Arbeitsmarktreformen in Frankreich – Macrons neuer Anlauf

27. September 2017

Macron hatte im Rahmen seines Wahlkampfes einen Aufbruch der verkrusteten Strukturen und eine neue Ära des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Rolle Frankreichs in der EU angekündigt. Die satte Mehrheit im Parlament und die Aufbruchsstimmung will er nützen, um im Eiltempo eine weitere und weitgehende Reform des französischen Arbeitsmarktes durchzuführen, bezeichnet als Neuordnung des Sozialmodells. Sie basiert auf drei Säulen.

1.) Reform der Tariflandschaft: Bis dato war das Arbeitsrecht im Wesentlichen gesetzlich geregelt. Der „Code de Travail“ umfasste dabei auch weitreichende Bestimmungen betreffend Arbeitsbeziehungen, die in anderen EU-Ländern Inhalt von Tarifverträgen sind.

2.) Vereinfachung der betrieblichen Interessenvertretung: Zusammenlegung der ArbeitnehmerInnevertretungsstrukturen zu einem Wirtschafts- und Sozialausschuss.

3.) Gesetzliche Regelung und Deckelung der Kündigungsentschädigung: Bis dato lag die Entscheidung über die Höhe der Abfindung bei rechtswidriger Kündigung allein im Ermessen der Arbeitsgerichte.

Nach rund 100 Konsultationsrunden mit Sozialpartnerorganisationen während der Sommermonate stellte die französische Regierung am 31. August 2017 ihre konkreten Reformvorschläge vor. Neben institutioneller Vereinfachung der Arbeitsbeziehungen soll das Arbeitsrecht insbesondere Erleichterungen für die kleinsten Unternehmen (bis 20 Beschäftigte) und Klein- und Mittelunternehmen bringen.

Die französischen Gewerkschaften haben die Reformvorschläge mit unterschiedlichem Enthusiasmus aufgenommen. Hauptkritik des größten Gewerkschaftsbundes im Privatsektor (CFTD) ist die mangelnde Evaluierung der zahlreichen bisherigen Reformen des Arbeitsrechts. Tatsächlich ergibt sich aus OECD-Statistiken, dass das Ausmaß der Kündigungsschutzbestimmungen in Frankreich bei den Normalarbeitsverhältnissen mit unbefristeten Verträgen etwa auf dem Niveau von Österreich und Deutschland liegt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Abgesehen davon, ermöglichen die Reformen direkte Verhandlungen ohne (externe) Gewerkschaftsvertreter, womit sechs Millionen Beschäftigte in den kleineren Unternehmen (weniger als 50 Beschäftigte) potenziell ohne Schutz dastehen.

Anders als bei der Arbeitsmarktreform 2016 ist der Gewerkschaftsbund Force Ouvrière auf die reformistische Linie eingeschwenkt und hält das vorgelegte Gesetz im Wesentlichen für akzeptabel. Hingegen lehnt der Gewerkschaftsbund CGT die Reform ab und organisierte Proteste auf der Straße.

Macron will seine Reformvorschläge im Rahmen von Verordnungen durchsetzen. Dazu erließ das französische Parlament im Juli 2017 ein Ermächtigungsgesetz. Damit kann es die Reform-Verordnung nur annehmen oder ablehnen, aber keinen inhaltlichen Einfluss ausüben. Die Verordnung tritt bei Zustimmung sofort in Kraft. Diese teilweise Ausschaltung des Parlaments ist zwar in der französischen Verfassung vorgesehen. Praktisch alle Verfassungen der EU-Mitgliedsländer kennen vergleichbare Bestimmungen. Sie sind aber nur für Notsituationen oder einen Ausnahmezustand gedacht. Als Rechtfertigung für das parlamentarische Ermächtigungsgesetz wurden von der Exekutive „der Wildwuchs des Arbeitsrechts“ und die Verteidigung der unternehmerischen Freiheit angeführt. Macron sieht in den Sozialpartnerverhandlungen eine ausreichende demokratische Legitimation.

Die Reform in concreto

1.) Arbeitsbeziehungen:

·         Vorrang von Betriebs- gegenüber Branchenvereinbarungen – in Klein- und Mittelunternehmen (KMU) sollen Arbeitsverträge in Zukunft ohne Belegschaftsvertreter bzw. Gewerkschaftsdelegierte verhandelt werden können. In 96 Prozent der KMU sind Gewerkschaften überhaupt nicht präsent; diese Maßnahme dürfte in der Praxis daher nur vier Prozent der knapp drei Millionen Betriebe betreffen. Allerdings werden die Möglichkeiten der Gewerkschaften, in den KMU Fuß zu fassen und Beschäftigte zu organisieren, weiter erschwert.

·         Branchentarifverträge müssen zukünftig Klauseln für die besondere Situation der Kleinst- und KMU beinhalten.

