Arbeitsmarktreform: Die Sündenbockstrategie des Finanzministers

31. Juli 2015

bak_jwallner_LThumbHans Jörg Schelling hat den Ruf eines besonnenen Ministers. Dann kam sein Dictum, das Arbeitslosengeld sei zu hoch. Oder eigentlich die Mindestsicherung. Vielleicht aber sollten die Zumutbarkeitsregeln verschärft werden. Nein, es sei das Fachkräftestipendium: Das war – nach Meinung Schellings – nur für Arbeitslose da und daher sinnlos. Hartz IV in Deutschland funktioniere dagegen ganz nach seinem Geschmack. Jedenfalls brauche es daher bei uns nun auch so eine Arbeitsmarktreform. Soweit, so irritierend. Was ist das Ziel des Ministers – hat Schelling einen Plan?

Zunächst einmal darf auch ein Minister irren. Insbesondere wenn er fachunzuständig ist.

Fachkräftestipendium: Vom Finanzminister finanziell abgedreht

Das Fachkräftestipendium konnten keineswegs nur Arbeitslose beziehen. Er selbst hat diesem guten Instrument der beruflichen Weiterbildung das finanzielle Lebenslicht ausgeblasen, indem er dafür ab 2016 kein Budget mehr bewilligt. Er könnte und sollte es wieder zum Leben erwecken und zwar nicht nur für Arbeitslose. Nur – darum geht es ihm anscheinend nicht.

Die Sündenbockstrategie als Ersatzhandlung

Kürzen, Verschärfen, Streichen. Das ist der gemeinsame Nenner seiner ziemlich holprig vorgebrachten Forderungen. Zur Erinnerung: Bei uns explodieren die Arbeitslosenzahlen, weil die Beschäftigung wegbricht und allmonatlich viel mehr Menschen auf Arbeitsuche sind, als offene Stellen zur Verfügung stehen. Dafür brauchen wir eine Lösung. Und die scheint auch Schelling nicht zu haben. Was er dagegen anzubieten hat, sind Sündenböcke: Nämlich die Arbeitsuchenden selbst. Was er zudem anbieten kann, ist ein klein wenig Aufwiegelung. Ausgespielt werden sollen jene, die unter schlechten Bedingungen wie geringem Lohn und weiten Anfahrtswegen ihrem Job nachgehen müssen gegen jene, die gar keinen haben und denen er unterstellt, sie ruhen sich auf Kosten der anderen aus. Diese Methode ist sachlich unseriös und politisch destruktiv. Sie zielt auf den Abbau von gesellschaftlicher Solidarität und  sozialen Zusammenhalt und soll davon ablenken, dass für die Behebung der wirklichen Ursachen unserer Arbeitsmarktmisere offenbar der Plan fehlt.

Zumutbarkeitsdebatte: Alle Jahre wieder

Die Zumutbarkeitsdiskussion ist nicht neu. Bereits im November des Vorjahres brachte Vizekanzler Mitterlehner die Idee der Zumutbarkeitsverschärfung. Von ÖVP- und Arbeitgeberseite wird dieses Thema generell alle paar Jahre aufgewärmt, was mitunter auch zu Verschärfungen führt: So wurde die zumutbare Wegzeit zuletzt 2007 auf zwei Stunden und darüber (unter besonderen Bedingungen) festgelegt. Bei einem allgemeinen Arbeitsplatzmangel bringt es aber nichts, noch eine halbe Stunde länger dorthin zu pendeln, wo es auch keinen Job gibt. Zumal: Österreich ist heute schon ein Land der Pendler. Immerhin pendeln mehr als zwei Mio. ArbeitnehmerInnen regelmäßig über die Gemeindegrenzen, viele davon über sehr weite Strecken.

