Der Euroraum in der Nachfragefalle

27. März 2013

Die schwache Konjunktur, die steigende Arbeitslosigkeit und deflationäre Tendenzen zeigen an, dass die Eurozone von einem starken Ausfall der Binnennachfrage betroffen ist. Das Makrokonsortium, bestehend aus IMK (Düsseldorf), OFCE (Paris) und WIFO (Wien), zeichnet in seiner jüngsten Prognose auch mittelfristig ein eher düsteres Konjunkturbild vom Euroraum, sollten die Ursachen für die krisenhafte Entwicklung nicht rasch behoben werden.

 

Die Achillesferse der Eurozone

Die fundamentalen Mängel des wirtschaftspolitischen Designs der Eurozone wurden im Zuge der Finanzkrise zum veritablen Problem: Die im Maastricht-Vertrag festgeschriebene No-bail-out Klausel (Verbot gegenseitiger Staatsfinanzierung) und eine nicht enden wollende Spekulation über Austritte und Schuldenschnitte der Krisenländer führten dazu, dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) ihrer Rolle als „Lender of Last Resort“ verweigerte, da damit zu hohe Verlustrisiken verbunden waren. So war der Grundstein dafür gelegt, was an den Finanzmärkten ab der ersten Jahreshälfte 2010 zu beobachten war: Ein sich aufschaukelnder Vertrauensverlust bei griechischen, irischen und portugiesischen Staatsanleihen, der die Renditen in solche Höhen trieb, dass eine Refinanzierung der betroffenen Länder tatsächlich unmöglich wurde.

Die Behauptung, dass Finanzmärkte zum Überschießen neigten, aber nicht gänzlich unabhängig von Fundamentaldaten seien, mag zutreffen, zielt aber am Kern des Problems (und der daraus abzuleitenden Lösung) vorbei: Nicht die Fundamentaldaten trieben die Renditen in unfinanzierbare Höhen, sondern die von selbst-erfüllenden Erwartungen charakterisierte Herdenpanik auf den Finanzmärkten, die wiederum entstand, weil die Achillesferse im wirtschaftspolitischen Design der Eurozone getroffen war. Fiskalische Austerität wurde sodann zum Leitprogramm erhoben mit dem Ziel, die öffentlichen Schulden, die im Zuge von Bankenrettungsaktionen und der Wirtschaftskrise im Allgemeinen gestiegen waren, wieder zu senken. Zusätzlich sollten Strukturreformen die Wettbewerbsfähigkeit der Länder erhöhen. Beides sollte das Vertrauen auf den Finanzmärkten wieder herstellen und in der Folge Wachstum ermöglichen. Diese Erwartung waren allerdings nicht selbst-erfüllend – im Gegenteil: Sie erfüllten sich nicht.

Nachfragedämpfung lässt Schuldenquoten weiter steigen

Wegen der angespannten Wirtschaftslage, der Nullzinsschranke, gestiegener Kreditbeschränkungen und der mangelnden Zuversicht der Haushalte und Unternehmen hatten die Sparanstrengungen stärkere negative Nachfrageeffekte als ursprünglich erwartet. Die dadurch hervorgerufenen Steuerausfälle kompensierten einen wesentlichen Teil der Einsparungen, daher wurden die Budgetziele nicht erreicht, die Lage der Staatshaushalte verschlechterte sich weiter und die betroffenen Staaten reagierten mit einer weiteren Verschärfung der Sparmaßnahmen. Gleichzeitig schlug die Fiskalpolitik auch in allen übrigen EU-Staaten einen restriktiven Kurs ein. Die synchrone Sparpolitik in der EU dämpfte die private Nachfrage dermaßen, dass das BIP des Euroraums bereits 2012 wieder schrumpfte. Gleichzeitig steigen die Arbeitslosen- und Staatsschuldenquoten bis heute weiter an. Am meisten nahm die öffentliche Verschuldung in jenen Euroländern zu, die die radikalsten Sparprogramme umsetzten.

Unter dem Titel „Strukturreformen“ wurden in den Krisenländern die Löhne teilweise stark gekürzt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Abgesehen davon, dass auch die geringe Lohndynamik in den Überschussländern der Eurozone zur Entstehung der Außenhandelsungleichgewichte beitrug, sind Lohnkürzungen neben den Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand mitverantwortlich für die signifikante Nachfragedämpfung. Darüber hinaus sind weitere wichtige Faktoren zu nennen, wenn es um die Diagnose der Wettbewerbsprobleme geht: Produkte aus Griechenland, Portugal und Spanien konkurrieren nicht primär mit deutschen Waren, sondern mit Waren aus Osteuropa und Südostasien. Der Aufstieg Chinas, die Aufnahme osteuropäischer Länder in den EU-Binnenmarkt sowie steigende Einkommen Erdöl exportierender Länder wirkten sich positiv auf die Exportnachfrage nach deutschen Maschinen aus, die Krisenländer in der Euroraumperipherie leiden hingegen unter dem steigenden Konkurrenzdruck. Eine ausschließlich preisliche Anpassung durch Senkung der Lohnstückkosten greift demnach zu kurz.

