Der Corporate Governance Arbeitskreis und sein Kodex – wo ist die Legimitation?

29. Oktober 2013

Feiern ist angesagt! Börse und Wirtschaft jubeln über das Prinzip der freiwilligen Selbstregulierung der Kapitalmarktunternehmen: Am heutigen Austrian Equity Day 2013 wird einmal mehr die Bedeutung des – seit mehr als einem Jahrzehnt geltenden – Österreichischen Corporate Governance Kodex hochgehalten. Zu Recht…?

 

Ein Blick zurück: Die Erwartungen der Investorenwelt waren groß als im Jahr 2002 der Österreichische Corporate Governance Kodex erlassen wurde. Von mehr Transparenz, besserer Unternehmensführung und -kontrolle sowie einer Erhöhung des Shareholder Value war die Rede. Das verlockende Versprechen: Der Kodex werde modernsten internationalen und europäischen Standards entsprechen und so österreichische Aktien noch attraktiver erscheinen lassen. Ein gutes Jahrzehnt später muss festgestellt werden, dass der österreichische Finanzmarkt in einer veritablen Krise steckt: Immer mehr Unternehmen kehren der Wiener Börse den Rücken, Neuemittenten sind eine Rarität. Die Vorgänge rund um Libro, Meinl, Telekom Austria, Immofinanz oder AvW haben das Vertrauen in den Finanzplatz Wien erschüttert. Natürlich kann der fortschrittlichste Corporate Governance Kodex Verfehlungen seitens der Emittenten nicht verhindern. Doch die Philosophie, wonach die Missachtung selbstauferlegter Qualitäts- und Transparenzstandards lediglich zu begründen ist und ansonsten sanktionslos bleibt, bringt keine Weiterentwicklung. In den Jahren seines Wirkens hat der Kodex sein Image als „krallen- und zahnloser Tiger“ regelrecht einzementiert, insbesondere in den zentralen Fragen von „good governance“ wie Vorstandsvergütung und mehr Frauen an der Unternehmensspitze (Aufsichtsrat, Vorstand). Die aktuelle rechtswissenschaftliche Untersuchung „Demokratierechtliche Analyse des ÖsterreichischenCorporate Governance Kodex“ im Auftrag der Arbeiterkammer Wien zeigt jetzt zudem demokratierechtliche Missstände auf: Im Mittelpunkt stehen insbesondere die fehlende Legitimation sowie die mangelnde Repräsentativität des Arbeitskreises, der für die Erstellung und Weiterentwicklung des Kodex zuständig ist.

Der Corporate Governance Arbeitskreis als Wolkenkuckucksheim

Die Problematik beginnt bereits bei der rechtlichen Konstituierung des Arbeitskreises, der weder als privater Verein noch als staatlicher Beirat institutionalisiert ist. Dieses Konzept macht eine rechtliche Einordnung nicht möglich, der Arbeitskreis ist deshalb lediglich als eine private und damit informelle Zusammenkunft zu verstehen. So etwas wie eine illustre Stammtischrunde. Im Oktober 2013 setzt sich der Arbeitskreis aus 25 Mitgliedern und einem Vorsitzenden (davon lediglich sechs Frauen) zusammen. Nach welchen Kriterien die Auswahl der TeilnehmerInnen erfolgt, ist nicht bestimmt. Es ist zudem nicht definiert, wer darüber entscheidet. Ebenso wenig bestehen Anforderungen an die Mitglieder. Ebenfalls nicht geregelt: das Ausscheiden aus dem Arbeitskreis. Außerdem ist der Beauftragte des Bundes für Kapitalmarktentwicklung und Corporate Governance nicht gesetzlich eingerichtet. Bestellmechanismen und Aufgaben sind nicht offengelegt. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass er Vetorechte besitzt bzw. Mitglieder des Arbeitskreises aus diesem verweisen kann. Hervorzuheben ist außerdem, dass der Arbeitskreis keine Wahlen durchführt oder sich in sonstiger Weise an den demokratischen Modellen der Selbstverwaltung orientiert. Repräsentiert werden ausschließlich Wirtschaft, Börse, InvestorInnen und Unternehmen. Von Corporate Governance ebenso betroffene Personengruppen wie ArbeitnehmerInnen, oder VerbraucherInnen sind nicht vertreten. Auffallend ist die Finanzierung des Arbeitskreises: Auf der Homepage werden „unterstützende Institutionen“ genannt. Bei diesen handelt es sich primär um jene Institutionen, die auch im Gremium selbst vertreten sind.

Kodex-Erstellung: Keine Verfahrensregeln, eingeschränktes Public Posting

Kritisch zu betrachten ist zudem der Mangel an expliziten Verfahrensregelungen für die Arbeitsweise des Arbeitskreises. Die Beschlussfassungsmechanismen sind nicht bekannt. Ausgehend von den fehlenden Bestimmungen besteht überdies keinerlei Transparenz im Hinblick auf Anzahl und Kultur der Sitzungen. Auf der Homepage werden weder Tagesordnungspunkte noch überblicksartige Sitzungsprotokolle publiziert. Nicht veröffentlicht werden zudem die Abstimmungsergebnisse. Der Arbeitskreis betont jedoch, dass bei Erstellung des Kodex „besonderer Wert auf einen möglichst breiten und transparenten Diskussionsprozess unter Einbindung aller involvierten Interessensgruppen gelegt“  wurde. Hervorzuheben ist dabei die Vornahme von sogenannten „Public Postings“. Diese sollen alle Kapitalmarktteilnehmer und kapitalmarktinteressierten Personen und Institutionen einladen, Anmerkungen zu den geplanten Änderungen abzugeben. Dieses Konzept bietet allerdings nur eine eingeschränkte Partizipation. Darüber hinaus werden die Stellungnahmen nicht veröffentlicht, Minderheitenpositionen im Arbeitskreis können so nicht nachvollzogen werden.

