Arbeitswege im Rückspiegel. Ein Blick nach vorne

30. Oktober 2015

ArbeitnehmerInnen nehmen immer weitere und immer flexiblere Arbeitswege auf sich. Auf den Kosten bleiben die Betroffenen selbst sitzen. Nachhaltige Pendelmobilität braucht Lösungen abseits der etablierten Pfade. Das Angebot des öffentlichen Verkehrs ist stärker an den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen zu orientieren.

Mobilität ist das Lebenselixier des Binnenmarkts und prägt die Lebensqualität der Bürger, die ihre Reisefreiheit genießen.“ Diese Sichtweise verkündet die Europäische Kommission in ihrem Weißbuch Verkehr, das als Grundlagenpapier für die Herausforderungen und Lösungsansätze im Verkehrsbereich für die kommenden Jahrzehnte gilt. Wie die Daten der Statistik Austria aus den Volkszählungen 1971 bis 2001 zeigen, haben sich die Zeiten, die für den Arbeitsweg aufgewendet werden,  kaum verändert. So erreichten 1971 fast drei Viertel der PendlerInnen ihre Arbeitsplätze mit einem Zeitaufwand von maximal 30 Minuten je Wegstrecke – 2001 waren es 74,1 Prozent. Unberücksichtigt bleibt bei dieser Betrachtung jedoch in Relation dazu die überproportional starke Zunahme an Teilzeitbeschäftigten. Zu den zurückgelegten Distanzen gibt es nur sehr grobe Klassifizierungen. Fakt ist jedoch, dass mit einem Rückgang um neun Prozent immer weniger ArbeitnehmerInnen ihre Arbeit in der Wohngemeinde finden. Gleichzeitig hat sich in den vergangenen 30 Jahren die Zahl der PendlerInnen, die auf ihrem Arbeitsweg in ein anderes Bundesland pendeln, mehr als verdreifacht, ebenso die Zahl der PendlerInnen, die in einen anderen Bezirk auspendeln. Dramatisch verändert hat sich in diesen 30 Jahren vor allem, mit welchen Verkehrsmitteln die ArbeitnehmerInnen zu ihren Arbeitsplätzen kommen. Waren es in den 1970er Jahren noch 30 Prozent, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad ihre Arbeitsplätze erreichen konnten, so ist dieser Anteil bis 2001 auf magere zwölf Prozent gesunken. Der Anteil der Pkw-PendlerInnen ist demgegenüber von 36 Prozent auf 68 Prozent gestiegen.

Die genannten Modal Split-Zahlen (Modal Split = die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel) verschleiern aber, dass im genannten Zeitraum auch die Zahl der pendelnden ArbeitnehmerInnen um 40 Prozent gestiegen ist. Waren Anfang der 1970er Jahre noch knapp unter 800.000 PendlerInnen täglich mit dem Auto unterwegs, so waren es 2001 über zwei Millionen. Demgegenüber ist die Zahl der zu Fuß gehenden PendlerInnen um fast 60 Prozent eingebrochen, die Zahl der BahnpendlerInnen hat um 15 Prozent zugenommen. Das bedeutet aber nicht, dass damals niemand ein Auto hatte. 1979 gab es in 55 Prozent der Haushalte einen Pkw, 2010 waren es 77 Prozent.

Hohe Verkehrsausgaben

Forschungsergebnisse zeigen,  dass der Zugang zur Auto-Mobilität sehr selektiv ist und einen hohen Preis hat. Eine Sonderauswertung der Mobilitätserhebung Niederösterreich kommt zu dem Ergebnis, dass gerade Arbeitslose und Frauen zu 49 bzw. 44 Prozent nicht jederzeit Zugang zu einem Pkw haben. Daten der Statistik Austria verdeutlichen, dass Frauen durchwegs kürzere Wege zum Arbeitsplatz zurücklegen als Männer. In der Regel, weil sie für die Kinderbetreuung zuständig sind und daher in der Nähe des Wohnortes bleiben. Und: während es bei Männern keine Rolle für die Pendeldistanzen spielt, ob Kinder vorhanden sind oder nicht, bedeuten Kinder im Haushalt für Frauen eine noch stärkere Bindung an den regionalen Arbeitsmarkt.

Der Genuss der „Reisefreiheiten“ hat einen enormen Preis. Nach dem Wohnen sind Verkehrsausgaben die zweitgrößte Belastungsquelle der österreichischen Haushalte. Diese geben also für ihre Transporte von A nach B mehr aus, als für ihre Ernährung, oder auch für Freizeit und Sport. Allerdings sind Verkehrsausgaben sehr stark davon abhängig, ob Alternativen zum Pkw vorhanden sind oder nicht. In ländlichen Regionen mit bis zu 10.000 EinwohnerInnen gibt ein durchschnittlicher Haushalt für den Bereich Verkehr monatlich etwa 500 Euro, für den öffentlichen Verkehr nur 18 Euro aus. In Regionen mit mehr als 100.000 EinwohnerInnen liegen die Gesamtausgaben für den Verkehrsbereich bei 340 Euro und bei 33 Euro für den öffentlichen Verkehr.

Potenziale sind vorhanden

Mobilitätserhebungen in den Bundesländern zeigen, dass es noch ungenutzte Potenziale gibt, Arbeitswege unabhängiger vom Pkw zurückzulegen, auch im ländlichen Raum. So sind etwa in Vorarlberg rund 26 Prozent der Arbeitswege kürzer als 2,5 km und 45 Prozent kürzer als fünf Kilometer. Untersuchungen für Niederösterreich kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Diese Distanzen können ohne nennenswerten Zeitverlust auch mit dem Fahrrad oder Pedelec zurückgelegt werden. Zu Fuß und mit dem Rad sind in Vorarlberg auch fast 24 Prozent der PendlerInnen unterwegs, der Autoanteil liegt bei 57 Prozent.

Ein gutes Angebot des öffentlichen Verkehrs entlastet PenderlInnen

In den 1970ern waren noch ein Viertel aller österreichischen AutopendlerInnen in Wien unterwegs, 2001 nur noch ein Siebentel. Der Ausbau des Umweltverbunds, also Arbeitswege die mit dem Öffi, zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden können, entlastet die privaten und öffentlichen Haushalte auf ganzer Linie. Denn multimodale Arbeitswege sind kostengünstiger, führen zu einer faireren Nutzung des öffentlichen Raums und machen auch das Wohnumfeld attraktiver. Auch bei Betriebsansiedelungen wird immer klarer, dass billige Standorte nichts wert sind, wenn sie gleichzeitig mit dem Umweltverbund für Arbeitskräfte nicht erreichbar sind. Die Arbeiterkammer setzt sich daher dafür ein, dass sich das Angebot des öffentlichen Verkehrs stärker an den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen orientiert.

Anmerkung: Dieser Beitrag ist in längerer Fassung in der Zeitschrift Wirtschaft und Umwelt erschienen:  www.ak-umwelt.at