Nach Brexit und Trump: Auf dem Weg zum Neonationalismus

21. November 2016

Nach dem BREXIT-Votum hat die Welt in diesem Jahr nun die nächste faustdicke Überraschung in der Politiklandschaft erlebt: Donald J. Trump wurde zum US-Präsidenten gewählt. Unvorhersehbar? Nur auf den ersten Blick. Eine nähere Analyse zeigt, dass es schon seit längerer Zeit zu deutlichen Verschiebungen im Politikbereich kommt. Diese Entwicklung gibt es nicht nur in den USA, sondern schon wesentlich länger in Europa, was nicht nur in der Abstimmung über BREXIT seinen Ausdruck gefunden hat.

 Überraschungen bereits bei den US-Vorwahlen

In den USA hat sich bereits bei den Vorwahlen der Wunsch der Menschen nach einem grundlegenden Wechsel in der Politik ausgedrückt. So konnte Donald Trump bei den Vorwahlen einen haushohen Sieg einfahren. Seine 11 republikanischen MitbewerberInnen ließ er weit hinter sich. Im Vorfeld wurden ihnen wesentlich größere Chancen eingeräumt als Trump. Bei den Demokraten überraschte der (meist als Unabhängiger agierende) Kandidat Bernie Sanders. Mit seinen sozialpolitischen Forderungen sowie der Einforderung von Investitionen in die US-Infrastruktur und seiner Kritik an der Freihandelspolitik konnte er 23 Vorwahlen gewinnen.

Die demokratische Gegenkandidatin Hillary Clinton hingegen musste bereits von Anfang an mit schlechten Beliebtheitswerten kämpfen. Für viele in der Bevölkerung ist sie die Verkörperung der neoliberalen Politik der letzten zwei Jahrzehnte. Ein Vorteil für Trump: Er ist zwar ebenfalls als neoliberal einzuschätzen, aber als Quereinsteiger mit politischen Entscheidungen noch nicht in Erscheinung getreten.

USA erholten sich von der Finanzkrise weit besser als die Eurozone

Dabei hat sich die USA bei der Bewältigung der Finanzkrise wesentlich besser geschlagen als die Eurozone. Das ist auch das Resultat einer neuen Studie, die die AK dazu in Auftrag gegeben hat. Demnach erholte sich die USA und Großbritannien laut Studienautor Philipp Heimberger rasch von der vom Finanzsektor ausgelösten Krise. Die Eurozone schwenkte jedoch auf einen radikalen Sparkurs um. Ein Rückfall in die Rezession und ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit war die Folge.

BIP pro Kopf (2007=100)

Dekoratives Bild © A&W Blog
BIP pro Kopf USA EZ UK © A&W Blog
Quelle: Philipp Heimberger; AMECO-Datenbank der Europäischen Kommission

Trump: Dunkle Vorahnungen bereits vor der Wahl

Dunkle Vorahnungen, dass Trump trotz einer guten Anti-Krisen-Politik in den USA als Sieger hervorgehen könnte, gab es bereits im Vorfeld der Wahlen. Bereits im Juli 2016 sagte Oscarpreisträger Michael Moore einen Sieg Trumps voraus. Einer der wesentlichsten Gründe liegt laut Moore in Trumps harter Kritik an den US-Freihandelsabkommen. So beschuldigte Trump die Clintons‘ mit dem NAFTA Handels-Abkommen die Industriestaaten der Upper Midwest (Michigan, Ohio, Pennsylvania, Wisconsin) zu zerstören. Er drohte an, einen 35%igen Strafzoll für in Mexiko produzierte Kraftfahrzeuge zu verhängen. Zudem kündigte er im Wahlkampf auch an, dass er Apple dazu zwingen werde, die iPhones in den USA statt in China zu produzieren.

