Atomstrom – billige Alternative oder teures Subventionsobjekt?

13. August 2014

Unter dem Titel „Strommarktreform“ will die britische Regierung die Entkarbonisierung des Elektrizitätssektors, leistbare Stromversorgung und Versorgungssicherung bis 2050 erreichen. Wichtiger Baustein hierfür ist die Förderung von Investitionen in Atomkraftwerke der neuen Generation. Konkret plant die britische Regierung Strom aus dem geplanten AKW Hinkley Point C mit einem hohen, fixen Einspeisetarif zu vergüten. Die EU-Kommission prüft nun ob dieses Vorhaben mit dem EU-Beihilferecht kompatibel ist.

 

Das „Nukleare Weißbuch 2008“ der britischen Regierung hält fest, dass das Ziel der Entkarbonisierung und Versorgungssicherheit Investitionen in Atomkraftwerke erforderlich macht, und wird als Schlüsselelement der neuen britischen Energiepolitik gesehen. Im Zuge dessen begannen in einem offenen Bieterverfahren Verhandlungen mit der NNB Generation Company Limited, welche seit seit zu 100% im Eigentum der Electricité de France  steht.

Atomkraftwerk Hinkley Point C – Die Beihilfenkaskade

Das geplante Atomkraftwerk Hinkley Point C soll in der Nähe der bereits bestehenden zwei Atomkraftwerke Hinkley Point A und B gebaut werden. Die neue Technologie, die zur Anwendung kommen soll,  nennt sich „European Pressurised Reactor“ (EPS) und wurde von Framatome (jetzt Areva NP), EDF und Siemens konzipiert. Die beiden Reaktoren von Hinkley Point C sollen 3,2 GWh bzw 26 TWh pro Jahr Strom produzieren, das sind rund 7% der für 2020 geschätzten Nachfrage in Großbritannien. Die Betriebsdauer eines EPS wird auf 60 Jahre geschätzt. Bis dato wurde kein EPS in Betrieb genommen. Zwei Kraftwerke befinden sich seit 2005 bzw 2007 in Bau (in Finnland und Frankreich) – beide sind mit Bauverzögerungen und Kostenexplosion konfrontiert.

Als Gegenleistung für die Investition in das Atomkraftwerk Hinkley Point C plant Großbritannien zwei Subventionsmaßnahmen:

Einerseits einen fixen Einspeisetarif in Form des sogenannten „strike price“. Der „strike price“ ist ein im Vorhinein festgelegter Abnahmepreis in der Höhe von 92,5 ₤ (rund 114 €) pro MWh. – Zum Vergleich: Energie aus neuen Windstromanlagen wird 2014 in Österreich mit 94,5 € je MWh vergütet. Die Vergütung für Energie aus neuen Photovoltaikanlagen liegt mit 125 € je KWh derzeit noch etwas höher, sie sinkt aber kontinuierlich. Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des geplanten Atomkraftwerks, die Vergütung für erneuerbare Energie deutlich unter dem Abnahmepreis des Atomstroms aus Hinkley Point C liegen wird. Dieser Abnahmepreis wurde anhand verschiedener Parameter im Rahmen von Verhandlungen mit EDF festgelegt und entspricht einer Rendite von 9,75-10,25%. Der Preis ist ab Vertragsabschluss am Verbraucherpreisindex indexiert. Liegt der Börsenpreis darüber, so wird der Mehrbetrag an den britischen Staat abgeführt, liegt der Marktpreis darunter, so bezahlt der Staat die Differenz. Darüber hinaus ist die maximale Abnahmemenge gedeckelt. Produziert Hinkley Point mehr Strom, so unterfällt dieser nicht der Preisgarantie. Die Vereinbarung ist im „Contract for Difference“ festgelegt. Der Vertrag wurde zwischen dem britischen Staatssekretär als Vertreter von Großbritannien und EDF abgeschlossen und beschert dem Unternehmen für 35 Jahre Einnahmen unabhängig von Strompreisschwankungen.

Zusätzlich plant das britische Finanzministerium die Einräumung einer Kreditgarantie für die Finanzierung des Projektes.