·         In Betrieben mit mehr als 50 ArbeitnehmerInnen werden die vier ArbeitnehmerInnen-Vertretungen (Betriebsrat, Belegschaftsvertreter, Gewerkschaftsdelegierte, Ausschüsse für Arbeitshygiene und Arbeitssicherheit) zusammengelegt. Sie gehen in einem einheitlichen „Wirtschafts- und Sozialausschuss“ auf.

·         Bislang gesetzlich verpflichtende Sozialpläne können umgangen werden, indem der Stellenabbau auf Basis von Freiwilligkeit durchgeführt wird. Damit entfallen Maßnahmen zur Wiederanstellung, Umschulung und Entschädigung. Die Belegschaftsvertretung muss nicht hinzugezogen werden.

·         Das Arbeitsvertragsmodell in der Baubranche (unbefristete Verträge können jederzeit beendet werden) soll auf andere Branchen ausgeweitet werden.

·         Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen können dann erfolgen, wenn multinationale Unternehmen nur in Frankreich selbst Probleme haben – was das Erpressungspotenzial von Bilanzierungs- und Geschäftsmodellen mit profit shifting und transfer pricing gegenüber den Beschäftigten erhöht.

·         ArbeitnehmerInnen und ihre VertreterInnen sollen stärker als bisher in die strategischen Unternehmensentscheidungen, die wesentliche Auswirkungen auf den Arbeitsplatz haben, eingebunden werden.

2.) Arbeitsrecht

·         Verkürzung der Klagefristen für Kündigungsanfechtungen vor den Arbeitsgerichten der gewählten prud’hommes von bisher zwei Jahren auf ein Jahr.

·         Schadenersatzansprüche bei ungerechtfertigten Entlassungen/Kündigungen werden auf drei Monatsgehälter bei zwei Jahren Betriebszugehörigkeit und maximal 20 Monatsgehälter bei 30 Jahren gedeckelt. Das soll die Kosten von Entlassungen – und damit gleichzeitig die Einstellungskosten – für Arbeitgeber kalkulierbarer machen (zu dieser Problematik vgl. Rodrik, Dani: Macron’s Labour Gambit). Gleichzeitig soll zukünftig die Höhe der Untergrenze für Entschädigungen von bisher einem Fünftel des Monatslohnes für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit auf ein Viertel angehoben werden. Letzteres betrachten die Gewerkschaften als einen kleinen Erfolg ihrer Verhandlungen.

·         Mehrheitsvereinbarungen über das Ausmaß der Arbeitszeit, die Höhe des Arbeitslohns sowie die Mobilität der ArbeitnehmerInnen zur Flexibilisierung der Arbeit.

·         Einrichtung eines portablen „Chancenkontos“ zusätzlich zum Arbeitslosengeld für von Arbeitslosigkeit Betroffene und gesetzliche Absicherung der Telearbeit.

Die Verordnungen sind am 22. September vor laufenden Kameras unterzeichnet worden. Macrons Partei „La République en Marche“ verfügt im Parlament über eine große Mehrheit. Einem Inkrafttreten steht daher nichts im Wege.

Von Flexicurity zu Flexibility – ein schmaler Grat

Die Reformen folgen dem skandinavischen Leitbild der „Flexicurity“ auf dem Arbeitsmarkt. Dieses basiert allerdings auf der gewerkschaftlichen Ordnungsmacht mit einem Organisationsgrad von 70 Prozent und mehr und muss nicht erst eine historische Transformation von einem konfliktorientierten System der Arbeitsbeziehungen auf eines des sozialen Dialogs und Interessensausgleichs erfahren, wie es in Frankreich ursprünglich vorgesehen war. Vor dem Hintergrund eines Organisationsgrades von sechs bis acht Prozent wie in Frankreich wird „Flexicurity“ damit schnell zu einem Vehikel der reinen „Flexibility“.

Als sehr problematisch sind die Schritte zur Dezentralisierung der Verhandlungen auf die betriebliche Ebene einzuschätzen; das schwächt die Gewerkschaften und verhilft Partikularinteressen zum Durchbruch. Die einzelnen Schritte gehen im Wesentlichen zu Lasten der ArbeitnehmerInnen, sind aber in ihrem Ausmaß auch nicht als völlig dramatisch anzusehen. Eine wie von Macron angekündigte „kopernikanische Arbeitsreform“ sieht anders aus. Die Notwendigkeit der Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt ist unbestritten; dazu zählt auch eine Vereinfachung von Vorschriften im Arbeitsrecht. Vieles von dem, was in Deutschland tarifvertraglich praxisgerecht geregelt ist, wird in Frankreich gesetzlich definiert. Dass die Deregulierung des Arbeitsmarktes keine Auswirkung auf die Produktivität hat, konstatierte der IWF hingegen schon in seinem Jahresbericht 2015. Die OECD stellte 2016 fest: „Die Flexibilisierung der Kündigungsschutzgesetze hat im schlimmsten Fall keine oder nur begrenzte Wirkung auf das Niveau der Beschäftigung.“ Ob mit diesem Paket an Maßnahmen die hohe Arbeitslosigkeit in Frankreich gemildert werden kann, ist daher stark zu bezweifeln.