Der CETA-Beipackzettel: Was bringt die gemeinsame Erklärung?

21. Oktober 2016

Auf anhaltenden Druck der Öffentlichkeit haben die Europäische Kommission und Kanada vor der geplanten Unterzeichnung des Abkommens Ende Oktober eine gemeinsame interpretative Erklärung zu CETA vorgelegt, welche die Gemüter beruhigen soll. Was steht tatsächlich in dieser Erklärung und kann es etwas bewirken?

CETA ist nicht nur ein Handelsabkommen, sondern geht weit darüber hinaus. Problematisch – weil   sie die nationalstaatliche Souveränität maßgeblich einschränken bzw. die demokratische Rechtssetzung umgehen – sind unter anderem der Investitionsschutz und das Investor-Staat-Streitverfahren (Investor-State-Dispute-Settlement, kurz: ISDS) sowie die Bestimmungen zu  öffentliche Dienstleistungen, ArbeitnehmerInnenrechten und KonsumentInnenschutzstandards.

Um den berechtigten Bedenken Rechnung zu tragen, müsste in CETA der Investitionsschutz, mindestens aber das Investor-Staat-Streitverfahren, ersatzlos gestrichen werden, und die ArbeitnehmerInnenrechte müssten einklagbar gestaltet und verschiedenste Schutzstandards abgesichert werden, die öffentlichen Dienstleistungen vollständig herausgenommen und die Befugnisse des gemeinsamen CETA-Ausschusses eingeschränkt sowie demokratisch legitimiert werden.

Diese Anforderungen sind allesamt inhaltlicher Natur. Also geht es hier nicht um Unklarheiten oder Verständnisprobleme, die einer Interpretation bedürfen und in einer gemeinsamen interpretativen Erklärung abgehandelt werden können. Inhaltliche Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen sind im Vertrag selbst vorzunehmen. Denn eine gemeinsame Erklärung ändert nichts an den Inhalten des Abkommens selbst. Als Deklaration kann sie lediglich interpretative Hilfestellungen im Streitfall bieten. Daran ändert auch eine allfällige Rechtsverbindlichkeit nichts. Das bedeutet, dass eine interpretative Erklärung nicht das geeignete Format ist, um die massiven Bedenken gegen CETA auszuräumen.

Interpretative Erklärung als Beschwichtigung

Die gemeinsame Erklärung greift die CETA-Kritikpunkte und -Befürchtungen aus der öffentlichen Diskussion mit dem Ziel der Beschwichtigung auf. Kommissarin Malmström hat schon bei ihrem letzten Wien-Besuch ein solches Papier angekündigt, aber auch versichert, dass es keinesfalls mehr zu inhaltlichen Änderungen des Abkommens kommen wird. Man/frau wolle der europäischen Bevölkerung erklären, wie die vieldiskutierten Inhalte von CETA zu verstehen seien und ihr die Angst nehmen. Den Ankündigungen, mit dieser Erklärung „in letzter Minute das Ruder doch noch herum reißen“ zu können, fehlte somit von Anfang an jede Substanz.

Regulierungsrecht des Staates?

Ein zentraler Kritikpunkt der CETA-GegnerInnen ist, dass Schadenersatzklagen in Millionenhöhe Regierungen davon abhalten könnten, Regulierungsmaßnahmen im Interesse des Allgemeinwohls zu setzen, wenn die den Profitinteressen von Investoren entgegenstehen würden. Allein das kommt einer Machtverschiebung zu gunsten multinationaler Konzerne gleich. Die gemeinsame Erklärung vermeidet es, diese Problematik des „regulatory  chill“ anzusprechen. „Regulatory chill“ bedeutet, dass Regulierungen zwar nicht verboten werden, aber aus Sorge vor Klagen nicht mehr oder nur eingeschränkt verabschiedet werden. Statt diese Problematik aufzugreifen, weicht ihr die Erklärung tunlichst aus, indem sie wiederholt beteuert, dass Regierungen auch weiterhin regulierend ins Wirtschaftsgeschehen eingreifen können. Die durch CETA bedingte Kehrseite bleibt unbeleuchtet: dass kanadische Investoren unter Umständen mit hohen Schadenersatzansprüchen drohen und diese auch geltend machen könnten. Regierungen müssten de facto für Regulierungen an ausländische Investoren zahlen.