Für die ArbeiterInnen in diesen als Rostgürtel bezeichneten Staaten (dort ist die Autoindustrie und die Stahlproduktion zuhause) waren diese Ankündigungen offensichtlich Balsam auf der Seele. Wisconsin ging seit 1980 durchgehend an die Demokraten, Pennsylvania seit 1992. Bei diesen Wahlen jedoch konnte Trump in allen 4 Bundesstaaten des „Rostgürtels“ einen klaren Sieg feiern.

Realeinkommensverluste für die unteren Einkommensschichten

Der Nobelpreisträger und Ökonom Joseph E. Stiglitz äußerte in einem Kommentar Mitte Oktober 2016 schwere Bedenken hinsichtlich der Reallöhne. Die Löhne verharren laut Stiglitz bei den untersten Einkommensschichten auf dem Stand von vor 60 Jahren. Das BIP hat sich jedoch in dieser Zeit versechsfacht. Hauptprofiteure waren SpitzenverdienerInnen, die wiederholt in den Genuss von Steuersenkungen kamen. Trumps Aussagen über den schlechten Zustand der Wirtschaft stoßen daher bei vielen in der Bevölkerung auf offene Ohren.

Auch das um die Inflation korrigierte Medianeinkommen der Familien ist laut dem renommierten Ökonomen Robert Reich in den letzten 16 Jahren gesunken. Alarmierend und vermutlich einer der wesentlichen Gründe für die Realeinkommensverluste ist zudem, dass der Organisationsgrad der Gewerkschaften laut Reich seit der Amtszeit von Bill Clinton (1993 – 2001) bis heute von 22% auf nur noch 12% gefallen ist.

Zwar zeigen Wahlanalysen, dass die Mehrheit der BezieherInnen von unter 30.000 US-Dollar pro Jahr nach wie vor mehrheitlich für die demokratische Kandidatin gestimmt hat. Im Vergleich zur letzten Wahl im Jahr 2012 haben die Demokraten jedoch starke Stimmenverluste erlitten:  Mit 53% stimmten 10% weniger Menschen in dieser Einkommenskategorie für die Demokraten. Die Republikaner erhielten bei dieser Wählerschicht mit 41% um 6% deutlich mehr Zuspruch als bei der vergangenen Wahl.

Parallelen zur EU-Politik

Gerade beim Wahlverhalten fallen Ähnlichkeiten zwischen den US-Wahlen und der Abstimmung über BREXIT auf: Denn für den Austritt aus der EU haben in Großbritannien vor allem Regionen mit ArbeiterInnen gestimmt, die in der unteren Mittelklasse leben. Für einen Verbleib sprach sich die Finanzmetropole London aus, in denen es einen hohen Anteil gut verdienender Personen gibt. Die Einkommenssituation hat sich für rund die Hälfte der Beschäftigten in Großbritannien in den letzten 15 Jahren verschlechtert. So war in den letzten sieben Jahren in der Gruppe der Selbständigen ein Einkommensrückgang von 22% zu beobachten. Auch die Armut ist stark gewachsen und liegt im Vereinigten Königreich nun bei 15 Millionen Menschen.

Der Populismus, der sich mit Trump nun auch in den USA etabliert hat, ist auf Ebene der Europäischen Union nicht neu: RechtspopulistInnen sind in der EU bereits seit Jahren auf dem Vormarsch. In Polen und Ungarn stellen sie den Premierminister, weitere Länder könnten schon bald folgen. Im Zuge von BREXIT wiederum war die rechtspopulistische UKIP-Bewegung maßgeblich an der Propaganda für den EU-Austritt Großbritanniens beteiligt.

