Die Ausgleichszulage am Prüfstand

10. Mai 2016

Das österreichische Sozialversicherungssystem trägt seinen Namen nicht nur, weil individuelle soziale Risiken auf die Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten verteilt werden, sondern auch, weil es Instrumente zur Entschärfung sozialer Notlagen enthält. Das wichtigste dieser Instrumente, die Ausgleichszulage für BezieherInnen von gesetzlichen Pensionen, wurde im Jahr 2015 vom Rechnungshof näher untersucht und es zeigt sich, dass es bei der Ausgleichszulage durchaus einen Anpassungsbedarf gibt.

Was ist die Ausgleichszulage?

Wer Anspruch auf eine Pension hat, deren Höhe unter dem gesetzlichen Richtsatz für Alleinstehende von € 882,78 und € 1.323,58 für Ehepaare liegt, erhält als Zusatzleistung die Differenz zwischen dem Betrag der Pension und dem Richtsatz. PensionistInnen haben in Österreich die Garantie, dass sie zumindest einen Betrag erhalten, mit dem die Basisbedürfnisse des Lebens abgedeckt werden können. Die Ausgleichszulage ist eine bedarfsgeprüfte Leistung: Einkommen, Unterhaltsansprüche oder Sachleistungen von Verwandten (zB mietfreies Wohnen bei den erwachsenen Kindern) werden auf die Höhe angerechnet, anders als bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung wird aber vorhandenes Vermögen wie Sparguthaben oder Autos nicht mit berücksichtigt.

Umgangssprachlich ist im Zusammenhang mit der Ausgleichszulage oft von einer „Mindestpension“ die Rede. Das ist aber falsch. Das österreichische gesetzliche Pensionssystem wird im Umlageverfahren durch Beiträge finanziert. Die Pensionshöhe berechnet sich aufgrund des Einkommens. Wer lange arbeitet und gut verdient, erhält eine höhere Pension als jemand, der/die zum Beispiel Erwerbsunterbrechungen und Teilzeitphasen im Versicherungsverlauf hat.

Die Ausgleichszulage hat den Charakter einer „Sozialhilfeleistung“ und wird daher nicht aus Beiträgen zur Pensionsversicherung finanziert. Grundsätzlich wären die Bundesländer dafür zuständig, den Aufwand für die Ausgleichszulagen zu tragen, dies ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit der Länder für das „Armenwesen“. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz enthält sogar eine entsprechende Bestimmung, die aber nie zur Anwendung kam, weil die Finanzausgleichsgesetze seit 1959, in denen regelmäßig der Bund zur Finanzierung der Aufwendungen für die Ausgleichzulagen verpflichtet wurde, sie immer überlagert haben.

AusgleichszulagenbezieherInnen sind mehrheitlich weiblich

Im Jahr 2014 (dem Jahr, das der Rechnungshof seinem Bericht zugrunde legte) betrug der Aufwand des Bundes für die Ausgleichszulagen 1,017 Milliarden EUR. Insgesamt erhielten knapp 10 % der BezieherInnen einer gesetzlichen Pension (das umfasst alle Pensionsarten, also Alters- und Invaliditätspensionen sowie Witwen/Witwer- und Waisenpensionen) eine Ausgleichszulage in der durchschnittlichen Höhe von rund 300,- EUR, darunter fast doppelt so viele Frauen wie Männer. Die Ausgleichszulage ist vom Umfang her die größte bedarfsorientierte Sozialleistung Österreichs (im Vergleich betrug der Aufwand für die bedarfsorientierte Mindestsicherung im Jahr 2013 rund 600 Millionen EUR).

 Fehlende strategische Perspektiven

Der wichtigste Kritikpunkt betrifft die fehlende Entwicklung strategischer Perspektiven für die Zukunft der Ausgleichszulage. Während in den vergangenen Jahren mehrere große Pensionsreformen durchgeführt wurden, blieb die systematische Struktur der Ausgleichszulage relativ unberührt. Die Zahl der Ausgleichszulagen war ab dem Jahr 1989 insgesamt und in den Gruppen der ArbeiterInnen und der Bauern/Bäuerinnen anteilig rückläufig, stieg aber in der – zahlenmäßig zunehmend bedeutsameren – Gruppe der Angestellten um 36 % an. In Zukunft wird durch das Pensionskontorecht das Pensionsniveau besonders für TeilzeitarbeiterInnen und für Personen mit Erwerbsunterbrechungen deutlich geringer ausfallen. Es ist also damit zu rechnen, dass die Ausgleichszulage sozialpolitisch relevant bleiben wird bzw. an Relevanz noch gewinnen wird.

Ungerechte Unterschiede im Vollzug

Die konkrete Vollziehung der Ausgleichzulagen gab dem Rechnungshof ebenfalls Anlass zu Kritik. Die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB) vollziehen inhaltlich völlig gleich gelagerte gesetzliche Regelungen im jeweils eigenen Wirkungsbereich völlig unterschiedlich:

Während zB die PVA bei einer bestehenden Lebensgemeinschaft eine pauschale Anrechnung vornimmt und so den Betrag der Ausgleichszulage quasi amtswegig herabsetzt, erfolgt das bei der SVB nicht. Die PVA nimmt solche Erhöhungen nur auf Antrag vor, die SVB tut dies automatisch. Ein weiterer, praktisch wichtiger Unterschied in der Vollziehung zeigt sich bei Erhöhungen der Ausgleichszulage – wenn zB anzurechnende Unterhaltsansprüche wegfallen. Das hat Auswirkungen auf den Gesamtbetrag; durch das strenge Antragsprinzip bei der PVA werden die geänderten Umstände erst ab dem Zeitpunkt des Antrags und nicht wie bei den Bauern bereits ab ihrem Eintreten berücksichtigt. Die „Kund/innen“ der PVA können durch diese strenge Vorgangsweise beträchtliche Teile ihrer Ausgleichszulage verlieren, weil sie keine Erhöhung beantragt haben. Das ist bei einer existenzsichernden Leistung besonders gravierend.

Teils mangelhafte inhaltliche Qualität der Bescheide

Der Rechnungshof kritisierte auch die geringe inhaltliche Qualität der Erledigungen durch die Sozialversicherungsträger. Bescheide über die Gewährung, Erhöhung oder die Rückforderung von Ausgleichszulagen sind oft verwirrend und kaum oder schlecht begründet. Das wiederum macht es häufig erforderlich, eine Leistungsklage bei den dafür zuständigen Arbeits- und Sozialgerichten einzubringen, die dann aufwändig die Sachverhalte neu erheben und oft korrigierende Entscheidungen treffen müssen.

Fazit

Existenzsichernde Leistungen tragen auch in einem entwickelten Sozialstaat wie Österreich ein Stigma der Armenfürsorge in sich, das seinen Ausdruck in den gesetzlichen und bürokratischen Maßnahmen findet, mit denen sichergestellt werden soll, dass kein „Überbezug“ oder Missbrauch eintritt – Menschen mit geringen Leistungsansprüchen sollen von der Allgemeinheit unter keinen Umständen mehr bekommen als ihnen von der Politik als absolutes Minimum zugestanden wird. Der Rechnungshof regt an vielen Stellen seines Berichts an, die Gesetzgebung und die Vollziehung der Mindestleistung „Ausgleichszulage“ zu modernisieren und damit auch für die Zukunft abzusichern – eine Anregung, die die österreichische Sozialpolitik ernst nehmen sollte.