An anderer Stelle der Erklärung wird das souveräne Regulierungsrecht zur Erreichung von „legitimen öffentlichen Interessen“ – wie auch im CETA-Vertragstext selbst – eingeschränkt. Diese Einschränkung kommt im Zusammenwirken mit dem Investitionsschutz und dem Investor-Staat-Streitverfahren (ISDS) zustande, da es explizite Aufgabe des Schiedsgerichts ist, individuelle wirtschaftliche Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse abzuwägen. Das Tribunal nimmt im Streitfall eine wertende Entscheidung im Einzelfall vor, ob Investitionsschutzstandards verletzt wurden. Dabei obliegt es ausschließlich dem Tribunal auszulegen, was legitime öffentliche Interessen sind und wann Entschädigungszahlungen bei sogenannter indirekter Enteignung (darunter fallen  Regulierungsmaßnahmen) zu leisten sind. Freilich können Regierungen regulieren, aber diese kann die SteuerzahlerInnen viel kosten. Das aber verschweigt die gemeinsame Erklärung.

Investitionsschutz: keine Sonderrechte für ausländische Investoren

Eine Textpassage ist unorthodox und gerade deshalb wohl auch wirkungslos, jedenfalls aber unglaubwürdig. Darin heißt es: CETA wird nicht dazu führen, dass ausländische Investoren besser gestellt sind als inländische. Diese Behauptung steht in klarem Widerspruch zu den materiell rechtlichen CETA-Investitionsschutzbestimmungen wie Meistbegünstigung, faire und gerechte Behandlung sowie (indirekte) Enteignung. Schon allein das CETA-Streitverfahren vor einem Tribunal an stelle der nationalen Gerichte ist ein Privileg, das ausschließlich kanadische Unternehmen haben. Damit werden österreichische Unternehmen diskriminiert. Soll die Behauptung ernst genommen werden, müsste der Investitionsschutz ersatzlos gestrichen werden.

Das CETA-Tribunal für Investor-Staat-Streitverfahren

Die wiederholte Erklärung, dass das Tribunal unabhängig und unparteiisch sei, verändert nicht die wirklichen Gegebenheiten. Die gelisteten SchiedsrichterInnen sind nicht vergleichbar mit InhaberInnen eines nationalen Richteramts, da diese nicht in Vollzeit tätig sind. Die SchiedsrichterInnen bekommen eine geringe monatliche Entschädigung – effektiv verdienen sie aber erst an den Schiedsverfahren. Genauso können sie nach wie vor parallel in privaten Ad-hoc-Schiedsgerichten tätig sein. Auch die Asymmetrie, dass nur Investoren Klagen vor Schiedsgerichte bringen können, lässt Bedenken hinsichtlich einer möglichen Befangenheit von SchiedsrichterInnen aufkommen. Selbst die Erklärung räumt ein, dass das CETA-Tribunal noch zu wünschen übrig lässt. Es wird zwar versprochen, nach Vertragsunterzeichnung weiterführende Arbeiten an einem Leitfaden aufzunehmen, der die Unparteilichkeit der SchiedsrichterInnen gewährleisten, ihre Entlohnung und das Berufungsverfahren regeln soll. Offen bleibt aber, ob dieser dann den Ansprüchen genügen wird sowie ob und wann der Kodex verbindlich und somit Vertragsbestandteil wird.

Um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Tribunal-Entscheidungen kalkulierbar sein werden, wird in der Erklärung argumentiert, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit haben, für das Tribunal verbindliche Interpretationen zu verabschieden. So sollen Missinterpretationen vermieden oder korrigiert werden. Auch hier stellt sich die Frage, wer vorgibt, was eine Missinterpretation ist. Sind die so erzielten Vertragsabänderungen demokratisch legitimiert? Haben die nationalen Parlamente ein Mitspracherecht? Wer leitet einen solchen Prozess ein? Wie wird der gemischte CETA-Ausschuss, der für die verbindlichen Noten maßgelblich ist, gewählt?

Ist der CETA-Vertrag unterschriftsreif?

Die gemeinsame interpretative CETA-Erklärung ist zur Beruhigung der Öffentlichkeit und als Depot von noch offenen Forderungen einzelner PolitikerInnen gedacht. Sie sollte und wollte sich von Anfang an nicht ernsthaft mit der Kritik am EU-Kanada-Vertrag auseinander setzen. Was sie aber schlussendlich doch aufgezeigt hat, sind die massiven Mängel und Unklarheiten beim CETA-Tribunal und dem CETA-Ausschuss sowie Widersprüche zum Vertragstext.

Die Erklärung selbst ist viel heiße Luft, die gut inszeniert wurde, um KritikerInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und einmal mehr ist es der Kommission gelungen, von den problematischen Vertragsinhalten abzulenken, indem eine politische Debatte über den Rechtsstatus der gemeinsamen Erklärung losgetreten wurde. Dieses Manöver erinnert an die Debatte über die vorläufige Anwendung von CETA im Juli dieses Jahres, die ebenfalls von einer ernsthaften inhaltlichen Auseinandersetzung ablenken konnte.