehnen. Solche Praktiken gefährden den Genesungsprozess und können Krankheitsbilder noch verschlimmern. Entsprechenden Forderungen ist somit eine klare Absage zu erteilen. Modelle der stufenweisen Wiedereingliederung bei attestierter Arbeitsfähigkeit hingegen, welche für die Betroffenen freiwillig und unter ärztlicher Begleitung passieren, erscheinen bei Einführung flankierender Maßnahmen zumindest diskussionswürdig.

Flankierende Maßnahmen sind, nach deutschem Vorbild, ein Kündigungsschutz im Krankenstand, sowie die Verpflichtung für Betriebe, eigenständig arbeitsplatzbezogene Maßnahmen für eine gute Rückkehr der Erkrankten zu setzen (Betriebliches Eingliederungsmanagement). Geänderte Arbeitsbedingungen und eine arbeitsrechtliche Absicherung der Betroffenen sind für deren Bereitschaft zur Teilnahme an Wiedereinstiegsmaßnahmen kritische Erfolgsfaktoren.

Und wo bleibt die Prävention?

Beschäftigte einer Bank die sich jährlich höherem Verkaufsdruck gegenüber sehen? Bauarbeiter/-innen, die täglich Tonnen schwerer Last händisch manipulieren? Pflegekräfte, welche steigende Anforderungen bei zeitgleichem Personalmangel abfedern müssen? Dass diese Personen am Arbeitsplatz erkranken können ist wenig überraschend. Doch was würde ihnen der stufenweise Wiedereinstieg bringen, wenn sich die belastenden Faktoren am Arbeitsplatz nicht geändert haben? Was bringt es, wenn bei vielen Unternehmen die Bereitschaft fehlt, diese Rückkehrer/-innen zu beschäftigen? Und was wird es den Betrieben bringen, wenn das Personal nach der Rückkehr wieder erkrankt? Schlussendlich wird man um die betriebliche Prävention nicht herum kommen. Und hier gibt es weiterhin erhebliche Defizite. Bevor man darüber nachdenkt Rückkehrer/-innen wieder am Arbeitsplatz einzugliedern, muss man die Arbeitsplätze entsprechend adaptieren. Arbeit muss so gestaltet sein, dass auch gesundheitlich eingeschränkte Menschen diese bis zum Regelpensionsalter durchführen können. Wenn diese Rahmenbedingung erfüllt ist, erst dann könnte ein Modell zum stufenweisen Wiedereinstieg eine sinnvolle Option sein.

Fazit

Ein Teilkrankenstand löst per se nicht das Problem der Langzeitkrankenstände. Erkrankte Menschen in den Arbeitsprozess zu bringen ist wirtschaftlich, medizinisch und moralisch verantwortungslos. Eine freiwillige stufenweise Rückkehr unter ärztlicher Begleitung und bei vollem Lohnausgleich müsste durch einen Kündigungsschutz bei Krankheit und betrieblichen Begleitmaßnahmen flankiert werden. Das eigentliche Ziel muss jedoch der Ausbau von Primärprävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren sein. Hier sind leider die Defizite, etwa in der Evaluierung psychischer Belastungen oder der Gestaltung alternsgerechter Arbeitsplätze, derzeit noch zu offensichtlich.