Im Basisszenario der mittelfristigen Prognose des Makrokonsortiums werden keine weiteren fiskalischen Verschärfungen, wie sie im Fiskalpakt vorgesehen sind, unterstellt, sondern damit gerechnet, dass die konjunkturelle Unangemessenheit dieser Regeln erkannt und deren Umsetzung hinausgezögert wird. Dennoch ergibt sich aufgrund der bislang verfehlten gesamteuropäischen Wirtschaftspolitik und der anhaltenden Fehldiagnose wirtschaftspolitischer Probleme ein äußerst schwaches Konjunkturbild für die kommenden Jahre: Das BIP im Euroraum wird bis 2017 mit weniger als 1% pro Jahr zunehmen. Die bereits jetzt sehr hohe Arbeitslosigkeit kann nicht reduziert werden oder steigt teilweise sogar weiter an. Die Preise werden nahezu stagnieren, was die Gefahr einer Deflationsspirale erhöht. Die Staatsschuldenquoten steigen entsprechend weiter an.

Investitionsoffensive kann Europa aus der Nachfragefalle holen

Anders als in der Fiskalpolitik wurde in der Geldpolitik ansatzweise ein Kurswechsel vollzogen: Der im September 2012 – sehr spät, aber doch – formulierten Bereitschaft der EZB, als „Lender of Last Resort“ wenn nötig einzuspringen, folgte eine signifikante Entspannung der Refinanzierungsbedingungen vieler Länder. Als problematisch werden sich allerdings die Konditionalitäten erweisen, an die das Handeln der EZB gebunden ist: In Italien etwa bestehen berechtigte Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Regierung und darüber, ob sie allfällige Bedingungen der Troika akzeptieren und grünes Licht für das Eingreifen der EZB geben könnte. Diese Zweifel erhöhen das Risiko von Panikattacken auf italienische Papiere und einer neuerlichen Abwärtsspirale selbst-erfüllender Erwartungen. Die Behauptung, die Renditen auf Staatspapiere seien aufgrund eben dieser Konditionalitäten und ihrer vermeintlich vertrauensstiftenden Wirkung gesunken, lässt sich aus den bisherigen Erfahrungen mit Austeritätsprogrammen hingegen nicht nachvollziehen.

Aus dieser Problemdiskussion und den damit verbundenen negativen Aussichten für die Eurozone ergeben sich drei zentrale wirtschaftspolitische Handlungsanleitungen:

  • Es muss eine gemeinschaftliche Haftung für Staatsanleihen eingerichtet werden, sei es in Form von Eurobonds oder in Form eines Schuldentilgungsfonds mit jeweils interner Verrechnung der einzelstaatlichen Schulden. Die gemeinschaftliche Haftung ist notwendig, damit die EZB unbeschränkt und bedingungslos eingreifen kann ohne Verlustrisiken zu unterliegen.
  • Die Fiskalpolitik muss vom Austeritätspfad abgehen und einen expansiven Kurs einschlagen. Modellsimulationen des Makrokonsortiums zeigen, dass ein Investitionsimpuls von 1% des BIP im Euroraum, finanziert von den Ländern mit Zugang zum Kapitalmarkt, gepaart mit einer Stabilisierung der Renditen auf Staatsanleihen bei 2%, nicht nur zu höherem Wachstum, sinkender Arbeitslosigkeit und einem Preisauftrieb von etwa 2% pro Jahr führen würde, sondern auch dass die Schuldenquoten der öffentlichen Haushalte – anders als im Basisszenario – sinken würden.
  • Die fiskalischen Maßnahmen müssen nachhaltig gestaltet und so angelegt sein, dass sich die Außenhandelsungleichgewichte nicht weiter verstärken bzw. sogar zurückgehen. Dies kann erstens dadurch erreicht werden, dass Investitionen nicht nur in den Krisenländern, sondern auch im übrigen Euroraum getätigt werden. Zweitens müssen die Südländer ihre Produktpalette qualitativ verbessern, um Weltmarktanteile zurückzugewinnen. Diese Maßnahmen sollen durch preisliche Verbesserungen flankiert werden. Die Lohnsetzung muss sich in allen Ländern des Euroraums an der Produktivitätsentwicklung und am Inflationsziel orientieren. Nur die Löhne (und damit die Preise) zu senken ohne industriepolitische Maßnahmen zu setzen, macht den Süden nicht wettbewerbsfähiger, sondern schlicht ärmer und steht darüber hinaus im Widerspruch zum Inflationsziel der EZB.