Atomkraftwerk Hinkley Point: AKW-Subventionen werden in der EU salonfähig

30. September 2014

Am 1. Oktober – also heute – will Vizepräsident und Wettbewerbskommissar Almunia seinen EU-KollegInnen eine 35-jährige Betriebsbeihilfe zur Genehmigung vorlegen. Für diesen Zeitraum bietet Großbritannien zwei Großkonzernen, nämlich Siemens und Electricité de France an, für den Bau und den Betrieb des AKW Hinkley Point C einen fixen Abnahmepreis für Strom zu zahlen. Dieser ist unabhängig vom Marktpreis und wird jährlich an den Verbraucherpreisindex wertangepasst. Ein Danaergeschenk, das die scheidende EU-Kommission den EU-BürgerInnen hinterlassen will.

Das Beihilferecht

Blickt man in den Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV), so ergibt sich  aus Art 107, dass Beihilfen zugunsten von bestimmten Unternehmen oder Unternehmenszweigen verboten sind. Ausnahmen von diesem zunächst absolut scheinenden Verbot können gemacht werden, wenn die Subventionierung von Projekten zu einer Verbesserung des Umweltschutzes im weitesten Sinne führt. Beispiel dafür ist die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Dies ist in den EU-Beihilfenleitlinien für Umweltschutz und Energie festgeschrieben. Und so verläuft auch die Argumentationslinie der britischen Regierung: Danach wird das neue Atomkraftwerk „sauberen“ Strom liefern, weil er mit weniger CO2-Ausstoß produziert wird. Damit, so die Argumentation, erfülle das Kraftwerk gleichzeitig Aufgaben der Daseinsvorsorge, indem es einerseits CO2-neutralen Strom liefere, andererseits Versorgungssicherheit biete.

Ausnahmen im Fall Hinkley Point nicht gerechtfertigt

Dass dem nicht so ist, geht unter anderem aus einer Studie der Universität für Bodenkultur hervor. Die Reduktion der Treibhausgasemissionen ist selbst dann vernachlässigbar gering, wenn die gesamte fossile Stromerzeugung auf Strom aus AKWs umgestellt wird. Denn den Einsparungen stehen ungleich höhere Folgekosten gegenüber, allein durch die Problematik der Endlagerung der Brennstäbe. Aber auch das Verursacherprinzip, dessen Einhaltung eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährung von Beihilfen ist, wird durch das Projekt nicht berücksichtigt: Sämtliche Folgekosten, wie Kostentragung für Unfälle und Folgeschäden oder Stilllegung sind nicht eingepreist, sondern werden sozialisiert, dh im Fall des (Un)Falles auf die SteuerzahlerInnen und zukünftigen Generationen übertragen. Somit ist selbst der staatlich subventionierte Fixpreis ein fiktiver Preis. Liegt dieser mit rund 114 Euro pro Megawattstunde (MWh) bereits deutlich über dem für 2015 festgelegten Einspeisetarif für Windstromanlagen von 92,7 Euro je MWh in Österreich, würde der tatsächliche Marktpreis für Atomstrom bei Einpreisung der hochgerechneten Kosten allein für die Endlagerung um ein Vielfaches höher liegen. Womit sich die Stromerzeugung durch ein Atomkraftwerk nicht nur als ökologischer, sondern auch als ökonomischer Wahnsinn erweist.

Aus diesen Gründen hegte wohl auch die EU-Kommission zunächst große Bedenken und eröffnete im Dezember 2013 ein Beihilfeverfahren gegen Großbritannien. Doch stehen große wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel, die ungeachtet der möglichen massiven Folgeschäden für Gesundheit und Umwelt zu einer Kehrtwendung um 180 Grad geführt haben. Seit Fukushima ist klar: Die staatliche Förderung von Atomstrom ist keine nachhaltige politische Energie- und Umweltstrategie, weil sie die Allgemeinheit mit völlig unvorhersehbaren Folgekosten belastet. Sie ist damit auch mit Art 191 (2) AEUV unvereinbar, wonach die Umweltpolitik auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung beruht, und für Umweltbeeinträchtigungen der Verursacher haftet und zahlt (Verursacherprinzip).

50% der EU-KommissarInnen sind entscheidend

Nun erfolgt eine Revision dieser Grundsätze durch Einzelentscheidung der EU-Kommission, statt auf Basis von EU-Gesetzgebung, die von Rat und Parlament genehmigt wurde. Vertragswidrige Beihilfen für Nuklearenergie werden auf diese Weise mit einfacher Mehrheit der EU-KommissarInnen statt durch demokratische Entscheidung beschlossen, um eine offene Diskussion der Gesellschaft zu vermeiden. Dadurch wird ein Präzedenzfall für weitere Nuklearenergie-Projekte geschaffen, die bereits in der „Pipeline“ warten, wie zB in Polen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt: Vielleicht zögern die EU-KommissarInnen doch, mit einem Handstreich die Pionierarbeit der EU bei der Entwicklung erneuerbarer Energien und Energieeffizienz über Bord zu werfen. Vielleicht findet sich im Fall einer Genehmigung des britischen Atomstromförderprogramms ein Mitgliedstaat, wie bspw Österreich, wo die BürgerInnen schon vor Jahrzehnten gegen die Produktion von Atomstrom gestimmt haben, der gegen die Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof vorgeht – so wie dies in den Medien kolportiert wurde.