Arbeitnehmerinnen die nicht in ihrer Heimatgemeinde arbeiten:

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Die Mär vom hohen Arbeitslosengeld

Auch die Behauptung des zu hohen Arbeitslosengeldes ist gelinde gesagt gefühllos. Immerhin sackt das Einkommen eines Alleinstehenden bei Arbeitslosigkeit auf 55% des vorherigen Nettolohns ab; dass es zudem keine Sonderzahlungen gibt, ist dabei noch gar nicht mitgerechnet. Den Lohnverlust im Falle eigener Arbeitslosigkeit kann jede/r mit Hilfe des AMS-Onlinerechners ganz leicht nachprüfen.

Kein Wunder, dass  jede/r Zweite vom Arbeitslosengeld den laufenden Lebensunterhalt nicht bestreiten kann und vielleicht auf Hilfe Dritter angewiesen ist, wie  eine Studie von SORA im Auftrag der AK Wien ergeben hat.

Die Mindestsicherung – Eine weiche Hängematte?

Das denkt wohl nur, wer nicht in ihre Nähe kommt. Wer sie dagegen braucht, muss zunächst einmal alles – bis auf einen Notgroschen von rund € 4.139,– – verklopfen, was er oder sie an „Vermögen“ so hat, natürlich auch das Auto (so es nicht berufsbedingt benötigt wird). Erst nach Aufbrauchen des Erlöses ist an eine Mindestsicherung zu denken. Aber nicht prassen, das Geld wird durch den Mindestsicherungssatz dividiert um zu wissen, für wie lange es reichen muss. Der Richtsatz beträgt für eine/n Alleinstehende/n rund  € 620,– monatlich plus einem Zuschlag für Wohnkosten, sodass insgesamt rund € 827,– monatlich möglich sind.  Auf dem Land heißt Mindestsicherung auch, einen  oft demütigenden Bittgang zur Behörde anzutreten, wo jeder jeden kennt. Nicht lustig, auch nicht für die Kinder der Betroffenen, die stehen mit am sozialen Pranger. Und viele Mindestsicherungsbezieherinnen sind gar nicht Arbeitslose (wie eine Studie von L&R über die BMS zeigt): Sie sind z.B. alleinerziehende Mütter mit Kind(ern), die einem Teilzeitjob nachgehen müssen, der unterhalb des Richtsatzes entlohnt wird. Daher brauchen sie diese Ergänzungszahlung. Will der Finanzminister lösungsorientiert handeln, sollte er sich um eine flächendeckende Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen kümmern und für ein Recht auf Kinderbetreuung eintreten, wie es das in seinem bevorzugten Referenzland Deutschland ja bereits gibt. Das könnte für viele Abhilfe schaffen.

Hartz IV – ein gutes Modell zur Verarmung

Hartz IV hat vor allem zu zwei Dingen beigetragen:

1) Dass Deutschland die höchste Armutsgefährdungsquote unter Arbeitslosen in der EU hat: 69% der Arbeitslosen haben ein Einkommen unter der Armutsschwelle (EU-SILC 2013). Alle anderen EU-Länder erzielen hier besser Werte, Österreich lag bei 45%.

Armutsgefährdungsquote unter Arbeitslosen in der EU

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

2) Zudem hat es über geförderte Ein-Eurojobs den Niedriglohnanteil in Deutschland nach oben getrieben: Mit 20,9% zählt er zu den höchsten in der EU. (vgl. Übersicht 39, S. 118 im Arbeitsmarktmonitor von AK Wien und WIFO)

Das eigentliche Ziel, die Langzeitarbeitslosigkeit zu beseitigen, ist dagegen gründlich misslungen: Mit 45,3% Langzeitarbeitslosenanteil steht Deutschland mit seinem Hartz IV Modell deutlich schlechter da als Österreich mit (auch zu hohen) 25,4% (vgl. Arbeitsmarktmonitor, S. 110).

Wer Hartz IV als Vorbild lobt, ist entweder fehlgeleitet oder hat als Priorität den Sozialabbau im Sinn, nicht den Abbau von Arbeitslosigkeit.