Deutsch-Lernen in der Erwachsenenbildung: Probleme und Auswege

24. November 2014

Im öffentlichen und politischen Diskurs wird Deutsch-Lernen weitgehend identifiziert mit dem, was gemeinhin unter “Integration” verstanden wird. Die Komplexität einer multilingualen Migrationsgesellschaft wird mit der Fixierung auf den Deutscherwerb nivelliert. Förderung in der Erstsprache, soziale Inklusion und Mobilität, politische Teilhabe und Zugang zu Bildung – alles nachrangig. Wie sieht die Praxis des Deutscherwerbs in Österreich aus? Welche Rahmenbedingungen bräuchte ein emanzipatorisches Deutsch-Lernen?

 

Deutsch als Fremdsprache ≠ Deutsch als Zweitsprache

Es macht einen Unterschied, ob eine Person mit deutscher Muttersprache einen Spanischkurs besucht, um sich im Urlaub einen „tinto de verano“ auf Spanisch bestellen zu können (DAF- Deutsch als Fremdsprache), oder ob man als Person mit Migrationsgeschichte hier in Wien Deutsch als Zweitsprache (DAZ) lernt. In erstem Fall ist die soziale Positionierung nicht an die Sprachkenntnisse geknüpft, im zweiten Fall entscheidet die Kenntnis der hegemonialen Sprache Deutsch aber sehr wohl aber über Inklusionsmöglichkeiten und Aufstiegswahrscheinlichkeiten.

Die Differenzierung zwischen DAF- und DAZ ist bedeutsam und verlangt nach einem anderen, auch methodisch-didaktischem Zugang. DAZ-Kurse sind immer im Überschneidungsbereich von Integration, Bildungssystem und Arbeitsmarkt angesiedelt und bilden ein umkämpftes Lernsetting in einer sozialen Umgebung, die von mehreren Ungleichheitsachsen (Geschlecht, Klasse, Ethnizität, etc.) durchzogen ist: Eine Ebene von Ungleichheit ist unmittelbar an die Existenz der hegemonialen Sprache Deutsch gekoppelt, die als Amtssprache Macht ausübt, andere Sprachen symbolisch entwertet und Machtressourcen verteilt. Sprachpolitisch gilt es daher nicht nur Mehrsprachigkeit zu fordern und zu fördern – die Kenntnis der Erstsprache erleichtert natürlich den Erwerb der Zweitsprache –, sondern auch immer die Ungleichheitseffekte im transformatorischen Blick zu behalten, die von der Existenz ebendieser Amtssprache ausgehen. Was kann nun im Deutsch-Lernen verbessert werden?

Didaktik

Das Fachgebiet DAZ “befasst sich vornehmlich mit der Frage, wie die aus der (amtssprachlichen) Dominanz des Deutschen erwachsenden Nachteile für migrationsresultierend zwei- und mehrsprachige Kinder, Jugendliche und Erwachsene reduziert werden können” (Dirim 2013). Es geht darum, wissenschaftliche Modelle der Unterstützung und der Aneignung des Deutschen zu entwickeln: Das Ziel ist die Gleichstellung von Menschen, die Deutsch als Zweit-, Dritt- oder Viertsprache lernen, mit jenen, die Deutsch als ihre Erstsprache sprechen. Emanzipatorisches Deutsch-Lernen im Kontext der hegemonialen Amtssprache Deutsch muss bei den Interessen und Lebenswelten der MigrantInnen ansetzen und hier unterstützend wirken. Nachdem Sprache und Sprachenpolitik immer in einem umstrittenen und umkämpften politischen und kulturellen Kontext eingelassen sind und auch zur Regierung und Regulierung von Identitäten und Zugehörigkeiten benutzt werden, braucht es überdies einen rassismuskritischen Zugang und ein post-koloniales (Selbst-)Verständnis.

Entkoppelung

Dass der für den DAF-Bereich entwickelte Gemeinsame Europäische Fremdsprachenrahmen – die bekannten Stufen von A1 bis C2 – einfach auf den DAZ-Bereich übergestülpt wurde und noch dazu als Verpflichtung und Voraussetzung für den Aufenthalt in Österreich gesetzlich festgeschrieben wurden, lässt sich weder sprachwissenschaftlich noch didaktisch rechtfertigen. Es braucht eine andere Lernumgebung, abseits von Zwang und Ausweisungsandrohung: Dadurch kann die Identifikation von Integration mit dem Deutsch-Lernen aufgebrochen werden, dadurch hört der Prüfungsstress auf, sich negativ auf die Lust am Spracherwerb auszuwirken. Es frustriert auch die Lehrenden, wenn das AMS jemanden zum dritten Mal in einen A2 Kurs schickt, der/die dort nur die Zeit absitzt.