Großbritannien begründet die Notwendigkeit für dieses aus 35 Jahre ausgelegte Subventionsregime damit, dass das Atomkraftwerk mit der Beihilfe früher fertiggestellt wird als ohne Beihilfe; dass es für die Versorgungssicherheit notwendig ist; dass es Reservekapazitäten sichern soll; und schließlich, dass es einen wichtigen Beitrag im Zuge der EU 20-20-20-Strategie leistet, indem es zur Entkarbonisierung des Stromversorgung beiträgt, also „sauberen“ Strom liefert. Daraus ergibt sich für Großbritannien aber auch, dass Hinkley Point Daseinsvorsorgeaufgaben erfüllt. Der auf 35 Jahre garantierte Fixpreis sei keine Beihilfe sondern nur das angemessene Entgelt für die Erfüllung dieser Aufgaben. Dennoch wurde das Projekt bei der EU-Kommission zwecks beihilfenrechtlicher Prüfung notifiziert. Eine Reihe anderer Länder, die ähnliche Vorhaben in der Warteschleife haben, wie zB Polen, warten gespannt auf den Ausgang dieser Prüfung.

Paukenschlag: Die Verfahrenseröffnung durch die EU-Kommission

Am 18.12.2013 teilte die EU-Kommission der britischen Regierung mit, dass sie aufgrund schwerer Bedenken gegen die beihilfenrechtliche Vereinbarkeit mit Art 107 AEUV das Prüfverfahren eröffnet. Im Zuge dessen werden interessierte Dritte und die anderen Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Kommentare zu dem Projekt abzugeben.

Die EU-Kommission stellt dabei zunächst in Zweifel, dass Daseinsvorsorgeverpflichtungen durch das Atomkraftwerk erfüllt werden können, da es frühestens 2023 in Betrieb genommen wird. Auch ist sie der Ansicht, dass durch die Zusage eines fixen Abnahmepreises für 35 Jahre eine Überkompensation für die behaupteten Daseinsvorsorgeaufgaben nicht ausgeschlossen werden kann. Schließlich stellt sie in Frage, dass der Betreiber überhaupt mit derartigen Aufgaben betraut wurde, da ein entsprechender Betrauungsakt fehlt.

Bei der Beurteilung nach Art 107 AEUV bringt die EU-Kommission ihre Befürchtung zum Ausdruck, dass es durch die Förderung eines derartigen Projektes zu einer Verdrängung innovativerer und umweltfreundlicherer Projekt, insbesondere solcher, die sich erneuerbare Energien zu Nutze machen, kommt. Auch das Entkarbonisierungsargument stellt sie in Zweifel, da Hinkley Point zur Entkarbonisierung der englischen Stromversorgung nur einen geringen Beitrag leisten wird.

Was die wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen für eine Vereinbarkeit des Projekts mit dem AEUV betrifft, so bedarf es einerseits des Nachweises für ein Marktversagen, das durch vorübergehende staatliche Maßnahmen beseitigt werden soll, andererseits muss das Verursacherprinzip eingehalten werden. Letzteres bezweckt, dass Umweltschäden nicht durch Beihilfen sozialisiert werden dürfen, sondern vom Verursacher zu tragen sind. Schließlich soll die Beihilfe einen Anreizeffekt haben, also die Betreiber des Atomkraftwerkes dazu motivieren, einen Mehrwert – neben der Erzeugung von Strom – zu erbringen. Und die Beihilfe muss proportional und angemessen sein, darf also nicht zu einer Überkompensation oder einer übermäßigen Belastung der StromverbraucherInnen oder SteuerzahlerInnen führen. Gerade bezüglich des EndverbraucherInnenpreises befürchtet die EU-Kommission aber überhöhte Preise. Die EU-Kommission kommt daher bei Prüfung dieser Wettbewerbsaspekte zu dem Ergebnis, dass der „Contract for Difference“ nicht mit Art 107 AEUV vereinbar ist.

Bedenken der AK

Die AK hat zu der Verfahrenseröffnung eine Stellungnahme abgegeben. Sie brachte unter anderem vor, dass Atomkraftwerke hinsichtlich der Versorgungssicherheit keine Vorteile gegenüber anderen, umweltfreundlicheren Energieträgern bieten: Die Importabhängigkeit der EU-27 bei Uranerzen liegt bei fast 100%. Durch den hohen Bedarf an Kühlwasser sind Kernraftwerke sehr empfindlich gegenüber einem Temperaturanstieg. Bei Hitzewellen hat sich gezeigt, dass Kernkraftwerke gerade dann, wenn der Strombedarf besonders hoch ist (Betrieb von Klimageräten), vom Netz genommen werden mussten. Insofern kann ein Atomkraftwerk einen Daseinsvorsorgeauftrag im Sinne der Gewährleistung von Versorgungssicherheit nicht erfüllen. Vielmehr übt Hinkley Point C eine normale wirtschaftliche Tätigkeit, nämlich Erzeugung von Strom, aus und steht dabei in Konkurrenz mit allen anderen britischen Atomkraftwerken, die ohne garantierten Abnahmepreis Strom erzeugen. Es erfüllt somit keine Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse.

