CETA, TTIP & Co.: Standards sind keine Zölle

29. September 2016

Zölle und unterschiedliche nationale Regulationsstandards erhöhen Handelskosten. Durch Zollsenkungen und Deregulierung werde der Handel erleichtert und nicht nur Wirtschaftswachstum, sondern auch Jobs würden geschaffen – so die Befürworter von CETA, TTIP & Co. Dabei unterscheidet sich die Wirkung von Zollsenkungen von der Reduktion nicht-tarifären Handelshemmnissen fundamental. Geht gesellschaftlicher Nutzen aus Regulierung verloren, werden neue Handelsabkommen zu einem schlechten Geschäft für die Allgemeinheit.

Traditionelle Handelsabkommen: Zollsenkungen

In der Theorie profitieren von Zöllen inländische ProduzentInnen durch weniger Konkurrenz und der Staat durch Zolleinnahmen. Demgegenüber stehen jedoch negative Folgen für KonsumentInnen durch teurere Produkte. Weil die positiven Effekte die negativen Folgen nicht ausgleichen, kommt es zu Nettowohlfahrtsverlusten.

Trotz aller Probleme dieses Zugangs in Theorie und Praxis (man denke nur an die Bedeutung von Zöllen für Entwicklungsländer) wird die prinzipielle Wirkung von Zollsenkungen durch Handelsabkommen klar. Gewinne – über niedrigere Preise (KonsumentInnen) und verbesserten Marktzugang (ProduzentInnen in Exportsektoren) – kommen vielen zu Gute, während Verluste – durch mehr Importkonkurrenz – von wenigen zu tragen sind (ProduzentInnen in Importsektoren): Gewinne sind breit gestreut, Verluste konzentriert.

Daher müssen sich VerhandlerInnen von Zollabkommen mit ProduzentInnen und deren ArbeitnehmerInnen abstimmen, um mögliche Verluste und Gewinne in Sektoren mit unterschiedlichen Export- und Importanteilen abzuwägen.

Neue Handelsabkommen: Senkung nicht-tarifärer Handelshemmnisse

Unter ‚nicht-tarifären Handelshemmnissen‘ kann man im Prinzip alle Maßnahmen und Regulierungen zusammenfassen, die keine Zölle sind, aber potentiell einen negativen Effekt auf den internationalen Handel haben können. Alle Unterschiede zwischen nationalen Standards und Regulierung können so als Kosten und Handelshemmnis angesehen werden.

Nationale Standards sind jedoch das Ergebnis eines Verhandlungsprozesses zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wie z.B. ArbeitnehmerInnen, Unternehmen, KonsumentInnen oder staatlichen Institutionen. Dabei geht es um gesamtgesellschaftliche Ziele wie z.B. den Schutz der öffentlichen Gesundheit. Durch Regulierung entsteht ein gesellschaftlicher Nutzen, dem mögliche Kosten gegenübergestellt werden müssen.

Damit ist nicht gemeint, dass aktuelle Regulierung immer optimal ist oder unveränderbar sein soll. Verhandlungsprozesse sind eher als fortlaufend zu betrachten und unterliegen wechselnden Kräfteverhältnissen zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Ohne möglichen Nutzen von Normen zu beachten, kann es bei Deregulierung mit dem Ziel internationalen Handel zu erleichtern, zu negativen Folgen für die Allgemeinheit kommen. Damit wird die Wirkung von Zollsenkungen auf den Kopf gestellt: Die Verluste der Liberalisierung sind breit gestreut, die Gewinne aber konzentrieren sich auf wenige Unternehmen.

Auch der bekannte Handelsökonom Dani Rodrik hat vor kurzem davor gewarnt, dass die Abschaffung von Barrieren für Handel und Finanzströme zum Selbstzweck einer sich verselbständigenden „Hyperglobalisierung“ wird. Er betont, dass nationale Regulierungen in erster Linie fundamentalen wirtschaftlichen und sozialen Zielen dienen. Veränderungen nationaler Regulierung bedürfen daher unbedingt demokratischer Legitimation.

VerhandlerInnen von Handelsabkommen der neuen Generation müssen daher zwingend Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigen und durch Transparenz und geeignete institutionelle Strukturen demokratische Kontrolle gewährleisten. Die in CETA oder TTIP angestrebte Regulierungskooperation entspricht diesem Maßstab aber nicht.

