Verkaufte Demokratie – Wie die CETA-Privilegien für Investoren das Allgemeinwohl in Kanada und der EU bedrohen

20. Januar 2015

Mit dem  EU-Kanada-Abkommen steigt das Risiko, dass Unternehmen gegen zukünftige Regulierungen im Gemeinwohlinteresse rechtlich vorgehen, noch weiter. Grundsätzlich kann das darin enthaltene ISDS (Investor-State Dispute Settlement) Regierungen davon abhalten, Politik im öffentlichen Interesse zu verfolgen, und zwar direkt, wenn ein Konzern einen Staat verklagt, oder indirekt, wenn aus der Furcht von einer Klage neue Gesetze gar nicht erst eingeführt werden („regulatory chill“).

 

Die erste umfassende Analyse des Investitionsschutz-Kapitels im geplanten EU-Kanada-Abkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) liegt mit der Studie „Verkaufte Demokratie“, durchgeführt von Pia Eberhardt, Blair Redlin, Cecile Toubeau vor. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die den ausländischen Investoren eingeräumten Klagerechte gegen Staaten jene im nordamerikanischen NAFTA-Abkommen sogar übertreffen.

NAFTA zeigt die Gefahren der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit

NAFTA, das North American Free Trade Agreement  wurde 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko abgeschlossen und sieht im sog. Chapter Eleven Investorenschutz und ISDS vor. Die mittlerweile 20-jährige Erfahrung mit privilegierten Klagerechten für multinationale Unternehmen zwischen entwickelten Rechtsstaaten, wie USA. und Kanada, lässt Rückschlüsse auf die Klagerisiken zu, die die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten bei Abschluss des CETA-Abkommens eingehen würden.

Auf Grundlage von NAFTA wurde Kanada bereits  35-mal von Investoren verklagt.. Kanada hat bisher sechs dieser Klagen entweder verloren oder mit einem Vergleich beendet und musste Entschädigungen mit einem Gesamtwert von 121 Mio € zahlen. Hinzu kommen die Millionen Gerichts- und Anwaltskosten für die kanadischen SteuerzahlerInnen. Die Klagen betreffen eine breite Maßnahmen-Palette, wie Klagen gegen das Fracking-Moratorium, Gerichtsurteile zu Arzneimittelpatenten, Verbot giftiger Stoffe, Umweltregulierungen und Forschungsauflagen.

Dass “regulatory chill” für Kanada auch ein gewichtiges Thema ist, belegen die AutorInnen mit einem Zitat eines ehemaligen Mitarbeiters der kanadischen Regierung (Seite 5 der Studie): “Bei beinahe jeder neuen umweltpolitischen Maßnahme gab es von Kanzleien aus New York und Washington Briefe an die kanadische Regierung. […] Nahezu jede neue Initiative wurde ins Visier genommen und die meisten haben nie das Licht der Welt erblickt.”

CETA geht über NAFTA hinaus und wird damit zur Allzweckwaffe für Konzerne

Die Investitionsschutzklauseln des CETA-Vertragstextes gewähren Investoren einen besonderen Schutz bezüglich ihrer sog. „legitimen Erwartungen“.. Schiedsgerichte können bei der Erwägung, ob eine indirekte Enteignung vorliegt und staatliche Entschädigungszahlungen zu leisten sind oder nicht, die legitimen Erwartungen zum Zeitpunkt der Investitionstätigkeit berücksichtigen. Dieser Ansatz kommt quasi einem Recht der Investoren auf einen fixen regulatorischen Rahmen gleich. Unternehmen können, wenn sie sich durch neue Gesetze im Interesse des Allgemeinwohls in ihrer Geschäftstätigkeit eingeschränkt fühlen, klagen.

Kanada drohen  neueKlagen, insbesondere gegen die Finanzmarktregulierung

Das Risiko unter CETA geklagt zu werden, würde für Kanada in den Branchen Banken, Versicherungen und Holding-Unternehmen im Zusammenhang mit Finanzregulierungen enorm ansteigen. Die Finanzdienstleistungen sind für die EU-Investoren ein wichtiger Sektor, und Kanada verfügt derzeit über eine striktere Regulierung in diesem Bereich als die EU. Auch haben sich Investoren bei Finanzdienstleistungen als klagefreudig erwiesen und offensichtlich die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit für sich „entdeckt“.

In der EU drohen insbesondere Klagen im Bergbau-, Öl- und Gassektor

Für die EU sind wiederum Klagen durch kanadische Bergbau-, Öl- und Gas-Konzerne zu befürchten, die derzeit schon umstrittene Bergbauprojekte in etlichen Mitgliedstaaten planen bzw durchführen. Zweitwichtigster kanadischer Investor in der EU ist die Bergbauindustrie. Ein Drittel aller registrierten Fälle ist auf Unternehmensklagen aus diesem Industriezweig zurückzuführen, was Beweis dafür ist, dass die Industrie ihre Klagerechte aktiv nützt.

Zahlreiche US-Konzerne können mit CETA gegen EU-Regierungen klagen

40 Prozent der kanadischen Unternehmen haben US-amerikanische Muttergesellschaften. Oder anders gesagt: So gut wie jeder US-Multi hat eine Tochterfirma in Kanada. Selbst wenn in TTIP (das in Verhandlung stehende EU-USA-Freihandels- und Investitionsabkommen) keine privilegierten Klagerechte für Konzerne eingeräumt werden, könnten die US-amerikanischen Konzerne über ihre kanadischen Tochtergesellschaften die EU und ihre Mitgliedstaaten klagen. CETA ist also das „Trojanische Pferd“ für US-amerikanische Firmen, Klagen gegen das Gemeinwohlinteresse in Europa zu platzieren und hohe Schadenersatzzahlungen zu fordern.

Die HerausgeberInnen der Studie, die AK-Wien, der Gewerkschaftsverband EGÖD und zahlreiche NGOs diesseits und jenseits des Atlantiks, appellieren daher an die GesetzgeberInnen in der EU und in Kanada, den Investitionsschutz im CETA und anderen Abkommen wie TTIP strikt abzulehnen.

Download der Studie: hier

 Dieser Beitrag erschien in wirtschaftspolitik-standpunkte 4/2014. Die “standpunkte” können hier abonniert werden.