Darüber hinaus fällt die Gesamtumweltbilanz der Nuklearenergie negativ aus. Gemäß den EU-Leitlinien für Umweltschutzbeihilfen ist eine Maßnahme dann mit dem Beihilfenrecht vereinbar, wenn mit ihr die Gefahr einer Beeinträchtigung der Umwelt vermindert wird. Den Einsparungen von Treibhausgasen stehen jedoch ungleich höhere negative ökonomische und ökologische Effekte gegenüber.Bei der Kernenergie handelt es sich um eine Technologie, die letztlich nicht kontrollierbar ist. Die enormen potentiellen Schadensfolgen aus dem Betrieb von Kernkraftwerken sind keineswegs vergleichbar mit möglichen Schäden aus dem Einsatz erneuerbarer Energieträger. Somit ist der erforderliche Anreizeffekt nicht gegeben.

Betriebsbeihilfen wie im Contract for Difference vorgesehen sind nur zulässig, wenn vorübergehend ein Marktversagen vorliegt, das der Wirtschaftlichkeit von Projekten und/oder Technologien im Wege steht. Betriebsbeihilfen für noch nicht ausgereifte Technologien, wie erneuerbare Energieträger, dürfen nur zeitlich befristet gewährt werden. Sämtliche sonstige Beihilfen müssen entsprechend mitberücksichtigt werden. Derzeit werden insbesondere bei der Erzeugung von Nuklearenergie die externen Kosten (entsprechende Haftungsregelungen, Kosten und Folgekosten der Endlagerung, Stilllegungskosten, Kosten und Folgekosten bei Unfällen mit Freisetzung radioaktiver Strahlung sowie die Gefahr von terroristischen Anschlägen, Katastrophenvorsorge) praktisch nicht internalisiert und nicht im Preis berücksichtigt, sondern sozialisiert und auf zukünftige Generationen übertragen.

Der Bau eines Atomkraftwerkes kann also das Marktversagen nicht in einer Weise beheben, die mit Art 107 AEUV kompatibel ist. Im Gegenteil: Die negativen Wettbewerbsauswirkungen werden dadurch noch verschärft, dass eine Technologie, die nach jahrzehntelanger Förderung immer noch nicht wettbewerbsfähig ist, durch Subventionen künstlich auf dem Markt gehalten wird, wodurch nachhaltigere und innovative Technologien aus dem Markt verdrängt werden. Solange es klar ist, dass die SteuerzahlerInnen die Rechnung für die Beseitigung der Folgeschäden bezahlen und solange diese Kosten nicht in die Strompreise Eingang finden, verstoßen Staatsbeihilfen für derartige Technologien außerdem gegen das Verursacherprinzip in Art 191 EUV.

Ausblick

Euphorie ist jedoch nicht angesagt. Möglicher Weise wurde Großbritannien von der Verfahrenseröffnung gegen das geplante Atomkraftwerk überrascht. Denn zur Zeit des Vertragsabschlusses zwischen EDF und dem britischen Staat sah der Erstentwurf der EU-Leitlinien für Umweltschutz und Energiebeihilfen noch ein eigenes Genehmigungsregime für Atomkraftwerke vor. Im Vertrauen darauf könnte Großbritannien die Beihilfe notifiziert haben. Aufgrund massiver politischer Interventionen ließ jedoch die EU-Kommission diesen Teil der Leitlinien wieder fallen. Nun könnte sich Großbritannien auf den Standpunkt stellen, dass der Euratomvertrag die bedingungslose Förderung von Atomtechnologie vorsieht und die Notifikation zurückziehen. Bis zur Klärung der beihilfenrechtlichen Kompetenz der EU-Kommission, die letztendlich durch den EuGH zu erfolgen hat, können durch den Bau des Atomkraftwerkes Fakten geschaffen werden. Fukushima ist weit weg. Chernobyl ist lange her. Erst wenn das sibirische Sewersk und ähnliche Endlagerstätten nicht mehr bereit sind, EU-Atommüll zu übernehmen – allein Frankreich produziert pro Jahr 1150 t – könnte ein Umdenken erzwungen werden.

Dieser Text erschien auch in wirtschaftspolitik-standpunkte 2/2014“.