Rolle der Lehrenden

DAZ-Unterrichtende brauchen bezahlte Reflexionsräume, wo sie sich austauschen, neue Methoden ausprobieren und sich vernetzen können. Die Löhne müssen erhöht und Vorbereitungsstunden bezahlt werden. Es braucht eine professionelle Umgebung (SozialarbeiterInnen, Beratungsstellen, Magistrate, etc.), an die die Lehrenden einzelne Personen verweisen können. Das entlastet die – tendenziell burn-out-gefährdete –  Rolle der Lehrenden, die sich in ihrem Selbstverständnis als Lehrende/Coaches/BeraterInnen durchaus auch zukünftig um ein Ethos von Selbständigkeit und Autonomie gruppieren soll: Es ist allen Lehrenden wichtig, selbst über Unterrichtsmaterial, Methodik und Lern-Fortkommen bestimmen zu können.

Professionalisierung

Das Feld der Kursanbieter in der Erwachsenenbildung ist unübersichtlich und dynamisch. Manche Institute kommen und gehen, andere existieren aus reinem Profitinteresse und wieder andere beherzigen teils zwielichtige Geschäftspraktiken – auch wenn sich alle an dem Europäischen Referenzrahmen orientieren und, wenn sie zertifiziert sind, die Prüfungen (via ÖSD oder ÖIF) anbieten. Einen Überblick über angebotene Deutsch-Kurse liefert für ganz Österreich der ÖIF und für Wien die MA17 – Integration und Diversität. Es braucht hier mehr Seriosität, mehr Datenvalidität, besser ausgebildete Unterrichtende und eine Konsolidierung der Anbieterstruktur.

Die Ausbildungen der VHS Wien und die Grundlagenarbeit des Lernraums Wien bilden eine wichtige außeruniversitäre Säule, die jedoch bei weitem nicht den Bedarf an Aus- und Weiterbildungen für Bildungsträger im DaZ Bereich decken kann. Das florierende DAF/DAZ-Masterstudium der Uni Wien bildet guten Nachwuchs aus. Die Trennung in DAF und DAZ gilt es deutlicher hervorzuheben.  Und überall braucht es authentisches, erprobtes Unterrichtsmaterial, wie z.B. Zeitungen und Medienberichte, öffentliche Aushänge, Texte aus Internetseiten Österreichischer Behörden, etc.

Diversifizierung

Die Kurse von A1 bis C2 finden meist unabhängig vom Vorwissen, sozialem Hintergrund oder Arbeitsbereich der Lernenden statt und gipfeln meist in einem reinen Teaching-to-the-Test je näher der Prüfungstermin kommt. Kurse sollen zukünftig themenspezifischer sein und die Lebens- und Umwelten der Lernenden einbeziehen. Unterschiedliche und bedarfsgerecht angepasste Kursdauer und so die Möglichkeit auf unterschiedliche Lerntempi und Voraussetzungen sowie Vorkenntnisse einzugehen.  Aktuell kann in der Praxis unterschiedliche Lernfortschritte in den verschiedenen Kompetenzfeldern – Verstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben – nicht ausreichend eingegangen werden. Zusätzlich braucht es Ressourcen, um die Gruppengrößen anzupassen und mit authentischen Texten ein umfassendes Fremdsprachenwachstum zu erreichen.

Emanzipatorischer Deutscherwerb?

Ein emanzipatorischer Ansatz setzt an den Lebensumständen, Interessen und Lerntempi der MigrantInnen an und betrachtet den Spracherwerb als Ermächtigung unter ungleichen Macht- und Sprachverhältnissen. Freiwillig, niederschwellig und didaktisch auf der Höhe der Zeit müssen Kurse sein; es braucht ein ausdifferenziertes Kursangebot, eine konsolidierte Anbieterlandschaft und eine Professionalisierung der Lehrenden. Am wichtigsten ist es aber, das Deutsch-Lernen selbst vom Integrationsregime bzw. dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zu entkoppeln: Wer unter dem Damoklesschwert einer möglichen Ausweisung oder eines möglichen Verlusts des Arbeitslosengeldes die Amtssprache lernt, wird keinen positiven Zugang zum  Spracherwerb entwickeln. Im Gegenteil: der Spracherwerb wird als Repression wahrgenommen. Das vielfach praktizierte Teaching-to-the-Test stattet die Lernenden eben nicht mit den sprachlichen Grundfertigkeiten aus, die diese im Alltag und Job brauchen würden.