Was heißt das für die vorhergesagten, positiven Effekte? Das Beispiel CETA

Die EU-Kommission wirbt für den Abschluss von Freihandelsabkommen mit der Aussicht auf Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze. Es wird dabei auf die Ergebnisse aus Handelsmodellen verwiesen, die diese positiven Auswirkungen zeigen. In diesen Modellen wird jedoch Reduktion von nicht-tarifären Handelshemmnissen wie eine Zollsenkunge behandelt. Unterschiedliche Regulierung und Standards zwischen Handelspartnern werden nur als Kosten für den internationalen Handel angesehen. Entgangener Nutzen und mögliche soziale und ökologische Kosten durch Deregulierung spielen dagegen keine Rolle. Die ausgewiesenen Modellergebnisse sind daher eher als maximal zu erreichende Wirkung zu interpretieren, da negative Effekte aus Deregulierung nicht erfasst werden.

Dies gilt im Prinzip auch für die Ergebnisse einer neuen Studie zu den ökonomischen Auswirkungen von CETA basierend auf dem ÖFSE Global Trade Model. Dennoch werden hier die Schwächen  anderer Handelsmodelle vermieden. So erlaubt die nachfragebasierte Struktur des ÖFSE Modells Aussagen über Effekte von Handelsabkommen auf Beschäftigung, Löhne, Budgetdefizit und Leistungsbilanz. Zudem werden Unsicherheiten in den Modellschätzungen berücksichtigt und Schwankungsbreiten wichtiger Ergebnisse präsentiert.

Was bringt CETA für Österreich und die EU? Wenig bis nichts aber viele Unsicherheiten

Selbst Studien der EU-Kommission sehen CETA-Effekte bei lediglich 0,03% bis 0,08% (einmaliger Wachstumseffekt über Anpassungszeitraum von mindestens 10 Jahren) für die gesamte EU. Die ÖFSE-Studie zeigt sogar noch geringere ökonomische Effekte durch CETA, trotz deutlicher Reduktion der Kosten von nicht-tarifären Handelshemmnissen. Die daraus entstehenden langfristigen, einmaligen Niveaueffekte (über 10 – 20 Jahre) sind zwar für alle CETA-Mitgliedsstaaten positiv, aber sehr gering. Einige Ergebnisse im Detail:

    • BIP-Wachstum von 0,023% in der gesamten EU und 0,062% in Kanada; Österreich liegt mit 0,016% unter dem EU-Durchschnitt
    • Bilaterale Exporte steigen um 7,5% (EU), 5,1% (Kanada) und 6,6% (Österreich)
  • Beschäftigung steigt in der gesamten EU leicht um 0,018%
  • In Österreich Beschäftigungszuwachs von 450 Vollzeitstellen (0,013%)

Auch wenn es gesamtwirtschaftliche Zuwächse durch CETA gibt, entstehen gleichzeitig negative verteilungspolitische Effekte. Reallöhne von Beschäftigten mit geringeren Qualifikationen können durch CETA sinken (-0,011% in der EU und -0,0023% in Österreich), während es bei höher qualifizierten ArbeitnehmerInnen zu leichten Reallohnzuwächsen (0,018% in der EU und -0,009% in Österreich) kommen kann.

Es bleiben jedoch Unsicherheiten. Eine Analyse mit unterschiedlichen  Reduktionen von nicht-tarifären Handelshemmnissen ergibt eine Spannbreite für Beschäftigungseffekte von Null bis 600 Jobs in Österreich. Zudem sollten kurz- bis mittelfristige Anpassungskosten auf dem Arbeitsmarkt nicht übersehen werden, die je nach Studie bis zu 20% der möglichen Zugewinne ausmachen können.

Im Endergebnis ergeben sich also minimale wirtschaftliche Erträge aus CETA für die EU und Österreich, obwohl mögliche negative Effekte aus Deregulierungen nicht berücksichtigt werden. Nimmt man die Risiken für den allgemeinen Nutzen aus Regulierungen und Standards jedoch ernst, kann die bisher übliche Logik von Handelsabkommen auf den Kopf gestellt werden: Verluste aus Liberalisierung gehen zu Lasten der Allgemeinheit, Gewinne aber konzentrieren sich auf Wenige.