Das Scheitern des Kodex in der Unternehmenspraxis

Den Kodex gibt es jetzt schon seit mehr als zehn Jahren, da sollten seine Empfehlungen mittlerweile in der Unternehmenspraxis angekommen sein, gelebt werden und entsprechende Wirkungen erzielen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Zahlreiche Untersuchungen der AK Wien haben gezeigt, dass die Anwendung des Corporate Governance Kodex in der Praxis verbesserungswürdig ist. Der Kodex-Report vom Oktober 2012 zeigt, dass sich noch immer nicht alle Unternehmen lückenlos daran halten und die überwiegende Mehrheit (93 Prozent) der börsennotierten Unternehmen mindestens eine der freiwilligen Empfehlung nicht befolgt. Unternehmen picken sich die Rosinen aus dem Regelwerk und wenn eine der sogenannten C-Bestimmungen nicht erfüllt wird, auch kein Problem. Denn ein Abweichen davon muss lediglich begründet werden, zieht aber keine Sanktion nach sich. Gerade in den wichtigen Säulen von guter Unternehmensführung wie Vorstandsvergütung und Diversität in der Unternehmensführung kann „soft law“ keine nennenswerten Fortschritte vorweisen:

  1. Fast die Hälfte der ATX-Unternehmen verwendet ausschließlich finanzielle Parameter als Anreizsystem bei der variablen Vergütung für den Vorstand. Dabei empfiehlt die C-Regel 27 des Kodex, dass nachhaltige, langfristige und mehrjährige Kriterien und nicht-finanzielle Paramater einbezogen werden sollen. So bleiben Anreizstrukturen unverändert und es ändert sich nichts an der Unangemessenheit der Gehälter des Top-Managements: Im Vorjahr verdiente ein ATX-Vorstand im Schnitt 1,4 Millionen Euro – um 6,5 Prozent mehr als 2011 und damit das 49-fache eines österreichischen Durchschnittsgehalts.
  2. Keine Bewegung auch in der Frage von mehr Frauen an der Unternehmensspitze: Trotz freiwilliger Selbstverpflichtung der Wirtschaft – besonders in den letzten beiden Jahren – dominiert im März 2013 in Aufsichtsrat und Vorstand in Börsenunternehmen unverändert eine männliche Übermacht. Wie der Frauen.Management.Report 2013 der AK Wien zeigt, liegt der Anteil der Frauen in den Vorstandsetagen der börsennotierten Unternehmen bei 3,3 Prozent, jener in den Aufsichtsräten bei 11,6 Prozent. In dieser Frage bleibt der Kodex einmal mehr ohne Wirkung, obwohl er sich schon seit 2009 dem Thema angenommen hat und empfiehlt die Aspekte der Diversität im Hinblick auf die Vertretung beider Geschlechter im Aufsichtsrat zu berücksichtigen. Freiwillig versteht sich und damit erfolglos. Die geringe Dynamik an der Führungsspitze bestätigt einmal mehr, dass das jahrelange lancierte Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Wie das Best Practice Beispiel Norwegen zeigt: „Gesetzgeberischer Druck wirkt.“ so EU-Vizepräsidentin Viviane Reding.

Keine private Rechtssetzung, das Gesellschaftsrecht ist Parlamentssache!

Das System der freiwilligen und sanktionslosen Selbstregulierung ist – wie die globale Wirtschafts- und Finanzkrise gezeigt hat – nicht geeignet, um Vertrauen und Qualität auf den Kapitalmärkten sicher zu stellen. Zudem hat es der Arbeitskreis in seiner jetzigen Konstellation nicht geschafft, „good governance“ in den österreichischen Unternehmen salonfähig zu machen – im Gegenteil: es wurde eher gebremst als beschleunigt.

Aufgrund der rechtlich nicht zufriedenstellenden Lage und der damit einhergehenden unzulänglichen Anwendung in der Praxis ist es dringend notwendig, dass die Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts auf Parlamentsebene erfolgt. Die zuständigen Ministerien – insbesondere das Bundesministerium für Justiz – müssen über ausreichend Ressourcen verfügen. Will der Gesetzgeber externe Ressourcen einsetzen (etwa einen Arbeitskreis), müssen diese über demokratiepolitische Mindeststandards verfügen, dazu zählen:

  • Auftrag durch den Gesetzgeber
  • klar definierte Ziele
  • klar definierte Vorgaben für Mitglieder – Einbeziehung aller betroffenen Stakeholder
  • klar definierte Rahmenbedingungen (Satzung, Rechte und Pflichten der Mitglieder, Entscheidungsstrukturen)