Postfaktisches Zeitalter – die Wahrheit zählt nicht mehr

Es ist nicht nur im Fall von Trump zu beobachten: Populistische Gruppierungen bedienen sich systematisch einer Politik, bei der Fakten keine Rolle spielen. Tatsachen werden verwässert, oftmals wird gleich zu Lügen gegriffen. Das Hauptziel besteht darin, Wertvorstellungen, Vorurteile und Klischees der Zielgruppen zu bestätigen. Durch die Etablierung der sozialen Medien hat sich diese Methode rasch weiterentwickelt und verbreitet. Anonyme Postings in Internetforen stehen nun auf gleicher Stufe wie Beiträge der Süddeutschen oder der New York Times. Unwahre Sachverhalte durch Darstellung von Fakten auszuhebeln, ist nur schwer möglich: Bis die Fakten nachrecherchiert und veröffentlicht sind, ist der ursprüngliche Artikel bereits vielfach geteilt und weiterverbreitet. Eine Korrektur des Erstbeitrags hat kaum einen Nutzen: Denn längst sind die erfundenen Behauptungen in den Hinterköpfen der Zielgruppe als Faktum abgespeichert. Zudem gibt es in der Zwischenzeit eine Flut von neuen, teils wiederum unwahren Texten, die den Ursprungsbeitrag überlagern.

Diese Taktik dürfte einen wesentlichen Beitrag zu Trumps Sieg geliefert haben. Erwähnt sei nur die Ankündigung des den Republikanern nahe stehenden FBI-Chefs Comey unmittelbar vor dem Ende des Wahlkampfs: Das FBI hätte Ermittlungen aufgrund behaupteter neuer Anhaltspunkte in der „Email-Affäre“ von Hillary Clinton aufgenommen. Die Umfragewerte für Clinton verschlechterten sich daraufhin rapide. Die Entwarnung Comeys‘ zwei Tage vor der Wahl, dass es doch keine neuen Belege in der Causa gebe, half nichts mehr: Längst hatten sich die neuen Vorwürfe gegen Clinton in den Weiten des Internets herumgesprochen, die Entkräftung spielte hingegen keine Rolle mehr.

Kippen die USA und Europa vom Neoliberalismus in den Neonationalismus?

Länder wie beispielsweise Frankreich könnten schon in naher Zukunft nach rechts kippen. Selbst wenn RechtspopulistInnen nicht in der Regierung vertreten sind, steigt ihr Einfluss. Denn in den letzten Jahren haben viele dieser Gruppierungen den Einzug in die Parlamente geschafft. In Deutschland dürfte die rechtsgerichtete Alternative für Deutschland nach den Wahlen 2017 erstmals im Bundestag vertreten sein.

Obwohl oftmals selbst neoliberal, profitierten rechtspopulistische Parteien zuletzt besonders von den neoliberalen Maßnahmen im Zuge der Finanzkrise. WählerInnen sind von traditionellen Parteien enttäuscht. Viele suchen nach Alternativen wie unter anderem der Soziologe Heinz Bude meint. Teils weil die bisher gewählten Parteien selbst neoliberale Maßnahmen umgesetzt haben; Teils weil die politischen Gruppierungen an neoliberaler Politik zwar nicht mitgewirkt, die Menschen jedoch eine andere Wahrnehmung darüber gewonnen haben.

Mit den Wahlen 2017 in Deutschland und Frankreich ist ein politisches Erdbeben auf Ebene der Europäischen Union zu erwarten. Nach den Umfragen ist nicht auszuschließen, dass in Frankreich RechtspopulistInnen die Regierung stellen könnten. Zusammen mit Ungarn und Polen hätten diese populistischen Parteien im Europäischen Rat einen Stimmenanteil von mehr als 20%. Sollte Italien bereits 2017 Wahlen abhalten und die PopulistInnen unter Grillo gewinnen, würde sich dieser Anteil sogar auf rund 30% erhöhen.

Der Rhetorik einiger VertreterInnen dieser Gruppierungen nach zu schließen, ist eine Rückkehr in längst überwunden geglaubte Zeiten möglich: Das Erstarken eines Neonationalismus, der letztendlich sogar zu einem Zerfall der Europäischen Union führen könnte. Marine Le Pen von der französischen Front National hat wiederholt erklärt, dass sie einen Austritt Frankreichs aus der EU anstrebe. Auch in anderen EU-Ländern wie in den Niederlanden und Italien werden immer wieder ähnliche Stimmen aus dem rechtspopulistischen Lager laut. Bereits die kommenden Monate könnten darüber entscheiden, in welche Zukunft Europa geht.